„Tanz lässt das Unbewusste sprechen“ Nadja Puttner, Tänzerin/Choreographin _ Uraufführung „ONXT!“ _Theater Arche Wien 5.1.2023

Nadja Puttner, Tänzerin/Choreographin _ performing „ONXT!“
Nadja Puttner, Tänzerin/Choreographin _ performing „ONXT!“

Liebe Nadja, Dein Tanztheaterstück „ONXT! oder: Die Realität sägen.“ Hat am 13.12. in der Theater Arche/Wien Premiere. Dabei steht das Thema Angst/ONXT! im Mittelpunkt. Welche Aspekte sind Schwerpunkte Deiner Stückentwicklung und wie kam es zu diesem Projekt?

ONXT! ist mein erstes Solo-Projekt und hat daher eine ganz besondere Bedeutung für mich. Das Stück setzt sich  mit dem Phänomen der physischen Isolation als Folge eines totalen psychischen Rückzugs auseinander. Im Mai 22 habe ich bereits eine Erstversion des Stückes im kleinen Rahmen gezeigt – jetzt freue ich mich darauf, die weiterentwickelte, gereifte Fassung präsentieren zu können.

Der Ausgangspunkt für die Arbeit an ONXT! war das eigenartige Gefühl, das mich während der Corona-Lockdowns 2020 und 2021 beschlichen hat: wie gut wir Menschen doch unser Leben auch ohne direkte menschliche Kontakte leben können, wie anpassungsfähig wir doch sind! Und: wie gut wir uns doch selbst für eine gewisse Zeit vormachen können, dass „eh alles normal“ ist!

Vor Jahren hat mich ein Theaterstück sehr beeindruckt, in dem eine dystopische Welt beschrieben wurde, in der alles – vom Einkaufen bis zur persönlichsten Kommunikation – ausschließlich über Internet stattfindet und in der es keine physischen Kontakte mehr gibt.

Was damals völlig utopisch erschien, wurde im Frühjahr 2020 plötzlich Wirklichkeit: wie viele andere saß ich wochenlang allein in meiner Wohnung und hatte große Angst davor, einkaufen zu gehen oder ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen. Dank der technischen Möglichkeiten, Berufliches auch per Video-Call zu erledigen, blieb das Leben irgendwie am Laufen.

Das unheimliche, diffuse Gefühl einer unkontrollierbaren Bedrohung von außen, wie man sie vorher nicht gekannt hatte, war aber nicht wegzuleugnen.

Eine Frage, die mich in während dieser Zeit zu beschäftigen begann, war außerdem: Was ist jetzt eigentlich noch „echt“? Können zwischenmenschliche Beziehungen zur Gänze in den digitalen Raum verlegt werden?

Social Media rückte dank der Ausgangsbeschränkungen plötzlich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: Täglich sah ich das Leben der anderen –  aufwendig dekoriert, verfeinert und auf dem Silbertablett serviert. Alle schienen mit der außergewöhnlichen Situation viel besser zurechtzukommen als ich, fotografierten sich selbst mit dem Lockdown-Achterl am Balkon im Sonnenuntergang, kommunizierten und flirteten über Apps, die mir mehr Angst machten, als das Virus selbst. War ich die einzige, die von Zukunftsängsten, Einsamkeitsgefühlen und einer gewissen Torschlusspanik gequält wurde? Was ist, wenn ich nie wieder auf der Bühne tanzen kann? Wenn ich nie wieder die Gelegenheit bekomme, einen Mann kennen zu lernen? Wenn der Lockdown andauert, bis ich alt bin?

Echt – das war für mich schon immer das Meer. Wenn ich mir vorstelle, dass mein Körper sich der Urkraft des Meeres anvertraut, spüre ich Ganzheit, Heilung, Freiheit.  Deshalb habe ich in ONXT! das Meer ganz bewusst als Symbol für die Sehnsucht nach dem „Echten“ ausgewählt.

Andersens kleine Meerjungfrau, die in ONXT! eine wichtige Rolle spielt, war hingegen nicht geplant. Sie ist während der Proben irgendwann plötzlich aufgetaucht und hat ihren Platz vehement eingefordert. 

Sie symbolisiert für mich einerseits das mir nur allzu bekannte Gefühl „anders als man möchte“, „nicht richtig“, „abgetrennt“ zu sein. Andererseits steht sie für die Angst, nicht geliebt zu werden, wenn man einfach so ist, wie man eben ist. Sie nimmt für die Liebe des Prinzen schmerzhafte Veränderungen auf sich und verkauft dafür das einzige, was sie an sich wirklich mag – ihre Stimme – an die Meerhexe.

