„Wir brauchen Literatur und Kunst, um am nächsten Tag weiterzumachen“ Elisabeth Klar, Schriftstellerin _ Wien 27.1.2023

Liebe Elisabeth, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Arbeit im Büro, danach laufe ich von einem Termin zum anderen, weil zwischen Schwangerschaft, Übergabe in der Arbeit und Buchpublikation einfach viel zu tun ist. Wenn ich daheim bin, schlafe ich ein, sobald ich mich auf die Couch lege.

Elisabeth Klar, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Wir leben in einer extrem dynamischen Zeit, in der sich die Welt um uns rapide verändert, und dabei nicht unbedingt freundlicher wird. In solchen Zeiten ist es verlockend, entweder alles zu ignorieren, was um uns so vor sich geht, oder an überholten Gewohnheiten und Vorstellungen festzuklammern, mit dem Gedanken, dass wir uns so vor diesen furchterregenden Veränderungen retten können. Es ist auch leicht, in Schwermut zu verfallen. Wie mit all dem umgehen? Ich habe auch keine endgültige Antwort, natürlich nicht, auch wenn ich mich immer wieder in meinen Texten damit auseinander setze.

Ich denke aber, dass es in solchen Zeiten wichtig ist, genauer darauf zu schauen, was ich beeinflussen kann und was auch nicht, wofür ich Verantwortung übernehmen kann und muss, und wo ich mit geschichtlichen Ereignissen konfrontiert bin, die größer sind als ich.

Ich bin auch überzeugt davon, dass unsere beste Chance immer noch mit einer Menschenwelt einhergeht, die in vieler Hinsicht von weniger Machtungleichheit geprägt ist. Denn ja, die multiplen ökologischen Krisen sind von Menschen verursacht – aber eben nicht von allen Menschen gleich viel. Und es sind auch nicht alle Menschen gleich stark von den Konsequenzen betroffen.

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Literatur und Kunst sind Auseinandersetzung mit der Welt, ein Akt des Verstehens, Denkens, Urteilens (im Sinne Hannah Arendts), und zugleich bereits eine Transformation. Es sind ganz wichtige Werkzeuge, die Menschen immer schon verwendet haben, um mit schwierigen und hochkomplexen Situationen und Problemen fertig zu werden. Und dann sind Literatur und Kunst auch einfach Katharsis, Rausch, Freude, Lust, Eskapismus. Und beides ist notwendig, wenn die Lebensumstände widrig werden – sich mit der Welt zu auseinander zu setzen, und ihr dann wieder für eine Weile zu entfliehen. Das brauchen wir wie wir den Schlaf brauchen, um am nächsten Tag weiterzumachen.

Was liest Du derzeit?

Das Institut, von Lisa Spalt, daneben Angabe der Person von Elfriede Jelinek und Unser Deutschlandmärchen von Dinçer Güçyeter.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Ein Zitat aus Es gibt uns, das gerade eben erschienen ist:

„Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene?“, fragt der Chor.

Die Menge antwortet: „Ins Theater!“

„Du hast zerrissene Stiefel?“

Und wieder tönt es: „Ins Theater!“

„Du hast nichts zum Tauschen und doch Hunger?“

„Ins Theater!“

„Du legst Vorräte an und versteckst sie gut?“

„Theater!“

Immer lauter wird die Menge, bis sie schreit, sich das Zögern aus dem Leibe schreit, bis sie sicher ist, dass das die Antwort auf alles ist: „Theater!“

Elisabeth Klar, Schriftstellerin

Vielen Dank für das Interview liebe Elisabeth, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Elisabeth Klar, Schriftstellerin

Fotos_privat.

Zur Person_Elisabeth Klar, geboren 1986 in Wien, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Transkulturellen Kommunikation. Elisabeth Klar hat zahlreiche Preise erhalten, u. a. war der Text „An den vielen Ecken“ im Finale des FM4-Wettbewerbs Wortlaut (2013). Das gefeierte Debüt „Wie im Wald“ erhielt den Förderpreis der Stadt Wien und stand auf der Shortlist des Rauriser Literaturpreises 2015, 2017 erschien der Roman „Wasser atmen“ und 2020 der Roman „Himmelwärts“. Zuletzt erschienen: „Es gibt uns“ (2023).

Aktueller Roman_Elisabeth Klar „Es gibt uns“ Roman. Residenz Verlag 2023.

Ein posthumanistischer Utopieroman, ekstatisch und unglaublich hellsichtig.

In Anemos, einer postapokalyptischen verstrahlten Stadt, hat sich eine prekär ausbalancierte Gemeinschaft aus Mischwesen und Mutant*innen gebildet – für das gemeinsame Überleben braucht es die Leuchtqualle Oberon, die die Wasserversorgung der Stadt sicherstellt, aber auch die geweihbewehrte Titania, die für die wilden Feste der Stadt sorgt. Doch eines Jahres endet das Fest Walpurgis mit Oberons Tod im Liebesspiel – und das kleine Schleimtierchen Müxerl muss Oberons Aufgaben übernehmen. Denn: Was du kaputt machst, musst du richten, so verlangt es das Gesetz von Anemos. Was, so fragt Elisabeth Klar, kommt nach dem Anthropozän? Und welche Gesetze kann sich eine Gesellschaft geben, um unter widrigen Umständen nicht nur zu überleben, sondern auch leben zu wollen?

https://www.residenzverlag.com/buch/es-gibt-uns

25.1.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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