Liebe Tania, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Lieber Walter, zuerst möchte ich mich bei Dir bedanken. Dein Blog ist eine tolle Idee, es versammelt so viele verschiedene Stimmen und Blicke auf unsere Gegenwart, es bereichert uns.
Zurück zu mir: Unter der Woche stehe ich um 6:30 Uhr auf, bereite schnell das Frühstück vor und ein paar Sachen für den Tag. Oft habe ich noch Traumfetzen vor meinem inneren Auge und wenn noch Zeit ist (und sie spannend sind) notiere ich mir was, dann radle ich zur Arbeit. Nicht selten denke ich mir – könnte ich ein wenig früher los fahren, dann wäre der Weg ein Genuss, besonders bei schönem Wetter. Denn er führt durch zwei Parks und das ist ein Geschenk. Im Winter natürlich sieht es ein wenig anders aus:). Dennoch liebe ich diese Freiheit und bin sehr dankbar dafür. Wir sind fast 90% mit den Räder unterwegs und das tut gut. Der Umwelt ebenso.
Nach einer Arbeit kommt die nächste. Jeder Tag ist ein Balancieren zwischen Kunst und ganz normalen, lästigen bürokratischen Aufgaben am PC, Alltagserledigungen, Einkaufen, Haushalt, Kochen und so weiter – was traditionell jede/r kennt. Durch den Tag mache ich mir immer wieder Notizen, versuche die Gedanken über das neue künstlerische Projekt, das ich zur Zeit habe, zu ordnen, nicht zu verlieren. Und doch, verliere ich so viel. Ich schreibe langsam, male eher schnell und eigentlich habe ich keine bestimmte Zeit dafür. Es gab z. B. eine großzügige, schöne Phase, in der ich fast nur nachts malen konnte …
So oder so kommt unser Abendbrot ständig ungesund spät zu uns, danach sind die süßen Träume an der Reihe. Nicht selten bei mir eher das lange Warten. Wenn sich mein TraumGrafSchlaf wieder mal als unzuverlässig erweist, dann lese ich oder höre klassische Musik. So sind einige Stunden doch noch gerettet.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Nicht leicht für alle zu sprechen, dennoch mein Gefühl: Jetzt dürfen wir auf keinen Fall die Führung der Angst überlassen. Sicher, die Lage ist sehr kompliziert, alles ist miteinander verflochten. Beim Nachrichten schauen empfinde ich manchmal eher Scham, mir noch Sorgen zu machen. Ja, es ist nicht leicht, trotzdem denke ich mir – etwas zu sparen und zu verzichten ist nicht unmöglich. Ich versuche, nicht zu vergessen, wofür ich dankbar bin. So viele angeblich selbstverständliche Sachen – hat jemand irgendwo überhaupt nicht mehr oder sogar nie hatte. Angesichts solcher unfassbaren Tapferkeit – wie diese der Menschen in der Ukraine, der Protestierenden in Iran, Russland und überall, wo das verboten ist und so hart bestraft wird, ist es mir peinlich, einzig an mich zu denken.
Für mich persönlich ist es auch wichtig, den Humor nicht zu verlieren. Sogar wenn ich die Nerven kurz verliere, wenn ich eine blöde Phase habe, dann muss der ironische Blick darauf folgen, mit seiner Schärfe, zugleich zwinkernd und hinterfragend. Die Kunst, Musik und Gedichte helfen mir, die dunklen Abschnitte zu überstehen. Musik kann heilen. Sie erreicht eine Tiefe in uns, aus welcher ein Geist der Besinnung, des Friedens mit uns selbst und die Welt nach oben steigt. Manchmal schafft das auch eine unerwartete Geste der Güte, sicherlich die Natur auch. In schwierigen Momenten versuche ich mich an Verse zu erinnern, die Hoffnung und Trost spenden. Strophen, wie diese von Christine Lavant sind zur Formel geworden: „Angst, leg dich schlafen, / Hoffnung, zieh dich an, / du musst mit mir gehen … „
Tja, hin und wieder schmunzle ich, bin neidisch auf die Angst. Sie darf so oft schlafen, und ich frage mich: Wieso bleibe ich wach? … Zeilen wie die von Hilde Domin: “Die schwersten Wege / werden alleine gegangen …“ ; Besonders: „ Nicht müde werden …“ … Oder: „Aber solange ich atme / auch was / auf der Hand liegt / muss ich / aus der Hand zu geben / bereit sein …“ von Erich Fried … So ist einfach das Leben. C’est la vie.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Aufbruch, Neubeginn – das alles klingt irgendwie positiv, zurzeit haben wir natürlich ein ganz anderes Gefühl. Seit Februar hat Europa keinen Frieden mehr. Es ist Krieg. So nah, dass wir nichts mehr verdrängen können. Die Klimakrise ist auch riesig. Eins ist sicher – mit „weiter so machen“ wird es nicht mehr gehen, auf dem persönlichen und politischen Niveau.
Die Kunst wird weiter auf ihre Weise die Welt erfassen, und doch neu entstehen lassen, bewegen. Durch ihre besondere Kraft, ihre konzentrierte Schönheit ( die nicht selten sich so hässlich und schmerzhaft anfühlt), durch ihre Weisheit. Früher, als ich noch jung war, fragte ich mich eine Weile – wie viel Waffen werden pro Tag produziert? Und wie viel Kunst und Kreatives entsteht in derselben Zeit auf dem ganzen Planet? Davon zu schweigen, wie viel von der existierenden Kunst wieder und wieder mal irgendwo auf unserer Erde gerade betrachtet, gehört und erlebt wird. Es ist so eine unmögliche Statistik, so ein Gedanke über die Energie und die Möglichkeiten der Kunst und Kunstschaffenden … Mir ist längst die Romantik vergangen, es ist klar: Kein Krieg wird von einem Buch oder einem Ballett aufgehalten. Die Prioritäten in unseren Gesellschaften liegen offensichtlich woanders. Die menschliche Natur ist so, wir beweisen es immer wieder. Wir schaffen, können fast alles und lernen doch nichts dazu. Das ist ein Rätsel, ist absurd, lustig und tragisch gleichzeitig. Trotzdem dürfen die grundlegenden Werte nicht verloren gehen!
Die Kunst ist „eine Metapher für das Unsterbliche“ – hat ein kluger Mann gesagt. Wer war er? Mein Gedächtnis lässt mich jetzt im Stich, egal; er war ein Maler, Musiker … Eine Dichterin dagegen weiß: „ Jeden Tag lernen wir die Kunst des Verlierens“. Ja, das ist auch unsere Kunst, Tag für Tag. Auf jeden Fall habe ich ihren Namen ebenso verloren:).
Was liest Du derzeit?
„Der Sommer vor der Dunkelheit“ von Doris Lessing, plus unzählige Gedichte, kreuz und quer durch die alte-neue WeltPoesie. Zuletzt die Anthologie Versnetze 2022, gerade auch Pablo Neruda und Michael Krüger. Diese Mischung hat sich wie ein Kontrapunkt gefühlt, inspirierend.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Nun bin ich dankbar, mein Gedächtnis schenkt mir doch noch ein vollständiges Zitat! Diese wenigen Worte von Alberto Giacometti sagen so viel: „Man macht nur Fortschritte, wenn man nicht mehr weiter weiß.“ Also hoffen wir …
Vielen Dank für das Interview liebe Tania, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Tania Rupel Tera, Schriftstellerin und Künstlerin
Foto_privat.
22.10.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.
Sehr bewegend und tiefgründig.
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