
Bruder von Ingeborg Bachmann, Schriftstellerin (*1926 Klagenfurt +1973 Rom) _Wien 2019

Heinz Bachmann_Ausstellungseröffnung „Ingeborg Bachmann“ – Fotografien Heinz Bachmann _Rom, 1962_
Literaturhaus Salzburg 1/2020


Hochzeit 7. August 1971 in London. 2 Söhne. Ingeborg Bachmann reiste zur Hochzeit nach Großbritannien an _ Foto Fam.Bachmann_London.

Lieber Dr.Heinz Bachmann, es sind herausfordernde Zeiten, denen wir uns alle stellen müssen. Du hast in Deiner beruflichen Tätigkeit in Afrika in den 1960/70er Jahren auch politische Krisenzeiten miterlebt. Welche Erfahrungen hast Du da gemacht?
Das ist der Zeitraum meiner letzten Studienjahre und der ersten Jahre in meiner Arbeitswelt als Geophysiker. Der Algerienkrieg war zur Erleichterung aller zu Ende gegangen. Das betraf auch meine Schwester Ingeborg ziemlich direkt, da ihr guter Freund Pierre Evrard auch Gefahr lief, dort eingesetzt zu werden. Nach meiner Promotion im Juli 1964 besuchte ich Algerien und durchquerte die Sahara bis ins Hoggargebirge mit einem Studienkollegen. Das Land war zu dem Zeitpunkt sehr friedlich und die Leute ohne Feindseligkeit. Ab 1965 arbeitete ich als Geophysiker in der Öl und Gasaufschließung.
Im Jahr 67 nach meiner Rückkehr aus Gabun hatte ich zwei Monate Urlaub und wurde Mitte Juni nach Katar und Oman versetzt. Mein Flug dorthin fand wenige Tage nach dem Ende des Sechstagekrieges statt. Die Spannung auf dem Flug war spürbar, aber alle vermieden das Thema. Die Einheimischen waren schockiert und als „Europäer“ war man vorsichtig etwas darüber zu sagen.
Was war Deiner Schwester Ingeborg in den politischen Krisenzeiten der 1960/70er Jahre, die ja auch von Kriegen und gesellschaftlichen Herausforderungen geprägt waren, wichtig?
Der Vietnamkrieg prägte im Laufe der Jahre immer stärker die Schlagzeilen und auch die Gespräche. Ingeborg war schockiert.
Erinnerst Du Dich an ein Gespräch zum Thema Krieg?
Besonders Vietnam natürlich. Aber auch wie schon erwähnt der Algerienkrieg. Ingeborgs Einstellung dazu ist ja bekannt. Besonders Vietnam empfand sie als schrecklich. Aber darauf hatte ja niemand einen Einfluss in Europa. Die Dominotheorie schien alles zu rechtfertigen. Wie absurd das war, stellte sich erst später heraus.
In der „Salzburger Edition“ der Werkausgabe „Ingeborg Bachmann“ als Gemeinschaftsprojekt der Verlage Piper und Suhrkamp erschien im November des Jahres der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Die umfangreiche Korrespondenz wie viele Fotos werden dabei erstmals zu lesen/sehen sein.
Die Korrespondenz ist wohl die umfangreichste aller aus dem Nachlass sowohl meiner Schwester als auch von Frisch, wenn auch vieles auf Kohlepapierdurchschriften basiert. Es sind wenige Fotos inbegriffen, denn der Umfang des Buches ist ja schon sehr groß.

Erscheinungstermin_ 06.12.2022
Fester Einband mit Schutzumschlag, 1039 Seiten
Mit Fotografien und Faksimiles _ Suhrkamp Verlag

Caroline Peters und Roland Koch _ Schauspielerin*er Burgtheater Wien _
Akademietheater Wien_ 6.12.2022


Was waren Gründe für Dich und Deine Familie diesen Briefwechsel nun freizugeben?
Ich muss da etwas zurückgreifen. Vor fast 50 Jahren ließen wir die gesamte Korrespondenz sperren und wurden dafür sehr kritisiert, dass diese nicht zugänglich wäre. Es wurde sogar der Verdacht geäußert, wir wollten etwas verbergen. Es ging aber vorwiegend um die Privatsphäre der Briefschreiber. Heute ist das ganz anders, der Datenschutz wurde seither sehr ausgeweitet.
Die Situation ist nun so, dass dieser gesperrte Nachlass nach 50 Jahren ohnehin geöffnet werde sollte und in einigen Jahren die Autorenrechte ablaufen werden. Dann kann jeder beliebig daraus zitieren. Es war also angebracht noch eine verantwortungsbewusste Edition zu erstellen.

