Liebe Alina, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Sehr unterschiedlich. Aber in den meisten Fällen beginnt er mit Frühstück (in Richtung Wochenende gerne auch mit einem weichen Ei) und endet mit einem Spaziergang durch den 9ten Bezirk. Dazwischen liegt tägliche eine neue Komposition aus Aufgaben rund um meine Bücher, Kundenterminen für mein Storytelling-Unternehmen Textory und Treffen mit den Menschen, die mir wichtig sind. Es ist schön so viel Variables im Tag zu haben.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Wir brauchen mehr positive Zukunftsnarrative. Wir können uns aktuell sehr gut vorstellen, wie alles wird – „wenns nix mehr“ wird. Aber wie unsere Zukunft aussehen könnte, wenn sie gut wird – dazu fehlen uns oft die Geschichten. Ich denke, dass in guten Geschichten Bilder und Visionen zu finden sind, die eine neue Realität überhaupt erst denkbar machen.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Allen voran ist das meiner Meinung nach Toleranz. Ich habe das Gefühl, dass oft schon bevor jemand ein Argument zu Ende formuliert hat, die erste Wertung dagegen in Stellung steht. Dabei brauchen wir gerade jetzt, in einer Zeit von verkrusteten Verhärtungen, die Fähigkeit andere Meinungen zu akzeptieren. Und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft.
Die Kunst kann dabei einen Raum erschaffen, einen Moment des Innehaltens, eine voreilige Wertung vielleicht verhindern. Weil sie zum Beispiel wie ein Spiegel wirkt auf das eigene Sein, oder aber eine völlig andere Lebensrealität überhaupt erst begreiflich macht. In jedem Fall aber einen Perspektivenwechsel ermöglicht. Und ich denke, je mehr Perspektiven der Mensch sieht oder sogar erlebt, desto leichter kann ihm Toleranz auch fallen.
Was liest Du derzeit?
„The Seven Moons of Maali Almeida” von Shehan Karunatilaka, ein Roman über den Bürgerkrieg in Sri Lanka, der 2022 mit dem Booker Prizes ausgezeichnet wurde und
„Der bittere Weg“ von Ella Maillart, die Erzählungen über einen Roadtrip zweier Frauen von der Schweiz bis nach Afghanistan in den 1930er und 40er Jahren.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Besser ein paar Brandblasen, als ein ganzes Leben lang kalte Finger.“ (Christine Nöstlinger)

Vielen Dank für das Interview liebe Alina, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Alina Lindermuth, Schriftstellerin
Zur Person: 1992 in Villach geboren. Nach dem Schulabschluss ging sie nach Indien, im Anschluss folgten Studien der Südasienkunde, BWL und VWL in Wien und Singapur. Ihre Kurzgeschichte „Zum Schreien“ wurde 2010 mit dem Bachmann Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. 2020 erschien ihr Debütroman „Die Wahrscheinlichkeit des Zufalls“ (Text/Rahmen Verlag). 2022 war sie Writer-in-Residence in Sri Lanka, Stipendiatin der Werkstatt für junge Literatur und erhielt den Sonderpreis des Wiener Werkstattpreises.
2023 erschien ihr zweiter Roman „Fremde Federn“ (Kremayr&Scheriau).

Buchinfo zum aktuellen Roman _Fremde Federn:
Wer kümmert sich um Oma?
Was passiert, wenn ein Familienmitglied plötzlich auf Pflege angewiesen ist? Alina Lindermuth fängt ein, was sonst im Verborgenen bleibt.
Tom zieht bei seiner Großmutter ein und erfüllt ihr den Wunsch eines lang ersehnten Hühnerstalls im Garten. Die unkonventionelle Wohngemeinschaft funktioniert überraschend gut, bis Rosmarie nach einem Unfall nicht mehr allein zurechtkommt. Neben seinem Start-Up-Job ist Tom überfordert mit der Situation und entscheidet sich schließlich für ein 24-Stunden-Pflegemodell. Als dann Betreuerin Kata ins Haus kommt, blüht Rosmarie auf. Doch der zweiten, Josipa, traut sie nicht über den Weg. Hat sie es etwa auf die Hühner abgesehen?
Fotos_Mercan Falter
16.2.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.