„Ich glaube, wir sind alle zu brav geformt. Beinah wie ein DinA4-Blatt“ Lotta Blau, Lyrikerin, Autorin_ Düsseldorf 15.8.2020.

Liebe Lotta Blau, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Das kommt darauf an, was sich mir für Möglichkeiten bieten und das richtet sich natürlich auch nach meinen jeweiligen Arbeitszeiten in meinem Job. Aber ohne Kaffee geht bei mir nichts. Einige Dinge wiederholen sich gewollt…lesen, schreiben, Nachtspaziergänge, die Suche nach Stille, spüren, wie nichtig jenseits der Uhr im Kopf das Alltägliche gegen die Momente der inneren Stimmigkeit ist. Also, wenn ich die Möglichkeit habe ganz für mich abzuschalten und nichts anderes an Nutzen daraus ziehen will. Langsamkeit und Loslassen sind wie eine Berufung des eigentlichen Lebens.

 

Lotta Blau

 

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Jetzt kommt es darauf an sich stark für einen gerechten gesellschaftlichen und staatlichen Umbruch zu machen. Die Stimme zu erheben, Impulse zu geben und auch NEIN zu sagen zu Ausgrenzung Einzelner oder zum Beispiel auch Minderheiten, weiterer Spaltung, Diskriminierung, Antisemitismus oder unverhältnismäßiger Eingrenzung der Rechte und Freiheiten.  Wichtig ist jetzt sich auf Gemeinsamkeiten und schon hinterlegte langatmige Erfolge in der Vergangenheit zu besinnen, wie zum Beispiel die Arbeitsschutzgesetze, die Tierrechte oder ein einst offenes und gediegenes Europa. Leider zeichnet sich immer mehr das Gegenteil ab und ich habe immer mehr das Gefühl, als würde an einer Zeitkurbel zurück gedreht.Ich hätte mir mehr kritische Stimmen gewünscht. Wir brauchen in einem demokratischen Staat eine Widerspruchskultur.Besonders, wenn die Demokratie infiziert ist. Der Blick von Sinn und Unsinn ist wichtig und das Differenzieren.

 

 

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Poesie, der Kunst an sich zu?

Wesentlich ist jetzt, dass wir, die eigentlich auf einem gemeinsamen Weg  waren, diesen nicht verlassen oder andere zurückweisen, sondern ihn weiter gehen und dabei selbstverständlich immer auch wieder überdenken und nachbessern. Starre Systeme bringen ebensolche negativen Konsequenzen hervor. Das gab es alles schon. Besser wäre das Zugeständnis einer individuellen Entwicklung, als auch eine in der Gemeinschaft. Ich glaube, wir sind alle zu brav geformt. Beinah wie ein DinA4-Blatt. Passend für die Ablage oder Schublade. Das ist auch sichtbar am neuen, alten Wunsch vieler nach einer „starken Hand“ oder gar und leider nach einem „neuen Führer“. Die Gründe dafür sind vielfältig, neben dem  Überdauern der nationalsozialistischen Gesinnung wegen einer kaum aufgearbeiteten Vergangenheit, ist einer davon sicherlich, dass die Menschen die politische Lügerei und Täuschung satt haben. Und wir müssen wieder lernen andere Meinungen, die im Rahmen eines demokratischen Verständnisses liegen, auszuhalten. Das ist Toleranz, die jedoch dann aufhören sollte, wenn dieser Rahmen gesprengt wurde. Auch das Thema Covid gehört dazu, zu dem sich die Menschen zu recht Gedanken und Sorgen machen. Eigentlich ein ganz natürlicher Prozess und berechtigt, denn es betrifft uns alle. Ich würde sagen: Es muss sogar bei unserer geschichtlichen Vergangenheit hinterfragt werden dürfen. Wir müssen wachsam sein…auch gegen den Missbrauch für parteipolitische oder angestrebte totalitäre Gesinnungs- Zwecke.

Die Kunst in welcher Form auch immer, ist eigentlich jedermanns tägliches Brot, denn wie sagte Beuys schon: Jeder ist ein Künstler. So ist es…und jeder ist Philosoph, jeder ist Politiker, denn jeder ist täglicher Reformer seines und der anderen Leben, indem was er sagt, tut oder eben das Gegenteil…auch das ist Tun, das Nichtstun. Jeder handelt politisch schon indem er sich morgens entscheiden muss, was am jeweiligen Tag relevant sein wird. Er muss wählen…und das hat Auswirkungen auf sein eigenes, wie auch auf andere Leben. JETZT ist es entscheidend, wie jeder seinen Pinselstrich auf das Gesamtbild der Zukunft setzt! Das ist unser Gemeinschaftsprojekt…oder sollte es sein.

Die Literatur ist ein Motor und damit gerade würdig sie zu pflegen. Sie muss gerade heute aufmüpfig, aufzeigend und ermahnend sein. Natürlich muss Kunst und Kultur nicht nur „weh“ tun…sie darf auch geformt und weich sein, sich entziehend, melancholisch oder brachial…wie auch immer. Aber jene, die diese Möglichkeiten haben und schreiben, die sollten alle derzeitigen Worthülsen dokumentieren und auffangen, sowie mit Ehrlichkeit und Wahrhaften füllen. Uns allen fehlt, glaube ich, momentan Hoffnung und eine gewisse Widerspenstigkeit unseres Gewissens. Das momentan wohl bisschen schwächelt. Sprich: Wir nehmen zu viel einfach hin.

 

 

Was liest Du derzeit?

Momentan die Literatur von Ferdinand von Schirach, immer wieder mal Borchert, Celan, Gedichte von Bachmann oder Tucholsky, Kästner, letztens mal wieder Das siebte Kreuz oder auch wirtschaftliche und geschichtliche Bücher. So etwa JAHRHUNDERTZEUGEN, Gegen den Hass oder Rainer Mausfeld. Und andere. Ich habe immer mehrere Bücher, in denen ich aktuell lese. Das richtet sich auch oft nach den Gesprächen oder Erlebnissen, die ich habe. Da liest man dann auch schon mal nach und es entstehen Verknüpfungen zu den unterschiedlichsten Themen.

 

 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Textimpuls: Glauben wir an das, was noch nicht ist, damit es werden kann. Das stammt von mir selbst.

 

 

Vielen Dank für das Interview liebe Lotta, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Film-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

 

5 Fragen an KünstlerInnen:

Lotta Blau, Lyrikerin, Autorin

https://shop.falter.at/liste.php?namen=Lotta%20Blau

 

17.7.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

3 Gedanken zu „„Ich glaube, wir sind alle zu brav geformt. Beinah wie ein DinA4-Blatt“ Lotta Blau, Lyrikerin, Autorin_ Düsseldorf 15.8.2020.

  1. Sehr wundervolle und ehrliche Worte von Lotta.Ich schätze sie sehr als eine bewegende für unsere Neue Zeit sehr realistische und kritische Autorin ,steht zu ihrem Wort und Taten und ich wünsche ihr viel Erfolg in ihrer Arbeit und ich möchte ihr auf diesem Weg Danke sagen ,das sie kämpft in ihren Worten und in ihrem Schreiben für ein besseres Leben was noch nicht ist. Gabriele Thom

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