Liebe Lisa-Viktoria, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich bin morgens und vormittags am kreativsten bzw. produktivsten, daher beginne ich meist gegen 7:00 mit der Arbeit. Egal, ob ich am Roman, an Kinderbuchprojekten, Förderansuchen, Workshopkonzepten oder Auftragstexten schreibe, bei mir beginnt alles handschriftlich und am Fensterbrett sitzend. Ich habe die Stadt beim Schreiben gerne im Blick. Für Emails und zum Abtippen meiner Texte wandere ich dann doch an den Schreibtisch. Mittags mache ich gerne Sport, beim Essen höre ich Podcasts. Nachmittags Recherche, Hausarbeit, Büroarbeit. Ich bin jetzt seit einem Jahr ausschließlich Autorin, in meinen neuen Arbeitsroutinen schwingt die Pandemie noch sehr mit. Ich denke viel zu oft gar nicht dran, dass ich ja rausgehen könnte zum Schreiben, in ein Kaffeehaus oder eine Bibliothek. Ich nehme mir am Wochenbeginn immer vor, mindestens einen Ausflug mit mir allein zu machen, ins Museum beispielsweise. Das ist wichtig für neue Eindrücke und Textideen. Klappt aber nicht jede Woche.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Es gibt so viele Problemherde: die Pandemie-Nachwehen, Kriege, Femizide, Klassismus, und vor allem: die Klimakrise. Es brennt an allen Ecken und Enden, manchmal wortwörtlich. Mir persönlich macht das manchmal eine ordentliche Angst, einen massiven Stress. Dagegen hilft nur aktiv zu werden. Von Politikverdrossenheit und Rückzug ins Private, in den Komfort der eigenen Häuslichkeit, hat es noch nie Veränderungen gegeben. Wir, die wir uns in der privilegierten Situation befinden, laut sein zu können, müssen genau das tun. Gerade was die Klimakrise betrifft, da geht es jetzt um alles. Stoffsackerl verwenden, Hafermilch trinken und immer wieder mal die Straßenbahn nehmen – das ist gut, aber es reicht nicht. Es braucht Veränderungen, eine Politik für alle. Eine, die ein würdiges, gesundes Leben und eine sichere Zukunft für alle, anstatt Partikularinteressen unterstützt.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Ich glaube, dass uns Schreibenden vor allem eine vermittelnde Position zukommt. Zumindest ist es mein Anliegen, mein Anspruch an meine Texte, gesellschaftliche Diskurse aufzugreifen, sie in ein Narrativ einzufügen und somit zugänglicher zu machen. Was bedeutet genau Klimakrise, wie fühlt sich Altersarmut an, wieso wählen Aktivist*innen zivilen Ungehorsam als Zeichen des Protestes, was passiert, wenn man vertrieben wird? Wir Künstler*innen können Statistiken, Schlagworte, bloße Informationen in neue Kontexte betten, und so (im Idealfall) Sachverhalte auch emotional begreifbar machen. Einem Thema emotional verbunden zu sein, ist die Basis für jedwedes weitere Engagement.
Was liest Du derzeit?
„Brotjobs und Literatur“, eine Anthologie, die Iuditha Balinth, Julia Dathe, Karin Schadt und Christoph Wenzel letztes Jahr im Verbrecher Verlag herausgegeben haben. Ich finde mich in vielen dieser Ausführungen übers Schreiben und Arbeiten sehr wieder und kann das Buch insbesondere allen, die im Kulturbetrieb tätig sind, wirklich ans Herz legen.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Im Vorwort zu „Brotjobs und Literatur“ stellen die Autor*innen fest, dass die prekären Arbeitsbedingungen der Autor*innenschaft nicht nur ein strukturelles Problem sind, sondern auch den Literaturbetrieb am Laufen halten. Drei der anschließenden Forderungen bzw. Ziele der Publikation möchte ich hier gerne teilen, weil ich sie unterstütze.
Erstens: „Die Enttabuisierung dieser [literarischen] Arbeitsbedingungen, also auf die nicht selten prekäre Lage der Literaturschaffenden aufmerksam zu machen, die teils unter strapaziösen, das Leben fragmentierenden Bedingungen die Vielfalt der literarischen Veranstaltungen und Veröffentlichungen überhaupt erst ermöglichen.“
Zweitens: „Dem öffentlich noch immer idealisierten Bild von Schriftsteller*innen entgegenzuwirken, das ausschließlich das Ergebnis der schriftstellerischen Arbeit, das fertige Buch, und die anschließende mediale Präsenz wahrnimmt.“
Drittens: „Die Thematisierung der zumeist schambesetzten finanziellen Verhältnisse im Literaturbetrieb, und das mit je eigenen Mitteln in je eigener Sprache.“
Ich fange an: Ich habe im Mai Einkommen dank: einer Lesung, einem Text für ein Kunstprojekt, einem Interview und zwei Rezensionen für eine Zeitschrift. Ich verdiene in diesem Monat 690€. Die Hauptarbeit, das Weiterschreiben an meinem Roman, erfolgt unentlohnt und könnte ohne einen finanziellen Puffer durch Stipendien in dieser Form nicht stattfinden.
Vielen Dank für das Interview liebe Lisa-Viktoria viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Lisa-Viktoria Niederberger, Autorin
Foto_privat.
17.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.