Liebe Theresa, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Immer anders! Letzten Mittwoch den 21.9. hatten wir mit der österreichischen Erstaufführung von Maya Arad Yasurs „Amsterdam“ Premiere. Es war ein schöner Erfolg und danach haben wir die harte Arbeit der letzten Wochen erstmal ergiebig gefeiert. „Amsterdam“ war meine sechste und auch letzte Premiere seit Beginn des Jahres, denn im November und Dezember möchte ich mich einem eigenen Projekt widmen.

Während man bei einigen Produktionen nur sechs Stunden pro Tag im Block probt, verlangen andere Projekte eine Probenaufteilung von vier Stunden am Vormittag und, nach einer Pause, noch mal vier Stunden am Abend. Mitunter bis 22:30! In der Freizeit gilt während einer Theaterproduktion allgemein: Text lernen. Dass dabei neben Kochen, Essen, Schlafen und von A nach B fahren nicht mehr viel Zeit übrigbleibt, ist einer der Stressfaktoren dieses Berufes. Umso wichtiger ist es für mich, immer wieder Ruhepole in meinem Tag zu finden. Meine Instrumente als Schauspielerin sind mein Körper, meine Stimme und Konzentration – wenn ich diese zu großem Stress aussetze, spüre ich das sofort. Auch meinen Schauspielschüler*innen sage ich immer: Gesundheit geht vor!
Jetzt, wo die Premiere geschafft ist, beginnt die Spielserie bis Ende Oktober. Diese Zeit mag ich immer sehr gerne – die „richtige“ Arbeit beginnt: Das Spielen vor Publikum. Ab und zu werden Freunde und Bekannte zu einer Vorstellung kommen und danach auf ein Getränk bleiben. Außerdem werde ich wieder mehr Zeit für meine anderen Aufgaben haben: Bewerbungen schreiben, mich meinem nebenberuflichen Studium der Psychotherapie widmen, ins Theater gehen und schauen, was kulturmäßig sonst noch so los ist in Wien. Aber das Wichtigste natürlich: zu Hause mit meinem Verlobten und selbstgebackener Pizza auf dem Sofa knotzen und wieder richtig Energie tanken.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich finde in dem Pluralismus von Meinungen, Werten und Weltanschauungen, mit dem wir uns als Gesellschaft seit Corona verstärkt konfrontiert sehen, besonders wichtig, dass wir uns auf bestimmte Grundwerte einigen. Dazu gehören für mich die Menschenrechte, aber auch das Vertrauen in die Wissenschaft. Außerdem müssen wir meines Erachtens ein Verständnis für andere Lebensrealitäten entwickeln – und zwar global. Das gilt sowohl für Interaktionen zwischen zwei Personen als auch zwei Nationen. Und das geht nur dadurch, einander zuzuhören und im Dialog zu bleiben. Statt dem Trennenden das Verbindende suchen. Den anderen nicht verurteilen, sondern seine Sicht verstehen wollen.
Die Rolle der sozialen Medien dabei sehe ich kritisch: durch sie bewegen wir uns vermehrt in Bubbles. Das ist schade, weil man dadurch immer nur mit dem konfrontiert ist, was einem eh schon bekannt ist. Besonders als Theaterschaffende versuche ich daher, immer wieder mit Leuten zu sprechen, die nicht in meiner Bubble sind. Einen Eindruck zu bekommen, was sie antreibt, wovor sie Angst haben, für was sie kämpfen. Theater sollte ein Spiegel der Welt sein, nicht ein Spiegel seines selbst.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Ich hoffe auf einen Neubeginn, ein Umdenken – könnte mir aber vorstellen, dass wir schnell in alte Muster zurückfallen. Dass die reduzierten Co2-Emmissionen 2020/21 beispielsweise einen positiven Effekt auf unseren Planeten hatten, wird hoffentlich Anstoß geben, gesamtgesellschaftlich noch viel vehementer in diese Richtung zu gehen. Dass wir gesehen haben, wie leicht unser Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt, sollte ebenfalls eine Neustrukturierung nach sich ziehen. An alle Menschen, die in der Pflege arbeiten: großer Respekt vor euch und eurer immens wichtigen Tätigkeit!
Schauspiel und Theater können etwas leisten, dass Netflix & Co nicht können: in den Dialog gehen. Ich sehe die Zukunft des Theaters in immersiven Formaten, in denen die Zuschauer*innen in das Geschehen eintauchen, daran aktiv teilnehmen oder mitdiskutieren können. Es gibt viele Möglichkeiten: Bürgerbühnen, Projekte mit Profis und Amateur*innen, Stationentheater, Projekte mit neuen Medien oder anschließenden Workshops.
Ein Appell an das Publikum: kommen Sie wieder ins Theater! Seit Corona bleiben zu viele der Plätze frei…
Was liest Du derzeit?
Ich lese im Moment das Buch meines Verlobten Roi Shternins. Es heißt „Revolution From My Bed: Regain Control of Your Life as a Patient“ und handelt von seiner persönlichen Geschichte als chronisch krankem Menschen. Es ist keine leichte Kost, denn ihm wurden vom Gesundheitssystem – so paradox es klingen mag – auf dem Weg zur Besserung viele Steine in den Weg gelegt. Er hat es schließlich aus eigener Kraft geschafft, sich aus vielen Jahren der Bettlägerigkeit wieder emporzukämpfen und möchte mit diesem Buch Patient*innen helfen, dasselbe zu tun.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit ist.“ – Paul Watzlawick
Im Theater ist das wunderbar, da es im Theater immer um ein Problem oder einen Konflikt geht, der zur Untersuchung auf den Tisch gebracht wird. Im echten Leben ist es das Fehlen davon, was unlösbare Konflikte wie Trennungen oder gar Kriege verursacht. Wenn wir unserem Gegenüber die eigene persönliche Wirklichkeit zugestehen, ist schon viel gewonnen!

Vielen Dank für das Interview liebe Theresa, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Theresa Martini, Schauspielerin
Kurz-Bio: Die Wienerin Theresa Martini absolvierte ihr Schauspielstudium an der Theaterakademie August Everding München sowie an der LAMDA London. Erste Wegstationen danach waren das Maxim Gorki Theater Berlin, das Metropoltheater München und das UT Connewitz in Leipzig. Ihr Erstengagement führte sie ans Stadttheater Pforzheim, wo sie zwei Jahre lang in Schauspiel-, Musical-, Operetten- und performativen Produktionen zu sehen war. 2017 folgte der Start in die Freiberuflichkeit: Arbeiten mit Filmregisseurin Barbara Albert, dem ehem. Gorki-Leiter Volker Hesse, „Outstanding Artist“ Ingrid Lang, dem mit dem Nestroy ausgezeichneten Kollektiv toxic dreams und dem Komponisten Moritz Eggert. Ihr Spielfilmdebüt Fuge erhielt den Förderpreis Neues Deutsches Kino, ihre Projektidee „It´s been a while – now I´m here“, die Theresa Martini mit dem Israeli Roi Shternin realisieren wird, das Sonderstipendium der Akademie der Künste. Sie lebt in Wien und arbeitet im deutschsprachigen Raum. http://www.theresa-martini.com
Fotos_1, 3 Philine Hofmann; 2 Marcel Köhler.
22.9.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.