Station bei Malina _ „Lest Bachmann und empört euch!“ Rosemarie Schmitt, Schriftstellerin _ Wittlich/D 31.12.2023

Station bei Malina_
Rosemarie Schmitt, Schriftstellerin_Wienacting Malina _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.

Liebe Rosemarie Schmitt, wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?

Diese Orte sind mir sogar sehr vertraut. Zu erklären vermag ich das nicht, denn ich war niemals zuvor hier.

Rosemarie Schmitt und Walter Pobaschnig

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Ist es nicht arrogant und anmaßend, mein Sein in Bezug auf das zu Bachmann und Malina zu stellen? Nun, ich versuche es dennoch. Ich beschäftige mich mit Ingeborg Bachmann und ihrem Roman schon einige Jahre. Immer wieder. Und mit jedem Wieder bedarf es eines neuen Zuganges, denn ich finde mich nie an selber Stelle wieder.

Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

Spirituell? Esoterisch ICH? Ganz und gar nicht! Und dann war ich in der Ungargasse 6 … und begegnete Malina.

Wie siehst Du den Aufbau und das Konzept des Romans?

Mich spricht beides sehr an. Mich beeindruckt die klare Struktur, hinter der sich irrsinnig viele Verwirrungen verstecken. Verwirrungen den Leser, als auch die Autorin betreffend.

Wenn Du auf das Sprachkonzept von Malina ansprichst, das sehe ich als ebenso verwirrend wie das Konzept. Diesen Roman kann man nicht einfach nur so lesen. Ingeborg Bachmann bedient sich einer metaphysischen Sprache deren Ästhetik mich fasziniert.

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?

Zentrale Themen sind für mich die geschlechtliche Rollenverteilung, die vernichtende Wirkung eines Krieges, die Bewältigung von Ängsten, die Suche nach verbindlicher Liebe, nach Vertrauen und Zuverlässigkeit.

Wie ist die Beziehung zwischen Mann und Frau im Roman dargestellt und wie ist dies heute zu sehen?

Bachmann gibt den Männern in ihrem Roman sehr viel Macht. Zu viel. Manches hat sich diesbezüglich geändert. Und das ist gut so. Indes glaube ich, dass Frauen andere Wege finden müssen, um in dieser Welt gehört und respektiert zu werden. Gendersternchen sind bloß Sternchen. Lustige, kindliche Sternchen. Nichts weiter.

Wie beurteilst Du die Protagonisten Ivan, Malina, Ich-Person in Ihrem literarischen Kontext bzw. dem Kontext der Autorin und Ihrer Biographie?

In jedem dieser Protagonisten steckt mehr als nur eine Person. Ich, als Schriftstellerin, bewundere Ingeborg Bachmann für die beeindruckende Tiefe und Dichte mit denen sie ihre Charaktere ausstattet. Jeder ist viel mehr als nur eine Person. Die stärkste und zugleich schwächste Figur dieses Romans ist für mich die Frau, also die Ich-Person.

Ich weiß, es ist nicht wirklich eine umfassende Antwort auf diese Frage. Ehrlich gesagt, würde ich gerne wochenlang über diese Frage nachdenken und ein Buch darüber schreiben.

Wie siehst Du das literarische Konzept des dreistufigen Aufbaus des Romans?

Nun, ich wünsche, ich hätte es erdacht.

Welches Frauen- und Männerbild spricht Ingeborg Bachmann in Malina an und wie aktuell ist dies heute?

Es ist das Bild des machtvollen Mannes und der gebrochenen Frau. Ein Bild, das mich zutiefst erschreckt, berührt, mir Angst macht. Und dass es mir Angst macht, ängstigt mich am meisten. Diese Angst ist aktuell, ist heute.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Emanzipation und Gesellschaft?

Malina hat direkt nach seinem Erscheinen eine Welle der Empörung ausgelöst. Man sprach von einem unzeitgemäßen, radikalen und eigensinnigen Roman. Das ist ein gutes Zeichen für Einflussnahme! Malina ist nicht in aller, doch in vieler Munde. Malina gehört jedoch in jeden Kopf!

Ich empfehle: Lest Bachmann und empört euch! Empört euch, dass zu Vieles sich nicht änderte, seit Malina

Wie siehst Du das Ende des Romans?

Für Bachmann war es folgerichtig und logisch das einzig richtige Ende. Ein anderes Ende hätte all ihre Aussagen des Romans in Frage gestellt. Es war Mord – was sonst!

Gab es in Deinen Literatur-, Kunstprojekten Berührungspunkte zu Ingeborg Bachmann?

Ich bin der Meinung, dass es diese Berührungspunkte wirklich gibt. Ich fühle manche Parallelen.

Lass es mich in einer Metapher beschreiben:

Die Ritze in der Hauswand der Ungargasse 6, in der die Ich-Erzählerin aus Malina verschwindet, um zu sterben, – also ich war dort und sah. Sah, die Sonne und das Licht hinter dieser Ritze. Ich verschwände auch darin, nicht jedoch um zu sterben, sondern um zu leben.

Du hast wie Ingeborg Bachmann vor als Schriftstellerin nach Wien zu ziehen. Was bedeutet Dir Wien und welche Inspirationen erwartest Du?

Ich bin ja nun nicht mehr die Jüngste und habe demzufolge bereits viele Städte gesehen. Doch keine andere Stadt erlebte und erlebe ich wie Wien. Es fühlt sich gut und richtig an. Nirgendwo packt mich die Schreiblust stärker als in Wien. Wenn das für eine Schreibende kein Grund ist, nach Wien zu ziehen!

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Ich arbeite an meinem zweiten Anekdoten-Band, in dem es um die oft kuriosen Leben von Komponisten geht. Wie in meinem ersten Band „Ruhet sanft, gefälligst!“, in dem ich mir die schreibende Zunft vorknöpfte, lebe ich dort meine Wortverspieltheit und meinen Humor aus.

Ich freue mich auf meine Tätigkeit als Dozentin für Kreatives Schreiben, in der ich hoffentlich viele Jugendliche für das Schreiben begeistern kann.

Der Gedanke, mit meinem in Arbeit befindlichen Romanprojekt am Bachmann-Wettbewerb 2024 teilzunehmen, lässt mich dieser Tage nicht los…

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Einen? Nur einen Tag? Ich hätte gerne viele Tage und Nächte mit ihr verbracht. Rauchend, redend, zuhörend, schweigend, lachend, weinend, trinkend, schimpfend, fragend, beobachtend, schreibend, lesend, philosophierend, gewinnend… Und du fragst nach EINEM Tag?!

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina Akrostichon bitten?

Mal

Angenommen

Liebe

Ist

Niemals

Alles …

Station bei Malina_
Rosemarie Schmitt, Schriftstellerin_Wienacting Malina _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Rosemarie Schmitt, Ralf Schmitt (rechts), Walter Pobaschnig

Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971

Rosemarie Schmitt, Schriftstellerin _ acting Malina

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig

https://literaturoutdoors.com 12/23

Ein Gedanke zu „Station bei Malina _ „Lest Bachmann und empört euch!“ Rosemarie Schmitt, Schriftstellerin _ Wittlich/D 31.12.2023

  1. Zwar ist mir „Malina“ von Bachmann nicht bekannt, jedoch die Antworten von Rosemarie Schmitt sind eine großartige Mischung aus Information und Bewertung des Romans. Vor allem inspirieren die atmosphärisch dichten Fotos, insbesondere die in Schwarz-Weiß, deren Motive auf die Romanhandlung Bezug nehmen, zur Lektüre.

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