Was überrascht Dich selbst im Briefwechsel und gibt es Briefe/Briefetappen, die Du hervorheben möchtest?
Was mich schon bei der ersten Sichtung der Frischbriefe überrascht hat, war, dass es so viele Briefe als Durchschläge an meine Schwester geschickt wurden. Man sah das am verschmierten Kohlepapierabdruck. Ich kann das verstehen, wenn es darum bei einer Trennung um das Aussortieren der persönlichen Gegenstände geht, aber das geht darüber hinaus. Der Leser kann das ja selber im umfangreichen Kommentar beurteilen.
Das Schlimme ist eben dieses Auseinanderleben, das sich nach anfänglichem Überschwang abzeichnet.

erste gemeinsame Wohnung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch in Rom 1959 _
Fotos _ revisited 2018




Wie wichtig war Ingeborg Bachmann grundsätzlich Briefkorrespondenz? Schätzte Sie Briefe und Telefongespräche gleichermaßen?
Briefeschreiben war ihr sehr wichtig. Das war auch Tradition in der Familie, unser Vater bestand darauf. Aber es war auch ein Bedürfnis, das sieht man aus den bisherigen Korrespondenzen. Als ich dafür sorgte, dass ein Telefon ins Haus kam, musste ich es bezahlen.

2022


Rom 1962 Heinz Bachmann

2022
Gab es im Schreiben eines Briefes bestimmte Vorlieben Deiner Schwester Ingeborg was etwa Briefpapier, Füllfeder/Kugelschreiber/Schreibmaschine betrifft?
Papier spielte glaub ich keine Rolle, manchmal in Hotels verwendete sie das Hotelpapier. Feder, Kugelschreiber oder Schreibmaschine, hing ein bisschen vom Thema ab. Persönliche Briefe mit der Hand, seltener mit Maschine, meist wohl mit Kugelschreiber, wenn ich mich nicht irre.


und folgendes Foto

Erinnerst Du Dich an das Kennenlernen beider im Jahre 1958 in Paris?
Ich besuchte Ingeborg Ende Juni in Paris und blieb ein paar Tage. An den Tag erinnere ich mich ziemlich genau, da Ingeborg mir etwas Geld in die Hand drückte und meinte ich sollte Paris auf eigene Faust erkunden. Am nächsten Tag war sie etwas spät zum Frühstück gekommen und hatte mit ihrem Freund Pierre Schluss gemacht, da sie Frisch kennengelernt hatte. Ich selber begegnete ihm aber erst ein Jahr später.
Du hast im Frühjahr 1962 mit Deinen Eltern Deine Schwester Ingeborg in Rom in ihrer gemeinsamen Wohnung mit Max Frisch besucht und eine hervorragende Fotoserie erstellt, die 2016 in Klagenfurt und 2020 in Salzburg präsentiert wurde und ein Foto davon ist auch auf dem Buchcover der Briefwechselausgabe zu sehen.
Wie kam es zu diesem Besuch in Rom, wie war die Anreise und wie gestalteten sich die gemeinsamen Tage und die Erstellung der Fotoserie?
Ingeborg hatte uns eingeladen, mein Vater war in Pension und ich hatte Osterferien. Wir fuhren in Vaters weißem VW über die Autostrada del Sole nach Rom. An einem der Tage nach unserer Ankunft in der Via de Notaris drückte sie mir einen 36 und zwei 20 Schwarz-Weiss Filme in die Hand und gab mit ein paar grundlegende Anweisungen, wie man Aufnahmen macht. Ich hatte noch nie Portraitaufnahmen gemacht.

