Liebe Sandra, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Wenn man am Theater arbeitet, ist das sehr unterschiedlich, je nach Umfang der Rolle, Arbeitsweise der Regie und Saison. Ich bin an den Landesbühnen Sachsen als Schauspielerin angestellt und inszeniere zusätzlich. Wenn wir von Herbst bis ins Frühjahr am Stammhaus proben, sind die üblichen Probenzeiten von 10 bis 14 und von 18 bis 22 Uhr, samstags wird nur von 10 bis 14 Uhr geprobt und sonntags nie. Vorstellungen können immer angesetzt werden. Meistens finden diese abends statt, aber natürlich gibt es Ausnahmen, wenn man zum Beispiel im Weihnachtsmärchen eine Rolle spielt. Je nachdem wie strukturiert die Regie ist, bekommt man am Freitag einen Plan für die kommende Woche, der besagt, wann man für welche Szenen bestellt ist, oder man bekommt einen Plan für die Woche, an dem man immer angeschrieben wird, auch wenn man dann vielleicht gar nicht benötigt wird.

Im Prinzip gibt es für festangestellte Schauspieler*innen eine Erreichbarkeitspflicht und wir müssen jeden Tag spontan abrufbar sein. Vor und nach den Proben, lerne ich Text, rekapituliere das bisher Geschehene, lese Sekundärliteratur oder beschäftige mich auf andere Arten mit meiner Figur. Zusätzlich zu den Proben und Vorstellungen hat man Anproben in Schneiderei und Maske, Pressetermine, Werbeveranstaltungen und Fotoshootings. In der Sommersaison proben und spielen wir etwas anders.

Gerade finden zum Beispiel im Vorfeld einer Inszenierung Reitproben statt. Die Proben auf Schloss Moritzburg oder auf der Felsenbühne Rathen sind dann nicht geteilt, weil die Anfahrt länger dauert. Wenn ich inszeniere, bereite ich bereits Monate vor der Konzeptionsprobe (das ist die erste Probe mit den Solist*innen) den Inszenierungsansatz des jeweiligen Stückes vor. Da finden neben viel Heimarbeit auch die ersten Besprechungen mit der Ausstattung und der Dramaturgie statt, eventuell auch mit Musiker*innen, Besetzungen werden mit der Theaterleitung besprochen, es gibt eine Bauprobe und eine Konzeptionsübergabe mit Theaterleitung und Gewerken. Als Regisseurin arbeite ich, sobald es in die Proben mit den Schauspieler*innen geht, quasi durchgängig. Zwischen den Zeiten auf der Probebühne, werden Pläne gemacht, Absprachen zu Inhaltlichem, Bühne, Licht, Werbung etc. getätigt.

Wenn ich frei habe, nutze ich die Zeit um ins Theater (gerne auch in anderen Städten), auf Konzerte oder ins Kino zu gehen. Zusätzlich bin ich Teil des musikalischen Künstlerkollektivs MACHINE DE BEAUVOIR. Während der Lockdowns habe ich zu Hause verschiedene Projekte vorbereitet, beziehungsweise auch einige Digitale Projekte umgesetzt. Da ich angestellt bin, war ich in der glücklichen Position mir keine existenziellen Sorgen machen zu müssen.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Die Verbindung mit anderen Menschen. Gegenseitige Ermutigung und Herausforderung. Eine Stütze zu sein. Verlässlich zu sein. Zu wissen, wann man NEIN sagen muss. Für andere einstehen. Für sich einstehen. Das Hinterfragen der eigenen Sichtweisen. Das Festigen der eigenen Sichtweisen, durch ständiges Hinterfragen, das Stehen dazu und der Versuch sie zu leben.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Das Theater war und ist ein Ort der Begegnung, der Katharsis, des Diskurses, der Inspiration, der Reibung, außerdem ein Ort der Unterhaltung. Wenn diese Punkte aufeinandertreffen, interessiert mich die Inszenierung meistens. Was auf der Bühne gezeigt wird, sollte seine Berechtigung im Heute haben, sich ihm aber nicht anbiedern. Ich interessiere mich dafür gewaltige Ideen, Geschichten, Schicksale nahbar zu machen. Überheblichkeit ist Stillstand und somit der Tod der Kunst. Wenn uns der Humor (und die Selbstironie) verloren geht, sind wir alle nicht mehr zu retten. Man sollte sich selbst nie zu ernst nehmen.

Was liest Du derzeit?
Zwei Bücher, die sich mit der WEISSEN ROSE beschäftigen, da ich die Kammeroper von Udo Zimmermann im Frühjahr am Theater Regensburg inszenieren darf. Zusätzlich habe ich angefangen BRÜSTE UND EIER von Mieko Kawakami zu lesen, ein Geburtstagsgeschenk, das ich vor kurzem von einer Freundin erhalten habe. Und in BAD FEMINIST von Roxane Gay stecke ich augenblicklich Kapitelweise immer mal wieder meine Nase.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Ingeborg Bachmann

Vielen Dank für das Interview liebe Sandra Maria, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Theater-, Schauspielprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Sandra Maria Huimann _Schauspielerin und Regisseurin
https://www.sandramariahuimann.net/
Fotos_ 2-5, 7 holmsohn; 1, 6 Volkmar Thorandt;
2.6.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.