„In der Kunst spüren wir Menschlichkeit, Trost, Hoffnung“ Silke Tobeler, Schriftstellerin _ Hamburg 26.8.2022

Liebe Silke, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Da ich gerade für ein paar Tage in Berlin und ohne Hund und Familie bin, habe ich den Luxus, sofort mit dem Schreiben anzufangen. Es ist gerade sechs Uhr morgens. Spätestens um neun Uhr mache ich mich für den Tag bereit und treffe einen Künstler, mit dem eine Zusammenarbeit geplant ist. Neben dem Schreiben, betreibe ich einen Kunstblog und kuratiere aktuell eine Ausstellung in Berlin. Den Rest des Tages werde ich mich auf die Ausstellung konzentrieren.

Silke Tobeler, Schriftstellerin, Kunstbloggerin


Normalerweise lebe ich in Hamburg und verbinde meine Arbeit mit dem Familienleben. Drei Kinder, ein Mann, ein Hund. An zwei Tagen gehe ich fest in den writer´s room, der einerseits der perfekte Arbeitsplatz zum Schreiben ist (es darf sich in den Räumen nicht unterhalten werden) und gleichzeitig ein toller Verbund. In der Küche tauschen wir uns dann doch aus, veranstalten Lesungen, arbeiten in Textgruppen und versuchen die Hamburger Literaturlandschaft zu bereichern.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

An mir selbst und in meinem Umfeld stelle ich eine Mischung aus Unsicherheit und Resignation fest. Unsicher, weil keiner sagen kann, wann diese Krisen aufhören werden. Man hat nicht das Gefühl, dass unser Leben normal sei. Wie auch? Der letzte Lockdown ist nicht allzu lange her. Alle Expert*innen sagen, dass die Pandemie noch nicht beendet sei und man sich auf einen Herbst und Winter mit hohen Infektionszahlen einstellen muss. Das macht nicht gerade Mut.


Hinzu kommt der Angriff Russlands auf die Ukraine. Ein Schock, der uns alle aus der Bahn geworfen hat. So nah ist uns ein Krieg in den letzten achtzig Jahren nicht gewesen. Zudem verunsichern die drohenden Folgen: Ein kalter Winter und die Frage, ob die AKWs wieder aktiviert werden, neben vielen anderen Themen.

Wir müssen eine innere Balance finden, um den Alltag leben zu können. Denn den gibt es noch.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Aufbruch und Neubeginn sind gute Worte, um in all den Krisen Hoffnung zu schöpfen. Einerseits finde ich es schwierig jede Krise als Chance zu sehen. Denn gerade ein Krieg bringt unfassbare Trauer und Schmerz in die Gesellschaft.
Aber dennoch glaube ich an die Möglichkeit einer Chance. Wann wenn nicht jetzt, können wir uns aus den zersetzenden wirtschaftlichen Verstrickungen lösen und tatsächlich einen echten Energiewandel forcieren?
Auch Despoten nicht alleinig mit beschwichtigenden Worten zu begegnen, sondern sich ernsthaft solidarisch mit den Menschen zu zeigen, die in diesen Diktaturen Folter und Verfolgung ertragen müssen, ist notwendig, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Und hier kommt die Kunst und Literatur ins Spiel. Einerseits lassen uns Worte, Erzählungen und Bilder Missstände auf bildliche und emotionale Weise erleben. Und andererseits spendet Kunst und Literatur Hoffnung und Trost. Denn in der kreativen Umsetzung spürt man die Menschlichkeit, sucht den Sinn hinter allem, stellt Fragen, mit denen sich sowohl die schaffenden Künstler*innen und Literat*innen auseinandersetzen, als auch die Rezipienten, die ihre eigenen Antworten in dem Gelesenen, Gesehenen suchen und hoffentlich finden.

Was liest Du derzeit?

„Für die Ewigkeit“ von Helmut Krausser und Gedichte von Durs Grünbein im gerade erschienen Lyrikband: „Äquidistanz“

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Franz Kafka notierte am 2. August 1914 folgende Ereignisse in seinem Tagebuch:

„Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule.“

Ich habe mich immer gefragt, wie Menschen in Krisensituationen Alltag leben können. Kafkas Zitat spricht von der Banalität neben dem Horror. Und es sagt mir: Weitermachen. Dran glauben, dass die Welt auch morgen noch steht.

Silke Tobeler, Schriftstellerin, Kunstbloggerin

Vielen Dank für das Interview liebe Silke, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Silke Tobeler, Schriftstellerin, Kunstbloggerin

WILLKOMMEN

Fotos_privat

24.8.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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