„Für uns stand fest, dass ein Atomkrieg oder ähnliches das Leben früher als gedacht/erhofft beenden würde“ Roland Adelmann, Schriftsteller _ Ruhrpott/D 8.4.2023

Lieber Roland, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Sehr diszipliniert. Bin ich früher auch mal so gegen 15./16.00 Uhr aufgestanden, geht es bei mir mittlerweile spätestens ab 7 Uhr morgens los.

Zurzeit schreibe ich in der Regel 3-4 Gedichte in der Woche, manchmal auch am Tag, ansonsten nimmt mich der Verlag den gesamten Tag über in Beschlag. Übrigens auch am Wochenende, wenn nichts anderes ansteht.

Seit Corona habe ich so praktisch 3 Jahre durchgearbeitet, und durchgearbeitet bedeutet in diesem Zusammenhang auch durchgearbeitet, also einschließlich Weihnachten, Silvester, Neujahr. In meinen jungen wilden Jahren habe ich dagegen gern die Arbeit schleifen lassen, schlicht und ergreifend deshalb, weil ich mir nicht ausmalen konnte, was ich als Rentner machen sollte. Das Ziel meiner Elterngeneration, Arbeiten, Fleißigsein, Sparen und dann das Rentnerleben genießen, hat sich mir nie erschlossen. Für uns stand fest, dass ein Atomkrieg oder ähnliches das Leben früher als gedacht/erhofft beenden würde, und deshalb wollten wir im Moment leben. Dafür bin ich heute sehr dankbar. Denn die 1980er waren die geilsten Jahre der Menschheitsgeschichte (sic!). Das kann dir niemand zurückgeben. Und arbeiten kann man unter Umständen schließlich bis ultimo, was ich zumindest vorhabe. Andere spielen sogar noch mit 80 Präsident. Und ich glaube auch nicht, dass es unbedingt ein Ziel sein sollte, am Lebensabend mit Kreuzfahrtschiffen die Umwelt umzupflügen.

Roland Adelmann, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Endlich mal den Kopp wieder aufmachen und mehr Bücher lesen. Ich gehöre bestimmt nicht zu den Leuten, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Sozialen Medien verteufeln. Ich mein, wenn wir vor die entscheidende Frage gestellt werden: Internet – ja oder nein?, würde ich sie mit nein beantworten, aber das hat andere Gründe. Es gibt ne Menge positive Aspekte, die die digitale Welt mit sich gebracht hat, obwohl ich sie gerne in meinen Texten aufs Korn nehme. Aber die SM verleiten auch dazu, einen Haufen Mist aufzusaugen, der das Gehirn dermaßen vermüllt, dass immer mehr Menschen, ich sag es mal so, den Durchblick verlieren lässt. Die Inhalte werden immer weiter verkürzt, sodass bald viele nicht mehr in der Lage sind, sich wirklich mit einem Thema grundlegend auseinanderzusetzen. Und dazu ist oftmals nicht ein Buch ausreichend, sondern möglicherweise 3, 4 oder mehr – zu einem Thema wohlgemerkt. Das ganze Zusammenspiel ist äußerst komplex, aber es wird permanent versucht, alles in einem oder zwei nichtssagenden Sätzen zu erklären. Kurze, schnelle Botschaften, die die Welt erklären sollen und womit sich viele zufrieden geben, weil bequem und einfach und vor allem genügend Zeit für die eigenen Hobbys lassend. So wird das bestimmt nie etwas mit einer direkten Demokratie, die gerade im digitalen Zeitalter machbar wäre, und ermöglichte, dass leidige Parteiensystem mit ihrer Klientelpolitik abzuschaffen und das Volk direkt an den Entscheidungen teilnehmen zu lassen. Wir brauchen keine Führer, die uns immer wieder ins Verderben marschieren lassen!

