„Literatur muss über den Tag hinausdenken“ Andreas Pittler, Schriftsteller _ Ferlach/Ktn. 29.9.2022

Lieber Andreas, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Das ist das Spannende bei mir: der ist immer anders, denn ich weiß nie, wann mich die Muse küsst. Ich kann am Morgen bei einer Tasse Kaffee sitzen und gelangweilt in einer Zeitung blättern, da entdecke ich plötzlich einen Fünfzeiler, der mich packt, und schon beginnt sich in mir eine Geschichte zu entwickeln. Oder ich gehe zeitig in der Früh in den Wald, und plötzlich fällt mir die Ausgangssituation für eine Story ein – dann muss ich sofort zurück nach Hause, um sie aufzuschreiben. Sprich, ich weiß beim Aufwachen nie, was mich eventuell erwartet.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Bildung, Bildung, Bildung. Wir alle brauchen ein gerüttelt Maß an Neugier, vernetztes Denken und einen kritischen Geist, der jede Behauptung hinterfragt und überprüft. Erkenntnisgewinn kann nur entstehen, wenn wir uns mit einer Materie eingehend auseinandersetzen, gleichsam in sie eindringen. Und nur auf der Basis echter Erkenntnis lassen sich valide Entscheidungen treffen. Unsere heutige Gesellschaft ist durch eine Art Schnappatmung gekennzeichnet, in der Panik, Emotion und Sym- bzw. Antipathie die Grundlage für politisches und soziales Handeln darstellt. Mit dieser Haltung kommen wir aber als Gemeinschaft nicht vorwärts.

Andreas Pittler, Schriftsteller

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Gute Literatur war zu jeder Zeit das intellektuelle Korrektiv zum oberflächlichen Pragmatismus der Gesellschaft. Literatur muss über den Tag hinausdenken, eingeübte Muster hinterfragen und Modelle für die Zukunft entwerfen. Wirklich gute Literatur überdauert die Zeiten, weil sie in die Tiefe geht, weil sie nach Weisheit und nach Wahrheit strebt – und nicht irgendwelchen Geschmäckern des Augenblicks gefallen will.

Was liest Du derzeit?

Ich lese immer mehrere Bücher gleichzeitig. Derzeit zur Entspannung „Birons Welt“ von Georg Biron, zu Recherchezwecken Wolfram Siemann: „Metternich, Stratege und Visionär“ und – gerade wieder einmal – Xenophons „Anabasis“.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Immer wieder „Gnothi seauton“: erkenne Dich selbst. Erst, wenn wir wissen, wer wir sind, was uns bewegt und wohin wir uns entwickeln soll(t)en, können wir erfassen, wie die Gesellschaft beschaffen ist und formulieren, wie sie sein sollte. Dabei gefällt mir auch Shakespeare´s „This above all, yourself be true“, denn allzu oft verbiegen wir uns in vermeintlich nichtigen Kompromissen, die aber in Summe dazu führen, dass der Weg des geringsten Widerstandes zum gesamtgesellschaftlichen Stillstand führt.

Vielen Dank für das Interview lieber Andreas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Andreas Pittler, Schriftsteller

https://www.andreaspittler.at/

Foto_privat.

23.6.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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