folgende


Klagenfurt/Musilmuseum 2016

Heinz Bachmann, Isabella Jeschke (Schauspielerin), Walter Pobaschnig (Text/Regie), Sheila Bachmann (von links) _ Wien 5/2016

Musilmuseum Klagenfurt 25.6.2016

Ausstellung Musilmuseum 2016



10.1.2020 Literaturhaus Salzburg _folgende


Salzburg 1/2022
Welche Erinnerungen hast Du an Deine Schwester Ingeborg und Max Frisch in Rom?
Ingeborg umsorgte uns und wir waren viel zu Fuß unterwegs, dabei machte ich die Aufnahmen mit unterschiedlichem Hintergrund. Essen gingen wir nur mit meiner Schwester, wenn ich mich recht erinnere.
Von Max Frisch habe ich keine besonderen Erinnerungen, er hielt sich da offensichtlich sehr zurück. Im Rückblick wundert es mich, dass ich keine einzige Aufnahme von ihm machte.

Wie gestaltete sich das tägliche Zusammenleben des Paares Ingeborg Bachmann und Max Frisch was Lebensorganisation, literarische Tätigkeit und gemeinsame Aktivitäten betraf?
Über diesen Aspekt kann ich wenig sagen. Ich glaube selbst in dieser relativ großen Wohnung muss das Klappern der Schreibmaschinen problematisch gewesen sein. Drei Jahre vorher in Uetikon (Zürich, Anm.) , als ich die beiden im Oktober 59 besuchte, war das ziemlich deutlich, denn meine Schwester hatte in Zürich eine Stadtwohnung, um diesen „Konflikt“ zu vermeiden und in Ruhe schreiben zu können.

letzte gemeinsame Wohnung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch ab dem Frühjahr 1961 bis 1962 (hier erfolgte Ostern 1962 der Besuch der Familie Bachmann aus Klagenfurt und Heinz Bachmann portraitierte seine Schwester Ingeborg)





Hat Max Frisch auch Kärnten besucht und gab es da gemeinsame Unternehmungen mit Deiner Familie?
Es gab einen Besuch der beiden im Frühjahr 1959 – ein genaues Datum habe ich nicht. Sie kamen in einem kleinen Fiat Sportwagen und dürften im Hotel Musil übernachtet haben. Unsere Mutter bereitete gute Wienerschnitzel vor und unser Vater hielt eine sehr schöne Willkommensrede. Wir fuhren dann mit den Eltern weiter zu unserer Schwester Isolde und Schwager Franz nach Kötschach. Ingeborg am Steuer des weißen VWs und ich im Sportwagen mit Max Frisch am Steuer.

Deine Schwester Ingeborg hat die Familie regelmäßig in Kärnten besucht. Was schätzte Sie bei Ihren Aufenthalten besonders? Welche Besuche machte Sie da, welche Orte suchte Sie gerne auf?
Bei ihren Besuchen in Klagenfurt war natürlich das Kreuzbergl mit den schönen Wanderwegen der Hauptanziehungspunkt. Ingeborg ging aber nie in die Stadt, außer um im Hotel Musil zu übernachten. Sonst war sie auch gerne in Obervellach bei Hermagor, wo man stundenlang spazieren konnte. Dort waren auch Verwandtenbesuche ein wichtiger Teil des Aufenthalts. Vor allem bei Tante Rosa, die uns über schwere Zeiten hinweg geholfen hatte. Ein besonderer Aufenthalt war in Warmbad Villach, der viele Grundlagen für den „Fall Franza“ darstellt.



