„Letztlich kommt es darauf an, dass man etwas teilen kann“ Verena Dolovai, Schriftstellerin  _ Bad Hall, Gastatelier der Kunstsammlung OÖ _ 28.7.2022

Liebe Verena, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Die Frage trifft mich in einer Ausnahmesituation an: Ich verbringe den Juli in der wunderschönen Villa Rabl, dem Gastatelier der Kunstsammlung OÖ zum Schreiben und habe einen völlig anderen Tagesablauf als in meinem Alltag in Klosterneuburg. Ich kann mir die Zeit von früh bis spät frei einteilen. Ein Luxus, der mich anfangs auch vor Herausforderungen gestellt hat. Ich bin es nicht gewohnt, ohne Zeitkorsett und in Stille den Tag anzugehen. Zu Hause lebe ich mit 3 halbwüchsigen Kindern, einem Mann, einem Kater. Und dann ist da ja noch mein Job als Juristin bzw Übersetzerin. Das Schreiben nimmt sich dennoch immer einen Platz, es ist sehr durchsetzungsstark.

Verena Dolovai_Schriftstellerin  _
im Schreibatelier Villa Rabl, dem Gastatelier der Kunstsammlung OÖ

Hier in Bad Hall genieße ich, dass ich dem Schreiben den Raum geben kann, den es einfordert.


Ich stehe nicht viel später als daheim auf, dh gegen 6.30. Ich habe mir ein Ritual angewöhnt: Vorhänge aufziehen, Lüften, in den Park hinausschauen, Kaffeemachen.
Meistens starte ich dann gleich am Küchentisch mit dem Schreiben.
Je nach Wetter gehe ich vor- oder nachmittags laufen. Ich brauche sehr viel Bewegung in der Natur und werde schnell kribbelig, wenn ich diese Energie nicht abbauen kann. Ich kann meinem Kopf nur soviel zumuten wie mein Körper auch ausgleichen kann.

Meine Essenszeiten sind flexibel, das mag ich. Manchmal hole ich mir abends etwas von den ausgezeichneten und vielfältigen Lokalen in Bad Hall.
Weil es so warm ist, kann ich bis spätabends draußen sitzen und schreiben. Am besten funktioniert das auf einer Parkbank. Dabei beobachte ich gern meine Umgebung, die Menschen und erfreue mich an ihrer Ausgelassenheit: spielende Kinder, miteinander redende, lachende Leute.

Spätabends ziehe ich die Vorhänge zu und erinnere mich an meinen Opa, der das täglich im Gastzimmer des Gasthofs meiner Großeltern gemacht hat. Allerdings habe ich keinen Stab dafür wie er damals.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Je länger ich allein bin, desto bewusster wird mir, wie sozial wir Menschen sind und wie sehr wir einander brauchen. Rückzug und Freiraum sind wichtig, aber letztlich kommt es darauf an, dass man etwas teilen kann.

Die Krisen, die mediale Welt, die Digitalisierung haben großes Potential, Angst zu machen. Es ist für jedes Alter in unterschiedlicher Weise fordernd, ständig neue Informationen und Daten zu verarbeiten, zu filtern, sich eine Meinung zu bilden. Vieles ist flüchtig, unverbindlich geworden. Ich glaube, dass wir trotz digitaler Vernetzung nie das Menschsein verlieren sollen. Ich meine damit den persönlichen Austausch, auch das einander Berühren. Und vielfach einfach tun statt darüber reden.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Die Kunst, insbesondere die Literatur, hat für mich seit jeher die Rolle, die Welt zu beschreiben, sie zu zeigen und letztlich, ganz wichtig in meinen Augen, zu unterhalten. Kunst ist die unabdingbare „2. Welt“ ohne die es finster und langweilig wäre.

Literatur bedeutet für mich auch Spiel mit und Freude an der Sprache.

Was liest Du derzeit?

Ich bin mit meiner halben Bibliothek (ua T.C. Boyle, Tove Ditlevsen, Karl Ove Knausgard, Agota Kristof, Zeruya Shalev) angereist und habe alle Bücher schön gestapelt in der Villa, auch um es mir gemütlich zu machen. Ich habe schnell bemerkt, dass ich kaum eine Zeile lesen kann, wenn ich so tief im Schreiben drinnen bin.

Ein Buch, das ich dann doch begonnen habe, ist „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Eine Freundin meinte, das sei genau richtig für die Phase der einsamen Schriftstellerei, und ich wollte es immer schon lesen.

Ich finde es fantastisch, weil es zeigt, dass wir doch alle ähnlich ticken: Wir brauchen Ansprache (auch tierische) und eine Aufgabe. Sonst drehen wir durch.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Lose your dreams and you will lose your mind (Rolling Stones)

Verena Dolovai_Schriftstellerin  _
im Schreibatelier Villa Rabl, dem Gastatelier der Kunstsammlung OÖ

Vielen Dank für das Interview liebe Verena, eine schöne Zeit in Bad Hall und viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Verena Dolovai_Schriftstellerin  

Verena Dolovai

Alle Fotos_Verena Dolovai_Schreibatelier Bad Hall/OÖ

22.7.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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