Liebe Anna, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Kein Tag gleicht dem anderen, aber das ist wohl eher der Alltag in der freien Szene.
Ich versuche dennoch einen für mich zuträglichen Rhythmus und einen gewissen Rahmen zu etablieren. Tägliches Tanztraining oder Bewegung gehört auf jeden Fall dazu. Außerdem versuche ich jeden Tag etwas von meiner ToDoListe abzuhacken.
Abgesehen davon gönne ich mir gerade viel Zeit mich mit meinen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen, mich der Produktivität und dem Leistungsgedanken zu entziehen und Raum für “Normalität” zu schaffen.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Neu zu bewerten.
Die Situation gibt uns die Möglichkeit für einen Moment auszusteigen und den Ist-Zustand von außen zu betrachten. Fehler im System treten zu Tage, sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Bereich, und ich würde mir wünschen, wir ergriffen die Chance grundlegende Veränderungen einzuleiten.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater, dem Film, der Kunst an sich zu?
Es ist an der Zeit unsere gesellschaftlichen Normen neu zu bewerten und neue Formen des Zusammenlebens zu etablieren. Themen wie struktureller Rassismus, Diskriminierung von Minderheiten und Frauen und die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Reichtum sind gerade allgegenwärtig und ich sehe die Möglichkeit tatsächliche Veränderung zu initiieren.
Dabei muss obliegt es der Kunst neue Systeme zu testen und vorzuleben. Es wird also nicht nur wichtig werden was die Kunst produziert, sondern auch wie. Außerdem räume ich der Kunst eine wichtige Rolle darin ein den Menschen tiefer zu berühren, als es herkömmliche intellektuelle und logische Prozesse können und ihn so empfänglicher für einen rücksichtsvolleren Umgang mit Menschen und Umwelt zu machen.
Was liest Du derzeit?
“Im Grunde gut” von Rutger Bregman.
Ein Buch auf das unsere Gesellschaft zu lange warten musste und das aktueller nicht sein könnte.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
“It’s better than sex. Reading delivers the promise that sex raises but hardly ever can fulfil — getting larger cause you’re entering another person’s language, cadence, heart and mind.”
Chris Kraus, I love Dick
Vielen Dank für das Interview liebe Anna, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Tanz-, Performance und Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen
Anna Possarnig, Tänzerin, Performerin, Choreografin
Alle Fotos_Station bei Ingeborg Bachmann_Wien 6_20.
8.7.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Wunderschöne Gedanken, fabelhafte feinfühlige Tänzerin!
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