Bachmannpreis – Rückblickinterview: „Ich habe mehr als ein Jahr, fast zwei, nicht mehr weitergeschrieben“ Gudrun Seidenauer Schriftstellerin, Bachmannpreisteilnehmerin 1999 _ Salzburg 20.4.2023

Liebe Gudrun Seidenauer, Du hast 1999 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung? Welche Erwartungen hattest Du?

Robert Schindel hat mich eingeladen, ich sah das Ganze als Chance und fühlte mich erstmal einfach geehrt und habe mich gefreut.

Gudrun Seidenauer, Schriftstellerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 1999

Im Verlauf der Bachmannpreisgeschichte gibt es immer wieder Veränderungen im Setting und des Ablaufes. Wie war es damals bei Dir und wie hast Du das Ankommen, die organisatorische und kollegiale Begleitung erlebt?

Ich hab schon einiges vergessen, fand aber, dass das Kennenlernen unter den Kolleg*innen ein bisschen zu kurz gekommen ist. Manche waren sehr freundlich und offen, andere recht kühl und im Konkurrenzmodus – vielleicht einfach ehrlich, aber mich hat es eingeschüchtert. Es wurde ein kleiner Film zur Vorbereitung gedreht, die Leute waren nett, aber mir war es etwas zu viel. Ich wollte meine Texte sprechen lassen und habe erst damals richtig realisiert, dass es ganz stark auch um mich als Person bzw. um die inszenierte Person geht. Damit konnte ich nicht souverän umgehen, aber anderen ging es ähnlich und es war so weit ok. Ein Stück Entfremdung war es, ich hatte wenig Vorstellung davon und bin eher naiv herangegangen.

Alles andere Organisatorische, die Ankunft, die Begleitung etc. waren sehr professionell und freundlich.

Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?

Nein, nur zu Robert Schindel. Mit anderen Juror*innen habe ich nicht gesprochenund es hat auch niemand Kontakt gesucht. Die Juror*innen und Teilnehmer*innen wurden einander vorgestellt, ich erinnere mich, besonders bei zwei Frauen beim kurzen Kontakt ein unbestimmtes, aber deutliches „ungutes Gefühl“ empfunden zu haben, was sich später zu bestätigen schien. Die Juroren haben fast nur mit den eigenen Kandidat*innen gesprochen. Es gab schon freundliche und vorsichtige Kontakte unter den Lesenden, ganz unterschiedlich und ungezwungen, vor allem VOR den Lesungen. Danach stieg die Spannung ziemlich, vor allem die, die schlecht abgeschnitten hatten, wurden eher gemieden, scheint mir.

In welchem Hotel und wie war die Unterbringung und an welche Begleitveranstaltungen erinnerst Du Dich?

Ich erinnere mich nicht ans Hotel, war alles unauffällig in Ordnung.

Wie gestaltete sich die Auswahl für die Lesungstermine und wann hast Du gelesen?

Ich weiß es nicht mehr. Irgendwann ziemlich in der Mitte der Veranstaltung.

Wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet? Gab es da eine organisatorische Begleitung?

Ich habe meinen Text öfters laut gelesen, auch mit Robert Schindel. Organisatorisch gab es nur die Termine, wann ich wo sein sollte.

Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?

Einen Text aus meinem erst 6 Jahre später erschienen ersten Roman „Der Kunstmann“ Residenz Verlag, 2005.

Wie gestaltete sich die Jurydiskussion zu Deinem Text. Wie hast Du diese persönlich erlebt und wie beurteilst Du diese? Hast Du Dich auch in der Diskussion zu Wort gemeldet?

Ich war über die Heftigkeit in der Wortwahl bei drei Jurorinnen völlig überrascht. Die Ablehnung war massiv. Ich erinnere mich an Robert Schindels erschrockenen und perplexen Blick, er hat den Text ebenso wie Dieter Bachmann (der damalige Herausgeber der Zetischrift „DU“) ruhig, aber vehement verteidigt. Die Worte „Kitsch“ und „anmaßend“ waren wirklich kränkend. Es wirkte, als würde über mich als Person verhandelt werden. Ich bin mir sehr entwertet vorgekommen und habe gleich gemerkt, dass ich keine Distanz herstellen kann. Ehrlich gesagt habe ich mich auch für meine mangelnde „Coolness“ gegenüber dem Ganzen geschämt, was es noch schlimmer gemacht hat. Ich fand für diese Urteile aber keinerlei sachliche Begründung und nachvollziehbare Argumentation und hatte den Eindruck, in einem rhetorischen Schlagabtausch zum Spielball zu dienen.

Mit welchem Feedback und persönlichen Emotionen hast Du den Lesungsort danach verlassen?

Einige Leute haben mich bedauert, was es nicht besser gemacht hat. Ich war ziemlich verstummt und habe auch sehr an meine Schreiben gezweifelt. Ich merkte auch, dass man sofort uninteressant wurde für Medien und Leute aus dem Betrieb. Vielleicht projizierte ich aber auch dazu, ich war zu durcheinander und wollte am liebsten gleich weg.  Ich habe mehr als ein Jahr, fast zwei, nicht mehr weitergeschrieben, aber vieles andere gemacht. Und doch auch einiges über mich und meine Grenzen gelernt.

