Lieber Christian Kühne, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Rechnungen zahlen, Strafzettel sammeln, Blumen stehlen, in Kaffeehäusern mit Wildfremden streiten, Schlägereien vermeiden, Schulden begleichen, Hausaufgaben vergessen, die Stromrechnung verdrängen, die Nachbarn um Salz und Milch anschnorren… das übliche halt.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Freundschaft. Politik und Wirtschaft nehmen immer menschenverachtendere Positionen ein, da kann nur eine extraparlamentarische Opposition, die nicht faschistisch gesinnt ist, etwas ausrichten. Also solidarisch sein miteinander. Anfangen, sich zu wehren.

„DAIMON. DIE NAMENLOSE“ WERK X-Petersplatz, Wien 1010.
Spieltermine _Premiere: Dienstag, 16.05.2023 & Mittwoch 17.05.2023.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, dem Theater, der Kunst an sich zu?
Ich kann da nur für mich sprechen, wenn ich meinen überdimensionierten und wie ich meine sehr gesunden Hass für das Fachgesimple, die Freunderlwirtschaft, das Bürokratendasein, die Instagrams und Facebooks, die Preise und Auszeichnungen und was es sonst noch alles gibt behaupte. Das Theater war für mich immer ein Ort der Begegnung, in dem sich Menschen begegnen und eine Wirklichkeit verhandeln, die uns alle berührt. Wo man auf die Suche geht, sich gemeinsam auf den Weg macht und drauf pfeift, ob das Endresultat nestroytauglich ist.


Was liest Du derzeit?
Fasching von Gerhard Fritsch, ein großartiges Buch.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
« Ich trinke zu viel
Ich rauche zu viel
Ich sterbe zu langsam. »
Zahnfäule in Paris, Heiner Müller
Christian Kühne, Schriftsteller
Zur Person_Christian Kühne
1992 in Wien geboren, wuchs an der italienischen Adria bei Triest auf. Nach seinem Schulabschluss zog es ihn nach Paris, wo er an der Université Paris 1 La Sorbonne Philosophie studierte und erste literarische Texte zu verfassen begann. 2011 gab er mit dem Roman „Ithaka“ sein Debüt als Autor. Seitdem hat er u. a. den Erzählungsband „Tarantole“ veröffentlicht und einen weiteren Roman „Der Schrei“ geschrieben. Neben seiner literarischen Tätigkeit arbeitet er seit 2015 in engem Kontakt mit mehreren internationalen Künstler*innen, darunter der Pariser Maler Arsène Welkin, der Graphiker Simone Ellero und der italienische Regisseur Giovanni Aloi. 2015 wurde ihr gemeinsamer Kurzfilm „E.T.E.R.N.I.T.“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig gezeigt und das Drehbuch zum Film „La Troisième Guerre“ gewann beim internationalen Kurzfilmfestival Festival du Court-Métrage de Clermont-Ferrand.
Als Mitbegründer des theater der sprachfehler zeigt er sich gemeinsam mit Andreas Jähnert seit 2017 für etliche Produktionen im In – und Ausland verantwortlich, im WERK X-Petersplatz ist u. a. in der Spielzeit 2018/19 die Trilogie „Rost“ zu sehen.
Er schreibt auf Italienisch, Deutsch und Französisch.
Aktuelle Produktion _ Text _ Christian Kühne _ „DAIMON. DIE NAMENLOSE“ _

„DAIMON. DIE NAMENLOSE“ WERK X-Petersplatz, Wien 1010.
Spieltermine _Premiere: Dienstag, 16.05.2023 & Mittwoch 17.05.2023.
Isoliert in ihrer Wohnung, begibt sich eine Frau* auf die Suche nach einer neuen Form des Seins, die unabhängig ist von allen Prägungen, Erfahrungen, äußeren Bildern und Einflüssen.
Sie glaubt, diesen Zustand im Wahnsinn zu finden, der ihr schon einmal in einer Klinik genommen wurde. Auf der Suche nach neuen Bildern einer anderen Existenz stellt sie ihre Identität in Frage, ihr Geschlecht und ihre Rolle in der Gesellschaft. Während dieses Prozesses erblindet sie.
Ihr einziges Werkzeug ist eine Kamera, die ihren Blick ersetzt.
Von den Gespenstern ihrer Vergangenheit eingeholt, bemächtigt sie sich dieser. In ihrem radikalen Kampf um Autonomie, nimmt sie auch den Zerfall ihres Selbst in Kauf. Wird die Namenlose am Ende, wenn sie sich von allem gelöst hat, bestehen?
Der im Stück benannte „Bildverlust“ wird als zentrales Thema aufgegriffen.
Als Resultat der Bilder, die uns konstant umgeben und die unser Selbst- und Fremdbild sowie die Idealisierung und Stereotypisierung dieser wesentlich mitbestimmen.
Ist es möglich, aus der Spirale von (Wahn-)Vorstellungen und Projektionen sowie den damit verbundenen seelischen Verletzungen auszubrechen, diesen Mustern eigene Bilder entgegenzusetzen? Oder bleiben diese stets nur Reaktionen auf augenscheinliche Wahrnehmungen und Erinnerungen und somit unweigerlich mit jeder (optischen) Vorgabe verknüpft? Können die Grenzen der Bilder in unseren Köpfen lediglich verschwimmen oder tatsächlich aufgehoben werden? Was passiert, wenn wir nicht mehr dem entsprechen, was von uns erwartet wird?
Um eine neue Perspektive einnehmen zu können, treten die anderen Sinne in den Vordergrund. Musik, Geräusche, die Magie der Sprache, Bewegung sowie das körperliche Erspüren des Raumes als Widerstand führen zum Aufreißen scheinbarer Sicherheiten und Strukturen.
„DAIMON. Die Namenlose“ bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Theater, Literatur und Film. Inspiriert von Sylvia Plath, Ingmar Bergman, Virginia Woolf und Anderen, beschäftigt sich die Inszenierung mit Trauma, psychogener Blindheit, Identität und der Möglichkeit eines freien, selbstbestimmten Lebens im Spannungsbogen von Verzweiflung und Euphorie.

Text / Christian Kühne
Ina Jaich | Regie, Schauspiel (rechts) _ Jennifer Mattes | Regie, Bühne, Kostüm, Video
„DAIMON. DIE NAMENLOSE“ _ von Christian Kühne
Uraufführung. Eine Produktion von zij in Kooperation mit WERK X- Petersplatz
Inszenierung: Ina Jaich, Jennifer Mattes
Text: Christian Kühne
Live-Musik, Komposition: Antonia Dering
Bühne, Kostüm, Video: Jennifer Mattes
Mentoring: Luk Perceval
Dramaturgie, Regieassistenz: Laura Brechmann
Recherche: Zeynep Alan
Produktionsleitung: Magdalena Stolhofer
WERK X-Petersplatz, Wien 1010. Spieltermine _Premiere: Dienstag, 16.05.2023 & Mittwoch 17.05.2023.
Beginnzeit: 19.30 Uhr
DAIMON. Die Namenlose
Fotos _Portrait: Federico Epifanio; Produktion: Arthur Summereder;
10.5.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.