„Bürgerliches Trauerspiel“ Martin Gruber und aktionstheater ensemble. Mitreißende Uraufführung WERK-X, Wien, 1.10.2020.

Zuerst ist da die Kreide. Und die Linie, die Grenze. Das Eigene, das Unsrige. Und das Verbot. Und die Lust daran. Das muss sein. Das ist das Spiel. Das sind die Regeln. Woher sonst die Lust nehmen? Seit Lessing…

Das Unbehagen und das Schuldgefühl. Alles hat seinen Preis. Was nichts kostet. Wir wissen um Wert und Sinn. Um Opfer.

Die Kreide macht die Stimme sanft. Mensch ärgere Dich nicht. Versteckt das Innere.

Bis das Dunkle in uns rauskommt. Der Wolf. Bis wir zerfetzen, fressen. Bis alles zerplatzt. Wie das Virus. Aber nein, so weit ist es nicht. Die Kreide hält. Nur einen Fuß sind wir drüber. Draußen ist das Virus…

Das Innen hält. Hält fest zusammen.

Der Liegestuhl und der Alkohol.

Wir sind synchron.

Für unseren Müll gibt es Käfige. Vom Balkon bis Kuba.

Wir sind nicht allein, oder? Liebe, Beziehung, Freundschaft. Wir wissen was Papa und Mama dazu sagen.

Thymian-Sex im Liegestuhl allein ist wunderbar. Und dazu Tränen am Bahnhof jetzt.

Saufen und kochen. Der SUV und die Fahne. Der Kaiser und die Trauer.

Und auch für unsere Schuld ist Platz. Wir wissen uns zu helfen.

Unsere Welt ist erklärt. Von klein auf. Mit ausgeschlagenen Schneidezähnen.

Und der Wolf ist draußen…

Pandemie. Here we go…

Bis es dunkel wird…

Das Aktionstheater Ensemble zieht unserer Zeit den Backenzahn. Den eitrigen. Den stinkenden. Den verwachsenen. Und es macht dies mit künstlerischer Dynamik und Raffinesse, die einzigartig sind. Eine solche Kraft, Wucht und Intelligenz lassen nur begeistert staunen.

Martin Gruber und das aktionstheater ensemble ziehen in der großartigen Uraufführung „Bürgerliches Trauerspiel“ alle Register bester Schauspielkunst, die packt und schüttelt, berührt und still wie nachdenklich werden lässt. Inszenierung und Spiel erschaffen so dichte Momente des Ausdrucks und der Ansprache, dass das Publikum nie davor sondern immer mittendrin ist. Und dabei sich im Sessel manchmal etwas zusammenzieht, weil es so unmittelbar trifft und offenlegt.

Das aktionstheater ensemble stellt die Frage – Wer bin ich? – an das Wohnzimmer unserer Zeit. Es reißt die Tapeten der Generationen herunter und blickt auf die nackte Mauer. Zu dem Mobiliar in Raum und Kopf darin. Packt mit fulminantem Spielwitz den wackeligen Zahn von Wert und Gesellschaft. Dieser Griff an die Wurzel kommt an. Ist zu spüren. Schmerzt. Das Publikum entscheidet dann selbst ob Plombe oder Wurzelbehandlung, Implantat oder Brücke. Im Wohnzimmer. Zuhause. Mit einem künstlerischen Röntgen im Liegestuhl, das besser nicht sein könnte.  Pandemie, here we go. Prost.

BÜRGERLICHES TRAUERSPIEL (2020)

Uraufführung von Martin Gruber und aktionstheater ensemble in Koproduktion mit Landeshauptstadt Bregenz/Bregenzer Frühling, Landestheater Linz, in Kooperation mit WERK-X Wien.

Regie: Martin Gruber; Text: Martin Gruber, aktionstheater ensemble und Wolfgang Mörth,

Dramaturgie:  Martin Ojster, Andreas Erdmann; Musik: Kristian Musser, Nadine Abado, Alexander Yannilos; Bühne, Kostüme: Valerie Lutz; Regieassistenz: Tanja Regele, Hacer Göcen; Mit: Michaela Bilgeri, Horst Heiß, Thomas Kolle, Benjamin Vanjek und Kristian Musser, Nadine Abado, Alexander Yannilos.

Nächster Spieltermin_ Sa. 3.10., WERK-X, Oswaldgasse 35A, 1120

http://aktionstheater.at/produktionen/buergerliches-trauerspiel-2020/   2.10.2020

Walter Pobaschnig, literaturoutdoors, 1.10.2020

Alle Fotos_Romana Fürlinger_Walter Pobaschnig

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