Lieber Sebastian, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Puh, das ist momentan sehr schwer zu sagen. Ich bin vor 14 Tagen zum zweiten Mal Vater geworden, das wirbelt natürlich alles ordentlich durcheinander. Hinzu kommt, es sind Ferien, Sommer, große Hitze. Wir versuchen regelmäßig aufs Land zu flüchten, um der großen Hitze in der Stadt zu entgehen, gleichzeitig habe ich ein paar Drehprojekte für die man zu Kostümproben und Probeaufnahmen hin- und herfahren muss. Also jeder Tag sieht anders aus und birgt spannende, zumeist schöne Herausforderungen.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Nun ja, wer ist alle? Die gesamte Menschheit? Dann würde ich sagen, vor allem an die Adresse der reichen Industrieländer gerichtet: Das Wichtigste ist JETZT den „Gürtel“ enger zu schnallen und in den sauren Apfel der Reduzierung zu beißen und Emissionen radikal einzusparen wo wir nicht auf erneuerbare CO2-freie Energieträger umstellen können. Für jeden einzelnen Bürger bedeutet das natürlich Verzicht. Also wäre das Wichtigste zu hinterfragen, wo kann ich helfen CO2 einzusparen, aber auch Energie im Allgemeinen. Ich glaube es reicht nicht, beispielsweise, zu denken: „Ich kaufe mir ein e-Auto und dann bin ich umweltfreundlich.“ Sondern wo kann ich ganz auf das Auto verzichten und zu Fuß gehen, den Zug oder das Fahrrad nutzen. Nur wenn wir es schaffen, umzudenken und Gewohnheiten loszulassen werden wir die Klimakrise meistern können. Die Politik muss viel strengere Maßnahmen setzen und jeder Einzelne muss mitziehen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Das Theater ist quasi das Labor der Gesellschaft, hier können wir in die Zukunft schauen und Visionen des Zusammenlebens entwickeln. Fragen aufwerfen und diskutieren wie ein „Neubeginn“ aussehen könnte. Wobei ich gar nicht von einem Neubeginn sprechen würde, sondern eher von einem Transformationsprozess. Wir müssen schließlich mit unseren Altlasten umgehen und schauen was wir daraus machen können. Donna Haraway beschreibt das z. Bsp. in ihrem Buch „Unruhig bleiben“, wo in Kanada Indianerreservate erst von Bergbauunternehmen untergraben und ausgebeutet wurden und jetzt zurückgegeben werden. Die Landschaft ist zerstört bzw. verändert worden und jetzt muß man schauen was man daraus machen kann. So wie in der Gegend um Leipzig, wo ich herkomme, dort wurden Braunkohle-Tagebaue stillgelegt und dann geflutet. Jetzt sind Naherholungsgebiete und Wohngebiete am See entstanden. Man muss es nehmen wie es ist und ändern. Das Theater und die Kunst können Anstöße liefern und den Augenmerk auf Sachen richten, die uns helfen umzudenken. Ich finde auch, daß das der gesellschaftliche Auftrag ist, einerseits Missstände aufzudecken und zu kritisieren und anderseits Visionen – auch phantastische und verrückte Ideen – aufzugreifen und darzustellen. Wenn es gelingt das in gute, spannende Geschichten zu verpacken und auf unterhaltsame, humorvolle Weise vorzutragen, dann hat Theater seinen Beitrag geleistet.
Was liest Du derzeit?
Beruflich habe ich gerade gelesen: „Martin Bormann – Hitlers Vollstrecker“.
Privat lese ich derzeit, wenn ich dafür Zeit finde, die Biographie von Ai Wei Wei: „1000 Jahre Freud und Leid“.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Ich mag den Spruch, der dem Film „A serious man“, von den Cohen-Brothers, vorangestellt ist:
„Nimm in Einfachheit alles hin, was dir widerfährt.“ (Raschi)
Dabei denke ich daran, daß wir in den letzten Jahren so eine Aufregung und Empörung entwickelt haben, wenn jemand anderer Meinung ist als wir. Wir müssen wieder dazu kommen uns gegenseitig zuzuhören und verschiedene Meinungen stehen zu lassen, nicht auszuschließen. Wie Marx sagte:
These + Antithese=Synthese
Vielen Dank für das Interview lieber Sebastian, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Sebastian Thiers, Schauspieler
http://www.sebastian-thiers.de/
Foto_Marcus_Staab_Photographie
5.7.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.