Bachmannpreis 2022 _“Ich hoffe auf einen echten Dialog über Literatur“ Eva Sichelschmidt, Schriftstellerin _ Berlin 8.6.2022

Liebe Eva Sichelschmidt, herzliche Gratulation zur Teilnahme am Ingeborg Bachmannpreis 2022!

Wie gestalte sich der Text- und Bewerbungsprozess und wie hast Du Deine Teilnahmebekanntmachung erlebt? Welche Reaktionen gab es?

Jeder Text ist zunächst ein Hirngespinst, das auf Papier Form annimmt. Wenn an dem Textkorpus ausreichend gefeilt ist – und man wird nie genau wissen wann das ist, ob man wie der Steinmetz zu viel stehengelassen oder bereits Entscheidendes entfernt hat – zeigt man ihn mit klopfendem Herzen dem ersten Leser. Tritt man mit seinen Zeilen aus dem Privaten in die Öffentlichkeit, dann ist das Stress, aber in gewisser Weise ein positiver. Die Erleichterung und die Freude waren groß, als die Zusage zum Wettbewerb kam.

Eva Sichelschmidt, Schriftstellerin _
Bachmannpreisteilnehmerin 2022

Wie gehst Du jetzt auf den Wettbewerb zu? Welche besonderen Vorbereitungen wird es geben?

Schreiben, immer nur schreiben. Die Nominierung gibt mir Kraft, eine Kraft, die ich nutzen muss. Ich glaube an Konzentration. Ich gehe in mich und frage mich, warum tue ich das, was ich hier im Verborgenen treibe. Und warum will ich damit an die Öffentlichkeit? Ich arbeite gerade viel und kritisiere jede Nacht mich selbst. Das ist natürlich ein Trick, um so gut wie jeden Vorwurf schon einmal gehört zu haben.

Ingeborg Bachmann sagte zu den Anfängen Ihres Schreibens: „Manchmal werde ich gefragt, wie ich, auf dem Land großgeworden, zur Literatur gefunden hätte. – Genau weiß ich es nicht zu sagen; ich weiß nur, dass ich in dem Alter, in dem man Grimms Märchen liest, zu schreiben anfing, dass ich gern am Bahndamm lag und meine Gedanken auf Reisen schickte…“

Wo bist Du geboren, aufgewachsen und wo liegen die Anfänge, Wurzeln, Inspirationen Deines Schreibens?

Der Trost. Als ich ein kleines trauriges Kind war, tröstete es mich, wenn mir die Großmutter vorlas. Später hörte ich jeden Tag Märchenplatten und Kassetten, mit spannenden Geschichten oder Krimis. Aber ich schaffte es einfach nicht ein Buch zu lesen. Die Konzentration reichte nie für mehr als eine Seite. Als ich jedoch anfing zu schreiben, füllten sich die Blätter fast von allein. Und je mehr ich schrieb, umso besser konnte ich auch lesen. Stolz zeigte ich meine Geschichten den Erwachsenen, doch die waren entsetzt: Die Rechtschreibfehler (manche Buchstaben schrieb ich spiegelverkehrt) ließen sie so gut wie unleserlich erscheinen. Außerdem seien die Dinge, von denen ich berichtete, alle gelogen, so das Urteil. Da begann ich mich zu schämen. So sehr, dass ich für Jahre nichts mehr schrieb. Aber dafür las ich nun wie besessen. Ich bekam einfach nicht genug von den Lügen der Anderen, von denen ich bald wusste, dass sie unzählige Wahrheiten sind.

Als mein Vater gestorben war, konnte ich meinen ersten Roman beginnen.

Was ist Dir in Deinem Schreiben wichtig und welche aktuellen Projekte gibt es?

„Schreiben was wahr ist“ hat Ágotá Kristóf es genannt. Das ist so unendlich schwer! Man kann daran verzweifeln. Manchmal denke ich: Du musst einen Film machen, Bilder lügen nicht. Aber das ist bei genauerer Betrachtung natürlich auch nicht wahr. Dann wieder möchte ich musizieren können, um nur noch eine überschaubare Menge an Tönen zur Verfügung zu haben. Leider bin ich dafür erwiesenermaßen unbegabt. Also kehre ich jeden Tag wieder zurück zum Schreiben. Genauer, exakter werden, mutig werden und mutig bleiben, das ist die Devise.

Was kommt unbedingt auch in den Reisekoffer für Klagenfurt?

Die Hoffnung: Ich hoffe auf einen echten Dialog über Literatur. Einen wie ihn schon lange nicht mehr erlebt habe.

Eva Sichelschmidt, Schriftstellerin _
Bachmannpreisteilnehmerin 2022

Vielen Dank für das Interview! Viel Freude und Erfolg in Klagenfurt!

Bachmannpreis 2022 _ Teilnehmer:innenvorstellung:

Eva Sichelschmidt, Schriftstellerin _ Berlin/Rom

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Fotos_privat

Walter Pobaschnig, 31.5.2022

https://literaturoutdoors.com

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