Erinnerst Du Dich persönlich an Gespräche mit Max Frisch?
Das deutlichste Gespräch war bei einem Treffen in Uetikon, wo die beiden eine Wohnung gemietet hatten. Ich war auf der Rückreise im Oktober 1959 aus Israel über Zürich geflogen. Beim Abendessen fragte ich Frisch direkt über Stiller (Roman von Max Frisch, Anm.) und wie weit dies die Geschichte seiner Frau wäre. Er wischte diese Frage mit einem „Das ist sie und das ist sie nicht“ etwas zur Seite.
Hast Du und Deine Familie Deine Schwester Ingeborg auch in der gemeinsamen Wohnung mit Max Frisch in Zürich besucht?
Wir müssen bei der Rückreise der Eltern von Territet, wo unser Vater ein Jahr als Lehrer tätig war, Anfang Juli über Uetikon dann weiter nach Österreich gefahren sein. Seltsamerweise habe ich da nur sehr vage Erinnerungen.
Der Titel des im November erschienen Briefwechsels ist „Wir haben es nicht gut gemacht“ und nimmt damit ein Zitat Max Frischs auf. Wie hast Du als Bruder diese Beziehung miterlebt und woran scheiterte in Deiner Sicht diese Beziehung?
Wie sieht man die Beziehung einer Schwester? Was interessiert eine Frau an einem Mann? Alles ein bisschen rätselhaft für mich, auch heute noch. Zwei Schreibende in einem Haushalt, der Lärm der Schreibmaschinen. Zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten, meine Schwester fröhlich, immer der Mittelpunkt einer Gesellschaft, anderseits gegenüber eine trockene Persönlichkeit, für mich etwas belehrend (aber ich war ja jung). Irgendwie war das vorgezeichnet.

Wie ging Deine Schwester Ingeborg mit dem Scheitern dieser Beziehung um?
Sie litt darunter offensichtlich, empfand das Buch Frischs als Indiskretion. Aber ich frage mich, wie sehr die von einem Modearzt geförderte starke Medikamentabhängigkeit die emotionellen Probleme verstärkt hat. Sie sah aus dieser Abhängigkeit keinen Ausweg.
Gab es nach dem Scheitern der Beziehung noch Kontakt miteinander?
Von Seite der Familie keinen, außer einem Brief des Vaters. Für meine Schwester zog sich das Jahre hin, weil die verschiedenen „Haushalte“ aufgelöst werden mussten, also Uetikon, in Rom Via de Notaris. Welche Bücher gehören wem, sonstige Andenken, das ist für niemanden bei einer Trennung einfach.
Wie lange dauerte für Deine Schwester Ingeborg der Prozess der innerlichen Ablösung von dieser gescheiterten Beziehung und welche Hilfe nahm Sie dabei in Anspruch?
Ingeborg hat ja nur weitere zehn Jahre gelebt und ist irgendwie nie ganz davon los gekommen. Sie wollte im Schreiben über dieses Thema noch etwas allgemein Gültiges schaffen. Leider sind diese Romane mit Ausnahme von „Malina“ unvollständig geblieben. Das Wichtige war das Schreiben über dieses Thema, was tun wir uns bei solchen Brüchen an, wie gehen wir damit um.
Wie ging Deine Schwester Ingeborg danach mit den literarischen Seitenhieben Max Frischs um?
Nun, die meisten Bezugnahmen kamen ja nach dem Tod meiner Schwester. Mit „Gantenbein“ hat sie sich ziemlich abgequält, das kann man an den Briefen erkennen.
Erinnerst Du Dich abschließend vielleicht an eine heitere Episode in der Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch?
Bedauerlicherweise nicht. Das klingt sehr lakonisch, aber da war vielleicht wenig Gelegenheit eine heitere Begebenheit zu beobachten. Frisch war andererseits sicher keine Person mit spontanen Äußerungen.
Lieber Heinz, herzlichen Dank für das Interview und für Dich und Deine Familie alles Gute in diesen Tagen!
Lieber Walter auch Dir und den Deinen alles Gute!

Interview_Dr.Heinz Bachmann, Geophysiker, London. Bruder von Ingeborg Bachmann, Schriftstellerin (*1926 Klagenfurt +1973 Rom).
Walter Pobaschnig 10.12_2022.
Alle Fotos (andere gekennzeichnet) _ Walter Pobaschnig, Wien.

„Wir haben es nicht gut gemacht“ Briefwechsel Ingeborg Bachmann _ Max Frisch _
Erscheinungstermin_ 06.12.2022
Fester Einband mit Schutzumschlag, 1039 Seiten
Mit Fotografien und Faksimiles _ Suhrkamp Verlag
Walter Pobaschnig 12_2022.