„Essen, Klopapier, eigenes Wohl! Dem gegenüber braucht es Solidarität, unbedingt!“ Romina Nikolic _ Jena/D_7.12.2020

Liebe Romina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Bisher war bei mir kein Tag wie der andere, alles sehr abwechslungsreich, und ich war viel unterwegs, weil ich generell immer mehrere ganz unterschiedliche Projekte gleichzeitig bearbeite – neben meinem Schreiben und eigenen Lesungen organisiere ich für einen Literaturverein diverse Veranstaltungen und Schreibworkshops, treffe Projektpartner und dergleichen. Momentan ist mein Aktionsradius aus den bekannten Gründen leider etwas kleiner und mein Weg nach dem ersten Kaffee führt mich über die Schule meines Kindes ins Büro oder an den Schreibtisch daheim. Im Idealfall krieg ich bis ca. 15 Uhr erledigt was für den Tag ansteht und geh dann Kiddo abholen und eine Runde spazieren, zum Spielplatz oder einkaufen. An Tagen, an denen kein Präsenzunterricht stattfindet, was dank der Pandemie ja vorkommen kann, bleiben Mails und Texte aber auch mal liegen und wir veranstalten unsere privaten Chaos Workshops und kleine Happenings mit mehr oder weniger didaktischem Mehrwert.

Romina Nikolic, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Insgeheim denke ich, ein paar Wochen Winterschlaf täten uns gerade allen gut… Aber im Ernst: Besonnenheit ist wichtig, die nicht zu Gleichgültigkeit verkümmern darf. Man sollte nicht in Panik verfallen, aber auch nicht das Bewusstsein für die größeren, systemischen Probleme, die die Pandemie jetzt deutlich hat zu Tage treten lassen, abstellen. Ich sehe viele Leute, die sich einigeln und den Fokus auf ungute Weise ganz auf ihr unmittelbares Umfeld verengen – Essen, Klopapier, eigenes Wohl! Dem gegenüber braucht es Solidarität, unbedingt!

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Spontan würde ich sagen, Imagination, Flexibilität und Kreativität sind essentiell für Neustarts. Damit sind LiteratInnen und KünstlerInnen ja theoretisch bestens vertraut. Ich denke aber, dass Literatur und Kunst an sich nun nicht unbedingt funktionalisiert und eingespannt werden müssen, um große Umwälzungen zu bewirken. Sie müssen erst einmal generell da sein, weil sie Menschen in ihrer Existenz komplettieren.
In Sachen Neustart habe ich tatsächlich Zweifel, ob jetzt wirklich der Zeitpunkt da ist, an dem es zu wesentlichen Veränderungen kommen wird, oder ob am Ende der Pandemie nicht der Wunsch nach Rückkehr in die alte comfort zone überwiegt. Hier braucht es wohl tatsächlich die Kompetenzen von Kreativen, die gesellschaftlichen und politischen Narrative soweit mit zu gestalten, dass man abkommt von der Vorstellung eines „Normalzustandes“, den man nach Überwindung der Pandemie wieder erreicht.

Was liest Du derzeit?

Ich lese wie ich arbeite, alles etwas durcheinander. Gerade:
Anna Kavan: Ice
Leona Stahlmann: Der Defekt
Clemens Meyer: Der Untergang der Äkschn GmbH

Die aktuelle Heavy Rotation von Texten, die ich gelesen habe, aber immer wieder hernehme, ist:
Nancy Hünger: 4 Uhr kommt der Hund
Maggie Nelson: Bluets
Dominik Dombrowski: Ich sage mir nichts
Anne Carson: Irdischer Durst
Sünje Lewejohann: Die idiotische Wucht deiner Wimpern

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Zwei Zeilen aus dem Gedicht „Schwermut“ von Marcel Beyer (aus seinem neuen Band Dämonenräumdienst), die mich in ihrer Nüchternheit sehr erheitert haben: Erschreckend häufig nimmt das Unheil / mit einer Augensalbe seinen Lauf.

Vielen Dank für das Interview liebe Romina, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Romina Nikolic_Schriftstellerin

Romina W. Nikolić ‹ Personen ‹ Literaturland Thüringen (literaturland-thueringen.de)

Foto_privat.

29.11.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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