„Meine Generation blickt ganz anders auf die Welt – weil sie muss“ Fritzi Wartenberg, Theaterregisseurin _ Berlin _ 15.8.2022

Liebe Fritzi, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Mich erwartet ab der Spielzeit 22/23 eine einjährige Residency am Berliner Ensemble. Was das Wort „Residency“ für meinen Tagesablauf bedeuten wird, ist mir momentan selber noch ein Rätsel. Ich denke, dass es bei einer künstlerischen Residenz vor allem darum geht, sich seine eigene Routine zu erschaffen – die Suche danach, was für einen selbst funktioniert und in den kreativen Flow versetzt. Mit ein bisschen Glück und der Hilfe meines tollen Teams erforsche ich in diesem Jahr theatrale Methoden, die ich auch zukünftig in meinen Arbeitsprozess integrieren werde. Ich freue mich riesig über diese Chance!

Fritzi Wartenberg, Theaterregisseurin, Autorin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Puh. Ich denke, was „ für uns alle wichtig ist“, kann kein Mensch auf der Welt beantworten. Dann wären sich ja alle einig! Das wäre zwar schön, aber auch ein bisschen langweilig. Ich finde spannend, dass unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Dinge wichtig sind. Das ist doch auch der Treibstoff des Theaters: Wo Reibung ist, entsteht Wärme. Da kann sich etwas entwickeln.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?

Unsere (westliche) Gesellschaft hat in mehrerlei Hinsicht ihren Zenit erreicht; vor allem wirtschaftlich und ökologisch. Als meine Eltern so alt waren wie ich jetzt, ging es darum, die hässliche Nachkriegszeit so gut wie möglich von sich abzuschütteln, um frei, reich und am Besten braungebrannt zu sein. Damals schien alles möglich, denn die Welt befand sich für sie in einem ständigen Aufschwung. Das hat sich radikal geändert. Meine Generation blickt ganz anders auf die Welt — weil sie muss. Für uns ist die Zukunft nicht mehr ewig, sondern ein kostbares Gut, das es zu beschützen gilt. Das Theater muss nun nachziehen und sich trauen, diesen Wandel im Wertesystem nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern als Chance. Erst wenn wir diese Ignoranz hinter uns lassen und der Welt und ihren Missständen ins Auge blicken, können wir neue Zugänge finden, die das Theater in seine volle Kraft zurückholen.

Was liest Du derzeit?
Sexuelle Revolution von Laurie Penny. Gutes Buch – sehr zu Empfehlen! (Nur vielleicht keine passende Einstiegslektüre für diejenigen, die sich noch nicht mit Feminismus befasst haben. Bitte gerne nachholen.)

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

„We’re sick, you know that? We’re sick to the back-fucking teeth of hearing from
old men, with flaky skin, at weddings, patting the back of your hand gently as
they explain what they consider to be the truths of the world, like I share the
same truths, like his truth and my truth are anywhere near the fucking same
when it’s you that gets to make the world and me that’s got to live in it.“

Aus „The Writer“ von Ella Hickson. Premiere 19.11.2022 im Berliner Ensemble.
Regie: le moi. Karten kaufen, kommen, gucken!

Fritzi Wartenberg, Theaterregisseurin, Autorin

Vielen Dank für das Interview liebe Fritzi, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theaterprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Fritzi Wartenberg, Theaterregisseurin, Autorin

Fotos_Anna Breit

13.8.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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