„Denn was wären wir ohne unsere Träume? Nichts.“ Ulrike Schrimpf, Schriftstellerin_Wien 29.11.2020.

Liebe Ulrike, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Die Augen aufschlagen und offenhalten.

Einatmen. Ausatmen.

Dunkle Gedanken wegschieben.

Ulrike Schrimpf, Schriftstellerin

Drei Söhne in den Tag schicken.

Musik hören.

Mindestens zwei Tassen Kaffee trinken.

Mindestens ein Schokoladencroissant essen.

Dankbar sein für jeden Tag, an dem die Kinder das Haus verlassen.

Dankbar sein für jede Stunde, in der ich arbeiten kann.

Die Sonne suchen in der Birke vor meinem Fenster.

Ulrike Schrimpf, Schriftstellerin

Lesen. Schreiben. Vermissen.

Dunkle Gedanken wegschieben.

Schreiben. Lesen. Dinge ausmalen.

Dankbar sein für jeden Menschen, der gesund ist.

Mails schreiben, Haushalt machen, Mittagessen kochen. Über Unfug kichern.

Dankbar sein für jeden Tag, an dem die Kinder heimkehren.

Zuhören, streicheln, spielen, Kastanienmännchen basteln. Erklären, was ein Quader ist. Streithähne besänftigen.

An dem Zimmer für mich allein vorbeigehen. Sehnsucht haben. Nach dem Bücherstapel auf dem Wohnzimmertisch schielen.

Aufräumen. Laut werden. Kopfschmerzen bekommen. Klebehände im Gesicht haben. Luftküsse fliegen lassen.

Dunkle Gedanken wegschieben.

Abendessen zubereiten, Geschichten erzählen, gemeinsam lachen. Kinder baden, frische Kleider für den nächsten Tag suchen.

Im Bett liegen, vorlesen, nahe sein. Körper spüren und riechen. Ruhig werden.

Sich zusammen sammeln. Aufstehen. Die Nacht betrachten.

Alleinsein.

Pläne schmieden. Helle Träume –

ausdenken.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Anstand. Demut. Zuversicht. Humor. Zusammenhalt. Engagement. Mitgefühl. Kunst.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Kunst ist an sich. Sie war und ist immer notwendig und existentiell. Damit braucht und will Kunst keine Funktion, keine Aufgabe oder Rolle, kein Ziel und keinen Zweck. Die Gedanken sind frei, und die Kunst ist frei. Daran glaube ich fest. Ich stehe daher jeder Funktionalisierung und Vereinnahmung von Kunst grundsätzlich kritisch gegenüber. Da Kunst aber einem grundlegenden menschlichen Drang zur Imagination, zum Schöpferischen, zum Entkommen aus faktischen Gegebenheiten entspringt, wird sie umso lebensnotwendiger, desto prekärer die realen Lebensumstände werden. Denn was wären wir ohne unsere Träume? Nichts.

Was liest Du derzeit?

Die Zeiten, in denen ich mich nur und ausschließlich einem einzigen Buch widmen konnte, sind leider lange vorbei. Jetzt sammeln sich die Bücher, die ich lese, immer in mindestens vier Stapeln auf Schreib-, Nacht- und Wohnzimmertisch.

Auf einem Stapel befinden sich die Bücher, die ich für meinen Literaturpodcast „Drachen-Bücher“ besprechen möchte. Derzeit lese ich von ihnen Thomas Hardys Roman „Far from the Madding Crown“ („Am grünen Rand der Welt“).

Der zweite Stapel setzt sich aus Büchern zusammen, die ich zur Recherche für meine verschiedenen literarischen Projekte lese. Das sind momentan u. a. Bücher zu verschiedenen medizinischen Themen, der Roman „Nichts, was uns passiert“ von Bettina Wilpert und die von Lina Muzur herausgegebene Erzählungssammlung „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“.

Der dritte Stapel sind Bücher, die ich zum reinen Vergnügen, aus Neugier und Wissensdurst, zur Unterhaltung und zum Abtauchen lese. Gerade sind das zum Beispiel die Romane „Die Infantin“ von Helena Adler, „Die Vegetarierin“ von Han Kang und „Die Natur der Dinge“ von Georg Thiel, Short Stories von Lucia Berlin und Essays von Virginia Woolf und Siri Hustvedt.

Der vierte Stapel sind Lyrik-Bände. Mein Leben lang lese ich immer auch Gedichte, neben allem Anderen. Im Moment haben es mir wieder die Gedichte von Jorge Luis Borges und Konstantinos Kafavis besonders angetan, aber auch die von Anne Sexton und der zeitgenössischen brasilianischen Dichterin Angélica Freitas, deren Gedichte ich beim Elif-Verlag entdeckt habe: „Der Uterus ist groß wie eine Faust“ heißt der dort jüngst erschienene Band.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

pastellfarbenes licht

liegt auf der welt und

du stellst es dir kaum vor

legst nur das gesicht in den

wind der uns bewegt dort

wo wasser sich sammelt

weißt du es gibt eine richtung

Vielen Dank für das Interview liebe Ulrike, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Ulrike Schrimpf_Schriftstellerin

https://www.ulrike-schrimpf.de/

Fotos_Andrea Peller

5.11.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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