Liebe Esther, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Lieber Walter, wohl durch meine spezifische Lebenssituation hat sich mein Tagesablauf durch die Pandemie nicht sonderlich verändert. Ich bin auf meiner Seelenreise eher bei einem ‚Aufenthalt im Moment‘ gekommen seit einiger Zeit. Zudem beschäftige ich mich viel mit mir und bin künstlerisch aktiv. Ein echtes introvert_Dasein zur Zeit, was lustigerweise gerade Entsprechung im Außen findet… Dort ist auch alles zur Ruhe gekommen. Ich spüre, wenn ich wieder auf Reisen gehen will, oder mehr aktiv ins Leben ausgreifen werde, wird das auch im Außen dann leicht möglich sein.
So also stehe ich gerne recht früh auf, es ist schön, wenn ich den Sonnenaufgang sehen kann… Bevor ich aufstehe, verbinde ich mich mit dem Göttlichen, der geistigen Welt. Wir kommunizieren, ich erhalte Impulse für Themen, die gerade anliegen. Ich verbinde mich im Laufe des Tages immer wieder auf verschiedenste Weise mit der geistigen Welt, meiner Seelenfamilie, mit Gott.
Dann trinke ich einen Milchcafé… oft schaue ich dann auf den sozialen Medien vorbei, empfange Nachrichten von Freunden aus aller Welt… Dann folge ich weiterhin meinen Impulsen, zur Zeit bin ich in einem kleinen Aufenthaltsstipendium im Stadtteil Lichtenberg in Berlin, da erkunde ich die Umgebung, gehe spazieren… habe Bilder entwickelt hier und eine „Lichtenberg Mikroerzählung“ geschrieben. Ich kommuniziere regelmäßig virtuell (ist telefonisch eigentlich auch virtuell?) mit lieben Freunden… Mein Hauptaugenmerk liegt darauf, dass ich mich den lieben langen Tag möglichst wohl fühle, mit mir gut verbunden bin und möglichst mache, was mir Freude bereitet. Danach gestaltet sich mein Tag. Liebe und Frieden spüren, und dass das Leben mich trägt, no matter what.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Das liebevolle BEI SICH SEIN. Eigentlich das, was ich oben über meinen Tagesablauf geagt habe, das ist wichtig für alle. In der spezifischen Situation, in der jede_r ist, zu sich zu kommen. Ob jemand Single ist, in einer Paar- oder Familiensituation lebt… es gilt zu sich zu kommen. Routineverhalten abzulegen, oder bewusst anzunehmen, bei sich selbst und mit anderen.
Die Ängste, die bei vielen getriggert werden, lernen, liebevoll anzuschauen und anzunehmen. Sich selbst besser kennenlernen. Bisher verborgene Schichten der eigenen Seele neu fühlen und damit in Kontakt, sprich in Kommunikation gehen. Das auch mit anderen machen. Sich in guter Kommunikation üben.
Anders, tiefer, liebevoller sprechen lernen mit sich selbst, mit anderen. Lernen, in dieser speziellen Situation in Frieden mit sich zu kommen und zu bleiben. Wir sind nun gerade alle angehalten, Gemütlichkeit und Seelenfrieden „ein paar Etagen“ tiefer in uns selbst zu finden als bisher. Alte Muster der bisherigen Lebensweise funktionieren so nicht mehr, das Außen, wie wir es kannten, ist zum Großen Teil weg gebröckelt.
Wir lernen, uns anders und mehr Raum zu geben, unseren Gefühlen und Bedürfnissen. Wir müssen mit uns selbst sensibler und feinfühliger sein, und können das dann auch bei anderen leichter. Anderen deren Raum zugestehen – und erst mal uns selbst Raum zugestehen.
Interessanterweise entsprechen die zwei geforderte Meter Individualdistanz sehr genau der Ausbreitung unserer energetischen Körper, die über unseren physischen Körper hinausreichen. Wir können diese nun kennenlernen, bei uns selbst und bei anderen achten lernen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Wesentlich ist die Zärtlichkeit. Die Liebe. Die Einfühlung. Das Vertrauen. Je liebevoller ich mit mir sein kann, desto liebevoller kann ich auch mit anderen sein. Das ist absolut zentral. UND auch die Spiellust, die Freude und DAS KINDSEIN.
