„Von Solidarität profitieren alle“ Jan-Eike Hornauer, Schriftsteller _ München 20.7.2022

Lieber Jan-Eike, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

In erster Linie ist er meistens zu schnell, also: Der Tag läuft zu schnell ab. Und ich soll da irgendwie hinterherkommen. Na, mit diesem Problem stehe ich nicht alleine da, ich weiß …

Ansonsten gilt immer: Ich bin eindeutig ein Nachtmensch. Wozu der Vormittag erfunden worden ist, war mir schon als Schüler unklar, und das hat sich bis heute nicht geändert. Die Abend- und Nachtstunden hingegen, das war schon früh meine Zeit, und sie wird es auch immer bleiben.

Das passt auch ganz gut zu meinen Tätigkeitsfeldern: Ich bin als freier Autor, Lektor, Herausgeber und Texter unterwegs, arbeite von zu Hause aus. Da kann man den verschobenen Tagesrhythmus schon pflegen (oder er einen sich). Denn er passt sogar ganz gut in die entsprechenden Arbeitsabläufe – weil etwa Werbeagenturen selber eher etwas später beginnen, dann aber sehr viel von dem, mit dem sie mich beauftragen, ganz spontan, also am gleichen Tag oder über Nacht, erledigt werden muss. Von geregeltem Feierabend oder auch freien Wochenenden, also allgemein von gesellschaftlichen Normarbeitszeiten, sollte man da eher nicht ausgehen.

Und auch in der Zusammenarbeit mit Verlagen und Autoren gilt: Mein Tagesrhythmus hat hier klare Vorteile. Durch mich als ausgewiesenen Nachtarbeiter ergeben sich oftmals Workflows, die für beide Seiten gut funktionieren – etwa weil man gegenläufig gestrickt ist und so bei Bedarf Projekte bzw. Phasen, in denen es auf Zusammenarbeit im recht knappen Wechselspiel ankommt, in kurzer Zeit richtig vorangetrieben werden können.

Und Gedichte sowie Kurzgeschichten etc. habe ich selbstredend schon zu jeder Tageszeit geschrieben, doch hier ist ganz besonders zu beobachten: Am meisten geht in der Nacht. Das gilt hier dann übrigens auch bis in die frühen Morgenstunden hinein und ganz ohne drohende Deadline. Da sieht man einfach, wo die eigenen Impulse am stärksten wirken.

Corona, worauf sich ja das »jetzt« in der Frage bezieht, hatte hier keinen großen Einfluss – es engte vieles sehr ein und war insgesamt ordentlich bedrückend (auch weil ich in München und damit sowohl in der Stadt als auch in Bayern lebe, also räumliche Enge und die bundesweit härtesten Regeln samt Überwachung kombiniert erleben durfte), aber meinen Rhythmus betraf es eher weniger.

Jan-Eike Hornauer, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Jetzt, vor dem Hintergrund von ausklingender Corona-Zeit und dem Krieg von Putin-Russland gegen die Ukraine, ganz besonders: Solidarität. Aber das sollte auch ohnehin immer ein sehr hoher Wert in der Gesellschaft sein. Denn nur als eine solidarisch geprägte kann eine Gesellschaft das sein, was man menschlich nennen möchte, und mithin erstrebenswert ausfallen. Oder anders ausgedrückt: Von Solidarität profitieren alle, und ganz ohne Solidarität ist jedwede Gesellschaft unmöglich.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Solidarität. Und das Weiten von Perspektiven. Nicht nur ökonomisch und kurzfristig denken. Überlegen: Was ist der Mensch, was ist Gesellschaft – und was müssen wir im Interesse aller tun? Nicht fragen: Was braucht die Wirtschaft und wie sehen die Zahlen zum Quartalsende am besten aus? Literatur und Kunst sind hier ihren Möglichkeiten nach eminent wichtig und genuin geeignet, sie müssen jedoch völlig neu gewichtet werden, damit sie diese gesellschaftlichen Aufgaben auch erfüllen können. Darüber hinaus sind sie für den Einzelnen auch unerlässliches Überlebens- und tiefgreifendes Genussmittel – und sollten auch als solche behandelt, das heißt unter anderem auch: viel weiter verbreitet und über Sonntagsreden hinaus wertgeschätzt werden.

Das Standing von Kunst und Kultur ist schon seit langer Zeit ein schlechtes. Ein erschreckendes Ausmaß an Missachtung dieser Bereiche hat die Corona-Zeit offengelegt. Da kann man sich schon sehr ernsthaft fragen, warum sich Deutschland selbst als »Kulturnation« beschreibt und als »Land der Dichter und Denker« labelt.

Das ist mein Ansatz zu der Frage. Ich gehe jedoch nicht davon aus, dass es gesellschaftlich einen Aufbruch oder gar Neubeginn geben wird. Dafür ist – dies war von Beginn an absehbar und ich habe es entsprechend auch stets so gesagt – schlicht zu wenig passiert. Entsprechend hat sich auch auf individueller Ebene bei den meisten nichts oder nur sehr wenig getan und wird sich auch nichts tun. Wenngleich einige Lebensläufe zweifellos erschüttert worden sind.

Was liest Du derzeit?

Den Gedichtband »Elefant mit Obelisk« von Ludwig Steinherr – ein schwebendes Lesevergnügen, trotz des schweren Rüsseltiers und des gewichtigen Steinkunstwerks im Titel. Leichtigkeit, intelligente Beobachtungen und Menschzugewandtheit treffen hier auf eine besondere Sprachkunst. Ein echter Steinherr eben. Einfach zu empfehlen. Und dazu den Roman »Der Trick« von Emanuel Bergmann, eine leicht überdrehte Familiengeschichte mit wahrem Witz, sprachlich und szenisch überzeugend dargeboten.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

»Der Habicht fraß die Wanderratte / nachdem er sie geschändet hatte.« Das ist ein Zweizeiler aus Robert Gernhardts Euvre, genauer aus »Tierwelt – Wunderwelt«. Er bietet Tief- im Unsinn und umgedreht sowie einen herrlich weiten Assoziations- und Interpretationsspielraum. Er ist einfach ein Zitat fürs Leben. Und auch als Eisbrecher in herausfordernden Situationen geeignet. Zumindest manchmal.

Vielen Dank für das Interview lieber Jan-Eike, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Jan-Eike Hornauer, Schriftsteller

www.textzuechterei.de

Foto_Sven Kössler

6.7.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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