Wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Im Sommer viel entspannter als vor Covid-19 – da ich meine Teilzeit-Lohnarbeit zu Hause erledigte, war viel mehr Zeit für Kind, Arbeit, Haus, Garten, mich selbst übrig.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Besonders wichtig wäre es mir, dass sich Einzelne immer wieder vergegenwärtigen würden, was Wissenschaft eigentlich ist: Ein überprüfbarer Prozess, in welchem stets neue Erkenntnisse einfließen. Wissenschaftliche Erkenntnisse verändern sich deshalb zwangläufig kontinuierlich. Es wäre sehr schön, wenn nicht große Teile der Bevölkerung dies als «Beweis» dafür ansehen würden, dass Wissenschaftler lügen, Teil einer Verschwörung, oder «gekauft» sind. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die auf die Wissenschaft hört, und dementsprechend handelt, sei das nun in Bezug auf Covid-19 oder auf die globale Klimakatastrophe.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur zu?
Wichtig wäre es, gesamtgesellschaftlich spaltende Einflüsse wie Social Media viel stärker zu reglementieren, um zu einem normaleren, weniger hasserfüllten Diskurs zurückzufinden. Wichtig wäre es auch, die größeren Probleme wie die Klimakatastrophe nicht wegen der Pandemie aus den Augen zu verlieren und politisch entsprechend zu wählen / abzustimmen / auf die Barrikaden zu gehen. Stattdessen protestieren einige Menschen dagegen, eine Maske tragen zu müssen.
Der Literatur kommt aktuell die Aufgabe zu, in Krisenzeiten auch via des vielverteufelten (warum eigentlich?) Eskapismus zu trösten, gleichzeitig aber auch unangenehme Realitäten erfahrbar abzubilden und insbesondere für jeden Einzelnen: Kreativ sein zu können in Zeiten, in denen man sich oft auf sich selbst und die unmittelbaren Liebsten konzentrieren muss. Jeder kann allein oder zu mehrt ein absurdes Nonsens-Gedicht, Limericks oder einen Liedtext verfassen. Wer kreativ ist, hat in diesem Moment keine Angst. Und Lachen, da lohnt es sich wieder, auf die Wissenschaft zu hören, stärkt das Immunsystem und hält gesund. Literatur ist eigentlich eine Mehrfachmedizin für schlechte Zeiten.
Was liest Du derzeit?
Tucholsky. Wie immer mal wieder. Und ein paar Krimis parallel. Wie immer. Und ich hab grade die wunderbaren Gedichte von Boris Rhyzy entdeckt, leider nur in deutscher und englischer Übersetzung. Jetzt bedauere ich, dass ich kein Russisch kann.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ottos Mops von Jandl! Und jetzt: Selbst weiterdichten. Vielleicht mit «Noahs Boa» oder einer «kriminellen Forelle»?
Vielen Dank für das Interview liebe Sylvia, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen
Sylvia Tschui, Schriftstellerin
Fotos_Tage der deutschsprachigen Literatur, Bachmannpreis, 2019 _ Klagenfurt
Alle Fotos_Walter Pobaschnig
21.8.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.