Wie hast Du die Zeit unmittelbar nach der Lesung verbracht und was war für Dich da wichtig? Gab es Gespräche danach mit Jury, Mitlesenden?

Mit Robert Schindel und Dieter Bachmann, die mich nach Kräften (aber damals vergeblich) aufrichten wollten. Ich konnte mir eigentlich keinen Zuspruch holen, da ich mich zu sehr mit dem negativen Urteil identifiziert hatte und teilweise glaubte, die negativen Stimmen hätten recht. Ich konnte nichts mehr relativieren und einschätzen. Die gefühlte Häme in gewissen Wortmeldungen hatte mich völlig überfordert und ich fragte mich, woher dieser geradezu geifernden Ton bei manchen kam.

Welche Reaktionen gab es nach Deiner Lesung und wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?

Ich erinnere mich an eine sehr freundliche Reaktion von Gerd Scobel von 3sat, der sich auch über den Ton einer Jurorin ausließ. Einige Zuhörer kamen auf mich zu und drückten aus, dass ihnen der Text gefallen hätte, aber das „hörte“ ich sozusagen nicht mehr. Ich habe noch drei oder vier Lesungen gehört, bin aber vor der Preisverleihung abgereist.

Welche Erinnerung hast Du in Abstand und Resümee an den Bachmannpreis? Welche Erfahrungen hast Du da gemacht?

Ich habe viel über konstruktive und wohlwollende Kritik nachgedacht und handle diesbezüglich sehr bewusst im Umgang mit meinen Schüler*innen, aber auch bei Kritik unter Kolleg*innen. Ich habe auch viel über die medialen Inszenierungen und den theatralen Charakter des Ganzen gelernt und meine Naivität bzgl. deren Mechanismen abgelegt. Zudem war mir meine Vulnerabilität viel zu wenig bewusst, da habe ich viel gelernt, schütze mich besser und setze mich nicht jeder Situation aus.

Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische Laufbahn beeinflusst?

Zunächst folgte eine lange Schreibpause, in der ich nicht wusste, ob ich das Projekt weiterverfolge, und auch recht deprimiert in Bezug auf das Schreiben war. Ich habe es dann doch zu einem guten Ende gebracht und für genau diesen Text plus Erweiterung das Staatsstipendium und eine Publikation bei Residenz bekommen. Es hat aber Jahre gedauert. Ich war beim Schreiben irgendwann wieder mutig, aber beim Veröffentlichen zögerlich.

Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?

Nein, sporadisch zu Robert Schindel.

Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?

Auf keinen Fall. Ich habe die Wirkung klar unterschätzt, besonders rate ich niemandem wie ich damals ohne Verlag hinzugehen.

Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?

Die Texte sollten anonymisiert sein. Eventuell von Schauspieler*innen gelesen? Alle Faktoren, die nicht den Text selbst betreffen, sollten minimiert werden. Wird nicht klappen, weil dann die “Show“ leidet.

Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?

Ich wünsche ihnen, dass sie sich ehrlich fragen, ob sie mit dieser Situation der öffentlichen Wahrnehmung und vor allem der Beurteilung umgehen können. Man sollte loyale Freunde dabeihaben.

Welche Erinnerung hast du an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?

Kann mich nicht recht erinnern. Ländlich, ruhig, schön, Badewetter….

Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?

Gerade ist mein neuer Roman erschienen. Weiteres ist noch offen, aber ich freue mich wieder auf die Zeit, etwas sich annähern lassen zu können.

Vielen Dank für das Interview, liebe Gudrun Seidenauer, und alles Gute!

Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:

Gudrun Seidenauer, Schriftstellerin _ Bachmannpreisteilnehmerin 1999

Zur Person_Gudrun Seidenauer

geboren 1965 in Salzburg, lebt in Adnet, Studium der Germanistik und Romanistik. Autorin und Lehrerin am Musischen Gymnasium Salzburg für Deutsch und Kreatives Schreiben. 1991-2018 Erwachsenenbildnerin, Leiterin von Schreibwerkstätten für Erwachsene und Jugendliche

Veröffentlichungen:

Aktueller Roman_ Gudrun Seidenauer, Libellen im Winter. Jung und Jung Verlag (2023)

432 Seiten, gebunden mit SU
auch als E-Book erhältlich

WG: 1112
ISBN: [978-3-99027-274-9]

Preis: € 24,-
erschienen am 23.2.2023

Libellen im Winter

„Libellen im Winter“ Gudrun Seidenauer. Roman. Jung und Jung Verlag.

Was wir einander nicht erzählten. Milena Verlag (2018)

Zuvor drei Romane im Residenz Verlag: Der Kunstmann (2005)

Aufgetrennte Tage (2009), Hausroman (2013)

Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien

Preise und Stipendien: u.a. österreichisches Staatsstipendium für Literatur, Rauriser Förderungspreis, Lyrikpreis des Landes Salzburg und Jahresstipendium des Landes Salzburg

Foto_Barbara Klein

Bachmannpreisrückblickinterview_

Walter Pobaschnig, Interview 28.3.2023

https://literaturoutdoors.com

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