„Utopisch denken und in der Utopie an alle denken, nicht nur an die eigene Blase“ Ulrike Anna Bleier, Schriftstellerin – Köln_6.12.2020

Liebe Ulrike, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Das frage ich mich ehrlich gesagt, auch. Was ist ein Ablauf? Ich war im Frühjahr melancholisch, aber diszipliniert und habe schnell in einen guten Arbeitsrhythmus gefunden habe. Jetzt im Herbst fällt mir alles sehr viel schwerer. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse hat ihren Reiz verloren. Ich vermisse das Unterwegs sein, Leute treffen, neue Eindrücke sammeln. Ich vermisse das Chaos, das ich ordnen muss.

Ulrike Ann Bleier, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wenn ich das wüsste. Vielleicht auszuhalten, dass es einen Bruch gegeben hat. Vielleicht auszuhalten, dass wir nicht wissen, was auf uns zukommt, dass wir aber eine Haltung dazu entwickeln können. Dass wir die Zeit nutzen können, um uns darüber klar zu werden, was jetzt wichtig ist und was in Zukunft wichtig sein wird. Solidarität zum Beispiel. Was ist das? Vielleicht weniger „die gute Tat“ vorzeigbar kultivieren, dafür mehr eine Haltung in einem politischen Sinne finden, die sich abseits von schönen Worten auch langfristig als glaubwürdig erweisen muss.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Mehr Skepsis gegenüber dem Markt entwickeln! Der Markt interessiert sich nicht für Literatur, er interessiert sich nur für den Verkauf von Literatur. Er ist uns kein gutes Gegenüber. Dieses Jahr hat das mehr als deutlich gezeigt. Stattdessen: mehr ausprobieren, mehr mit dem experimentieren, was ungesagt ist, was unentdeckt ist. Und vielleicht unverstanden und unentdeckt bleiben wird. Dabei nicht überheblich sein und nicht mit dem Unverstandensein kokettieren, sondern in Kontakt mit jede:r:m einzelne:n möglichen Leser:in bleiben. Utopisch denken und in der Utopie an alle denken, nicht nur an die eigene Blase.

Was liest Du derzeit?

„Die Biographie von Rot“von Anne Carson. „Garten, Baby“ von Christine Zureich.
Und eine Ausgabe der Literaturzeitschrift die horen über „Neue Literatur aus Quebec“.

Alle drei Lektüren kann ich wärmstens, wärmstens, wärmestens empfehlen.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„Aus zwei kauernden Klumpen Welt sprang das Wort hervor!“
(Anne Carson, Die Biographie von Rot)

Vielen Dank für das Interview liebe Ulrike, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Ulrike Anna Bleier, Schriftstellerin

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Foto_privat.

3.12.2020 Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

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