Wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Mein Tagesablauf hat sich jetzt nicht so dramatisch verändert: Ich bin auch vorher hauptsächlich allein zu Hause vor dem Computer gesessen. Im Pyjama und mit ungewaschenen Haaren.
Neu ist, dass ich täglich koche und die Spaziergänge an der frischen Luft noch mehr schätze. Neu ist auch eine gewisse neurotische Ader, die jetzt fröhliche Urständ‘ feiert: Kommt mir ein Mensch auf dem Gehsteig entgegen, wechsle ich schon mal die Straßenseite.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich glaube, dass es bei allen schrecklichen Bildern doch wichtig ist, die Hoffnung nicht zu verlieren. Ich vertraue dabei auf die Innovationskraft der Menschheit: Ich bin davon überzeugt, dass es bald ein Medikament geben wird, mit dem man die schweren Fälle behandeln kann. Es gibt bereits Beatmungsventile aus dem 3D-Drucker; Textilfirmen, die Atemschutzmasken für Krankenhäuser nähen und Nachbarschaftshilfen an jeder Ecke. Wir halten Abstand und rücken doch alle näher zusammen.
In Deinem aktuellen Roman „Wer hier schlief“ geht es um Sehnsucht und Liebe im dystopischen Kontext von persönlicher Existenz. Es geht dabei um die Herausforderungen, Wirrungen und Hoffnungen. Auch jetzt wird es ein Neubeginn sein, von dem wir gesellschaftlich wie persönlich stehen bzw stehen werden. Was ist dabei wesentlich?
Im Moment habe ich noch gar kein Bild von diesem Neubeginn. Die Krise legt die Wunden auf die vulnerabelsten Stellen unserer Gesellschaft. Ohne Zweifel ist der Rückzug, ein zeitweiliger Stillstand auch gut für uns und die Welt – wobei ich das jetzt nicht romantisieren will. Was ich bemerke, ist jedenfalls ein immenser Wille, diese Krise gemeinsam zu stemmen – ich spreche hier auch von den wirtschaftlichen Konsequenzen. Schön wäre es, wenn wir diese Haltung in die Normalität 2.0 hinüberretten könnten. Denn sicher ist bisher nur eines: Es wird nicht so werden wie vorher.
Was liest Du derzeit?
Ich habe mir zuerst überlegt, Isolations-Romane noch einmal zu lesen („Die Wand“ von Marlen Haushofer oder „Die Arbeit der Nacht“ von Thomas Glavinic), bin aber jetzt doch dazu übergegangen, Texte zu lesen, in denen das Leben nur so pulsiert, um dieses „Vorher“ nicht zu verlieren: „Ein Mann der Tat“ (Richard Russo) und „Wie später ihre Kinder“ (Nicolas Mathieu). Soeben habe ich eine der Great American Novels von Meg Wolitzer beendet – für mich immer ein Garant für gute Unterhaltung.
Welches Zitat, welche Textstelle aus Deinem aktuellen Roman möchtest Du uns mitgeben?
Lieber ein expressionistisches Gedicht von Jakob von Hoddis – denn Humor wird uns retten. Und wenn nicht, dann macht er das Unerträgliche wenigstens erträglich.
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Vielen Dank für das Interview liebe Isabella, viel Freude und Erfolg für Dein neues Romanprojekt wie Deinen großartigen aktuellen Roman und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Isabella Straub, Schriftstellerin
Aktueller Roman von Isabella Straub: Wer hier schlief_ Verlag Blumenbar bei Aufbau, 2017
Fotos_Stefan Schweiger.
20.3.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Wir halten Abstand und rücken doch alle näher zusammen. – Perfekter Satz.
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