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Das ist so eine Sache mit der Literatur. Im Grunde trifft sie ja nur auf Gleichgesinnte, trifft also nur auf fruchtbaren Boden, sofern sie keinen kommerziellen Zwecken dient, und erreicht eben nicht die, die einem Aufbruch respektive Neubeginn im besten Fall skeptisch gegenüberstehen. Ich sehe die einzige Chance, dahingehend etwas zu ändern, nur in den Schulen. Die noch unbeeinflussten Kinder wieder an die Literatur, an Bücher heranzuführen. Nur befürchte ich, geht die Entwicklung gerade da ausgerechnet in die andere Richtung, eben in die digitale Welt, was sicherlich auch vonnöten ist. Aber was früher schon oft nicht funktioniert hat, die Buchmuffel ans Lesen zu bringen, wird heute erst recht nicht klappen. Insgesamt wird die Literatur bzw. das Lesen zukünftig einen schweren Stand haben, neue Impulse zu setzen, stattdessen mehr und mehr zur Unterhaltung verkommen. Die Kunst im weitesten Sinne trifft dagegen auf eine breitere Masse, einem Event-Publikum, dass weniger kulturinteressiert ist. Ich erinnere mich da an eine Ausstellung im Oberhausener Gasometer, die sich um das Thema Klimawandel und Umweltzerstörung drehte. Mir war das zwar zu publikumswirksam und vorhersehbar in Szene gesetzt, aber dem überwiegenden Teil des Publikums schien es zu gefallen und hat sich davon beeindrucken lassen. Aber da sind wir schon wieder bei den einfachen Botschaften, eben Bilder von Naturkatastrophen und Umweltzerstörung -in diesem Fall zum Glück die richtigen, aber ich weiß nicht, ob das reicht. Ohne die grundlegenden Zusammenhänge zu erkennen und auf sich zu beziehen, wird sich langfristig gravierend nichts ändern. Ich kann zum Beispiel ein Abnehmen des Autoverkehrs, das immens wichtig wäre für eine nachhaltige Wende, nicht erkennen. Und wenn wie jetzt wir von einer Krise in die nächste jagen, dann werden die zaghaften Ansätze schnell über Bord geworfen.

Was liest Du derzeit?

In meiner Freizeit lese ich am liebsten Sachbücher, durch die Arbeit bin ich ja den ganzen Tag mit Literatur konfrontiert. Zurzeit ist das das Buch „Kaiserdämmerung“ von Rainer F. Schmidt, das besonders die Ursache des 1. Weltkriegs beleuchtet und insofern topaktuell ist. Vor allem ist es spannend zu sehen, dass damals schon mit den Mitteln des Populismus und der Falschmeldungen versucht wurde, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Im Übrigen zitiere ich gerne aus solchen Büchern in meinen so genannten Cutpoemen und stelle sie in Kontext mit aktuellen Ereignissen, was oft zu der Erkenntnis führt, dass sich scheinbar so viel im Denken nicht verändert hat. Im Gegenteil, ich hab vielmehr den Eindruck, dass wir uns dem alten, konservativen eher wieder annähern, nachdem wir uns sukzessive im Laufe der spießbürgerlichen Nachkriegszeit davon zu lösen schienen. Ganz aktuell will Virginia zum Beispiel das Auswerten von Menstruationsdaten verbieten. Wie gesagt, es geht irgendwie oft in die falsche Richtung, obwohl klar sein müsste, wohin die Reise gehen sollte.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Dann zur Abwechslung ein Negativ-Zitat aus dem Cutpoem „Dieses Training macht uns stärker“ (was übrigens einer Fernsehreportage entsprang):

Und ich genieße meine Tränen ganz egal
ganz egal diese schwule Propaganda
                                                           zerstört
unsere Kultur
                     unsere Gesellschaft
                                                    unsere Werte
Männer und Frauen verlieren ihre Orientierung
& werden immer schwächer all diese gefährlichen
äußeren Einflüsse in der Welt und die Alltags
Probleme können uns so einfach brechen da
ist es auch egal wer du bist deine Werte werden
dadurch komplett verdorben dieses Training
dagegen macht uns stärker härter der Geist
wird zu neuem Leben erweckt und wir sind
                                                                     unzerstörbar
tönt es aus dem Box Club Ural Renaissance

Vielen Dank für das Interview lieber Roland, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Roland Adelmann, Schriftsteller

Zur Person_ Roland Adelmann, geb. 1965 in Krefeld, lebt seit über 3 Jahrzehnten im Ruhrpott. Erste Veröffentlichung im letzten „Gasolin 23“ (1986); schlug Ende der 1980er auf Sessions der KünstlerInnengruppe „Flown“ im Rahmen seiner Performance „Wollt ihr den Totalen Müll“ auf Mülltonnen ein und beschmiss das Publikum mit Abfall. Mitherausgeber der richtungsweisenden Underground-Anthologien „Downtown Deutschland“ (1992) und „Asphalt Beat“ (1994); zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: „Die Zukunft stirbt zuerst“, Roman 2021, Edition Outbird / „Bürger-Arrest“, Cut-Poems, 2022, RUP. Seit 1992 Betreiber des Vertriebs und Verlags „Rodneys-Underground-Press (RUP)“ (www.undergroundpress.de).

Foto_privat

27.2.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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