Lieber Kurt, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Sehr unregelmäßig. Im Idealfall stehe ich zu Mittag auf, gehe dann meinem Broterwerb nach. Am späten Abend Mahlzeit zur ZIB2, danach gegebenenfalls Sozialleben. In der Ruhe der Nacht Chaos im Kopf: Medienkonsum (Text, Bild); verliere mich… oftmals Schreibversuche, die derzeit eine Suche darstellen. Vor der Morgenröte ein Bier, abschließend die Qual des Einschlafens.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich denke, das ist sehr unterschiedlich. Verständnis, selbst für das Unverständliche, Solidarität und Empathie für andere sindTugenden, die für uns alle wichtig wären. Es herrscht eine seltsame Stimmung… die Aufforderung zu jeder Krise, zu jeder Thematik Stellung zu beziehen. Like, Dislike. Menschen sind aber keine Schaltkreise, die nur zwischen 0 und 1 differenzieren. Persönlich ist es mir wichtig, unentschieden bleiben zu dürfen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Stehen wir nicht immer schon stets vor einem Aufbruch? Ich denke, die moralisierende Empörung (in vielen Bereichen) findet doch wieder nur auf dem Boden jener pervers-abgehobenen spätkapitalistischen, postkolonialen Welt statt, die eben diese Welt ausgebeutet, sich einverleibt hat. Ich fürchte, wir stehen nicht vor einem Aufbruch, wir stehen vielmehr vor einem Abgrund. Und die Kunst ist vielleicht etwas, das uns später trotz allem als Menschen kennzeichnen werden wird.
Was liest Du derzeit?
Ich bin ein sehr langsamer Leser — letzten Monat habe ich begonnen mit: Macht der Wiederholung von Marc Rölli sowie Nietzsche. Ein Lesebuch von Gilles Deleuze.
Um nicht nur Philosophie zu lesen, stehen vorerst zumindest zwei Titel für den September auf der Liste: Lento Violento von Maria Muhar und Schwerer als das Licht von Tanja Raich.
Für depressive Tage bleibt immer noch Thomas Bernhard.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Um an die vorherige Frage anzuschließen, ein Zitat von Deleuze (in diesem Satz könnte man auch Bernhard anstelle von Nietzsche einsetzen):
„Wer Nietzsche liest, ohne zu lachen, ohne viel zu lachen, ohne oft und manchmal wie verrückt zu lachen, für den ist es, als ob er Nietzsche nicht läse.“
Vielen Dank für das Interview lieber Kurt, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Kurt Fleisch, Schriftsteller
Foto_privat
6.9.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.