Die Zufriedenheit und Freude im Moment leben zu können. Je mehr ein einzelner Mensch das für sich leben kann, desto stabiler ist sie_er. Das ist eine stille, doch absolut umwälzende Revolution.
Sie geht damit einher, unserer weiblichen Seite, also der Intuition, der Zärtlichkeit, der Empfänglichkeit, der Lust und Spielfreude wieder mehr Raum und Wert in unserem Leben zu geben. Die Weiblichkeit, das feminine Prinzip, ist bei Männern und Frauen über Jahrtausende massiv zu kurz gekommen, nahezu in allen Gesellschaften. Es wurde verachtet und entwürdigt oder subsumiert unter „weicheren“, männlichen Eigenschaften im Patriarchat. Doch sind sie in Wahrheit das feminine Prinzip in uns allen.
„Patriarchat“ bedeutet eine soziale Gemeinschaft, die dysfunktional einseitig das männlich- tätige Prinzip als Lebens-und Werteverständnis fordert und lebt. Das sehen wir noch in unserer – ebenfalls noch – kapitalistisch ausgerichteten Leistungsgesellschaft täglich. Selbstwert geriert sich fast ausschließlich über Tätigkeit und Produktionsdruck.
Es gilt also, unseren Selbstwert wieder unabhängig zu machen von unseren Schöpfungen. PER SE SIND WIR WERTVOLL, und dann machen wir auch wertvolle Sachen. Das ist so einfach, wie elementar, wie – einmal mehr – umwälzend.
Wir müssen das liebevolle, warmherzige, fürsorgliche, aber auch das spielerische, leichte und freudvolle viel mehr schätzen und würdigen in unseren Gesellschaften.
Wir kommen zur Zeit gar nicht umhin, dem Fluß des Lebens irgendwie zu vertrauen und neue Erfahrungen zu machen, die letztlich sogar, wenn wir es zulassen, magisch sind.
DAS LEBEN IST EIGENTLICH MAGIE – VON UND IN DER KUNST KÖNNEN WIR DAS ERLEBEN
Das ist genau meine Erfahrung des schöpferischen Prozesses in der Kunst. Eigentlich ist alles eine Reise. Ich fange irgendwo an – bei einer Inspiration – und am Ende kommt ein großartiges Bild, ein wunderbarer Text bei heraus.
Die Kunst selbst, also ihr Genuss, bringt uns wieder mehr zu uns selbst, ob in der Lektüre, einem Ausstellungs– oder Theater_Konzertbesuch. Wir sind, wenn es gut läuft, nach dem Dialog mit einem Kunstwerk vitaler, entspannter, tiefer empfindender, aufgewühlter, leichter, präsenter, euphorischer… uns selbst näher…in einer höheren Schwingung.
Das ist es, was wir Künstler mitbringen – eine hohe Schwingung. Was nicht heisst, dass nur wir sie mitbringen. Aber gute Kunst hervorzubringen geht nur in einer hohen Grundschwingung. Wir erzeugen sie in unserer Kunst, doch leben auch in ihr – wenn wir es tun. Denn oft genug schlagen wir uns auch mit Not_wendigkeiten herum und verlassen dann auch unsere hohe Grundschwingung.
Wir Künstler schaffen eigentlich aus der Liebe heraus. Die Kunst, die Kreativität entsteht aus der Liebe – das vergessen wir oft. Die Kunst, wir Künstler können daran wieder erinnern, am besten, indem wir es selbst erleben und anerkennen in uns.
Was liest Du derzeit?
Ich lese zur Zeit eher Gedichte, also Lyrik. Immer wieder Rilke. Ich bin länger nicht in das epische Format eingetaucht…
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Erinnert euch wieder, wer ihr wirklich seid. Ich kann euer magisches und liebenswertes Kindsein sehen, wie ihr geliebt und gelebt habt als Kind. Seht und fühlt es auch wieder bei euch selbst.“
Vielen Dank für das Interview liebe Esther, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Esther Horn, bildende Künstlerin und Schriftstellerin
Foto__privat
4.1.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.