Warum fühle ich mich ihr so verbunden? Versuche ich nicht auch mein ganzen Leben lang auf verschiedenen Ebenen – darunter natürlich auch in meinem Beruf als Tänzerin – eine andere, perfektere zu werden oder zumindest als solche zu erscheinen? Welche Rollen spiele ich in meinen verschiedenen Lebenssituationen, und was davon bin wirklich ich?

Angst ist ein Phänomen unserer Zeit. Welche Gründe siehst Du dafür?

Ich denke, dass wir in einer Zeit leben, in der wir einerseits beruflich und technisch fast unbegrenzte Möglichkeiten haben und durch Globalisierung und Digitalisierung mit der ganzen Welt verbunden sind, andererseits auf persönlicher Ebene feststellen müssen, dass wir immer mehr auf uns selbst gestellt sind. Soziale Gefüge, die noch vor wenigen Jahren selbstverständlich waren, verschwinden bzw. werden von virtuellen Communities ersetzt. Ich denke, dass Angst viel mit Einsamkeit zu tun hat, mit fehlender Einbindung in eine funktionierende Gemeinschaft, mit den Gefühl, sich auf nichts und niemanden verlassen zu können.

Wie gehst Du persönlich mit Angst um?

Hmm. Ich habe oft Angst, vor allem auf sozialer Ebene, z.B. Angst vor Zurückweisung, Angst mich zu blamieren (was manchmal zu einem übertriebenen Perfektionismus führt). Ich bin mir oft unsicher bzw. „traue“ mich einfache Dinge nicht sofort, wie z.B. einen bestimmten Anruf machen oder jemanden um Hilfe bitten. Und dann sind da natürlich auch gewisse Zukunfts- oder Versagensängste, dass mich niemand liebt oder dass ich nicht „gut genug“ bin, dass meine Kunst nichts „wert“ ist.

In den letzten Jahren habe ich gelernt, meinen Ängsten mit Meditation bzw. meditativem Yoga zu begegnen. Das hilft nachhaltig, finde ich.

Und ich kann große Ängste überwinden, wenn ich etwas wirklich will: dann springe ich zu meinem eigenen Erstaunen plötzlich ohne Zögern über meinen Schatten ;-).

Dein Stück thematisiert auch die Balance, Ambivalenz von Realität und Phantasie. Wie siehst Du den Zugang, Umgang damit persönlich?

Ich war ein extrem phantasievolles Kind, dass oft auch in eine Art Parallelwelt abtauchte. Ich habe z.B. lange fest daran geglaubt, dass ich eigentlich von einem anderem Planeten komme, nur versehentlich auf der Erde gelandet bin und bald wieder von einem Raumschiff abgeholt werde.

Als ich älter wurde, habe ich zum Glück auch praktische Eigenschaften entwickelt, konnte aber immer gut träumen und mich Phantasiewelten einlassen, natürlich auch inspiriert durch Bücher, Theaterstücke und Musik.

Ich bin sehr froh über meine blühende Phantasie, die mich beim Geschichtenerzählen, Choreografieren und Schreiben so gut wie nie im Stick lässt. Andererseits muss ich mich schon manchmal einbremsen, wenn ich zu sehr ins Träumen abdrifte. Oder noch gar nicht eingetretene (Wunsch- oder Angst-)Situationen in meiner Vorstellung schon so realistisch erlebe, dass ich mich dabei ertappe, sie bereits als real zu empfinden.

Welche Möglichkeiten sind Du im Tanz mit Angst und den Spannungen von Realität und Phantasie umzugehen?

Ich denke, dass der Tanz ein gutes Medium ist, um das Unbewusste durch den Körper sprechen zu lassen. Sowohl in der Improvisation als auch beim Entwickeln von Stücken. Ich habe schon viele Choreografien zum Thema Angst gemacht, besonders als junge Tänzerin. Das war immer sehr befreiend, hat mich in meiner persönlichen Entwicklung jedes mal einen Schritt weiter gebracht.

In meinen Stücken mische ich gerne Phantasie und Realität. Es gibt meistens sowohl Szenen, die sehr realistisch bzw. „aus dem Leben gegriffen“ sind, als auch Sequenzen, die ins Mystische, Absurde oder Surreale gehen. Ich denke, dass das auch ein guter Weg ist, um das Publikum auf bewusster und unbewusster Ebene anzusprechen und zum Träumen und Nachdenken anzuregen.

Wie war Dein Weg zum Tanz und was sind Deine weiteren Projektpläne?

Die Entscheidung, Tänzerin zu werden, habe ich mit vier Jahren getroffen, nachdem ich eine Verfilmung des Balletts „Der Nussknacker“ gesehen hatte.

Trotz dieser klaren Ausrichtung von klein auf war mein Weg zum (professionellen) Tanz alles andere als geradlinig.  Nach einer zu spät begonnen Ballettausbildung landete ich nach einem Abstecher zum Musical beim modernen und zeitgenössischem Tanz und schließlich auch beim Schauspiel.

Die Pandemie war ein Einschnitt in meinem künstlerischen Leben: auch bei mir sind viele geplante Projekte zum Erliegen gekommen und konnten nicht mehr fortgesetzt werden. Durch mein Engagement bei der Initiative Tanz und Bewegungskunst Österreich, deren Obfrau ich bin, und bei der gewerkschaftlichen Initiative vidaflex haben sich auch viele neue Möglichkeiten ergeben die mein Leben bereichern.

Im Moment bin ich gerade dabei, meine berufliche Zukunft zu planen und zu strukturieren. Ein großer Wunsch ist es jedenfalls, mit meinen Tanztheaterstücken wieder mehr zu reisen und sie öfter zu spielen.

Was macht für Dich die Faszination der Kunstform Tanz aus?

Die besondere Spürbarkeit, Die Verständigung ohne Worte. Der großzügige Interpretationsspielraum. Die Vielfalt. Die Emotionalität.

Was wünscht Du Dir für die Tanzszene in Wien?

Für die Tanzszene in Wien wünsche ich mir, dass sie sich traut, offener, soldarischer, selbstbewusster und toleranter zu werden. Toleranter auch gegenüber den Tanz-Kolleg*innen, die sich weigern, sich den künstlerischen Anforderungen, die von „aktuellen zeitgenössischen Strömungen“ bzw. von den Fördergeber*innen vorgegeben werden zu unterwerfen. Ich denke, dass Kunst und insbesondere auch der Tanz eine Vielfalt braucht, die frei, mutig und unkonventionell sein darf. Und dass der Tanz tanzen dürfen muss, ohne als „zu wenig innovativ“ abgetan zu werden.

Außerdem wünsche ich der Tanzszene in Wien einen Ort, wo sie in all ihrer Vielfalt sichtbar gemacht und gewürdigt wird.

Was möchtest Du angehenden Tänzer*innen mitgeben?

Seid aufmerksam, spürt in euch hinein und lasst euch nicht einreden, dass etwas an euch nicht richtig, zu viel oder zu wenig ist. Dass ihr zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu rund, zu eckig, zu einwärts oder zu introvertiert seid. Ihr seid wunderbar, genau so wie ihr seid!

Was wünscht Du Dir im Umgang mit Angst für unsere Gesellschaft?

Ich wünsche mir für den Umgang mit Angst, dass man darüber reden darf. Dass man zugeben darf, dass man Ängste hat, ohne gleich komisch angeschaut oder als „schwach“ abgetan zu werden.

Ich denke, dass gerade die Menschen, die nicht die lautesten, extrovertiertesten und unempfindlichsten sind, eine ganze Menge zu sagen haben, das unsere Gesellschaft bereichern kann. Hören wir ihnen zu! Vielleicht fassen wir so ja auch Mut, unseren eigenen Ängsten ins Auge zu sehen.

Darf ich Dich abschließend zu einem Akrostichon bitten?

Orte der Angst.

Nacht.

X-beliebige Worte.

Traut euch, zu sein!

Nadja Puttner, Tänzerin/Choreographin _ performing „ONXT!“

Herzlichen Dank, liebe Nadja, für das Interview und das Cityperforming_Fotoshooting zu „ONXT!“! Viel Freude und Erfolg für die Uraufführung!

Nadja Puttner, Tänzerin/Choreographin _im Gespräch und Performance zu „ONXT!“

Tanztheaterstück „ONXT! oder: Die Realität sägen.“

Uraufführung_ 5., 6. & 7. Jänner 2023 um 20:00h (Dauer ca. 60min) Theater Arche_Wien

Premiere-ONXT! oder: Die Realität sägen – Gastspiel

Zur Person _ Nadja Puttner, Tänzerin, Choreographin

https://www.itboe.at/nadja-puttner

Interview und alle Fotos_Walter Pobaschnig 12_22

https://literaturoutdoors.com

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