Lieber Thomas, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Hängt ein wenig vom Tag ab. Grundsätzlich teile ich den Tag in Investition und Arbeit. Der Morgen und der Vormittag gehören mir, der Nachmittag der Lebenssicherung (jagen und sammeln), der Abend und die Nacht dann dem Zufall.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Ich tue mich schwer mit Kategorien wie Alle oder auch der Konstruktion eines Wir. Das sind Projektionen, die nur vom Ich ablenken. Wir und Alle irren sich ständig. Das liegt wohl daran, dass Wir und Alle dabei nicht zu Wort kommen, sondern immer der Wille eines verborgenen Ichs sie ins Feld führt, meist um eigene Ziele zu erreichen.
Was ist jetzt für mich wichtig?, klingt ganz anders und ist ehrlicher.
Ich halte wenig von Schwarmintelligenz, sie reicht gerade für Formationsflüge. Ich würde mir von Wir und Alle nie eine Zahnkrone einsetzen lassen z.B., oder ein Buch empfehlen, nicht mal einen Wein möchte ich mit denen trinken gehen, die Gespräche wären sicher dumm bis bösartig. Das am stärksten unterschätzte Wesen dieser Welt ist der einzelne Mensch.
Für mich gilt der Satz von Heiner Müller: 10 Deutsche sind dümmer als 5.
Das lässt sich höchstwahrscheinlich auch auf Österreicher oder sagen wir mal Franzosen übertragen, bestimmt auch auf Russen und Ukrainer.
Wenn ich mir mein Schreiben so anschauen: Ich schreibe nicht für Alle und auch nicht in dem Glauben, Wir hätten irgendwas zu sagen. Ich schreibe schon immer wegen Allen und Allem.
Was für mich jetzt wichtig ist, ist für Alle bestimmt unwichtig.
Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Wenn überhaupt, gab es die Chance zu einem gesellschaftlichen Aufbruch Anfang der 90er Jahre. Zumindest hat es sich für mich damals so angefühlt. Ich weiß noch, dass ich dachte, jetzt könnte ein Weiterentwicklung der Gesellschaft stattfinden, die Ressourcen, die im „Kalten Krieg“ gebunden waren, könnten zur Lösung so vieler Probleme genutzt werden. Damals gab es einen Moment der Utopie. Ich glaube der Moment hat in Wirklichkeit nicht länger gedauert, als es dauert, diesen Absatz zu lesen. Oder es war ohnehin nur eine Illusion. Schon mit dem Jugoslawienkrieg war alles wieder vorbei. Und sogar diese Aussage ist bereits meinem eurozentristisches Weltbild geschuldet.
Ich sehe keinen Aufbruch. Wir alle waten im Kreis durch den Schlamm.
Literatur und Kunst sind Zeichen des Individuums, dass es noch da ist. Ähnlich dem Gezwitscher eines Vogels. Wenn ich mich damit beschäftige, kann ich die Art heraushören. Wenn ich mich noch tiefer damit beschäftige, den einzelnen Vogel festmachen und wenn ich noch tiefer gehe in der Materie löst sich sogar der einzelne Vogel auf und ich komme wieder zur mir selbst und eventuell zu irgend einer Art von Erkenntnis, die mir ermöglicht zu antworten.
Gibt es das Gezwitscher nicht mehr, ist der Vogel tot, so einfach ist das, hören Kunst und Literatur auf, ist ein Mensch tot.
Was liest Du derzeit?
Schreckliches! Nichts was mir Spaß macht, aber es hat seinen Sinn und seine Bedeutung: „Vergeltung“ von Gert Ledig.
Ein Leipziger Autor, nicht viel geschrieben, und ich bin mir sicher er hätte das auch lieber nicht schreiben müssen. Manchmal verfluchen Bücher oder Texte auch einfach nur den Menschen.
Der Inhalt ist ein Grauen, aber wie Ledig es schreibt, dass gibt mir was.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Spontan: „Das Leben ist ein Furz in der Laterne“ von der wunderbaren Herta Müller.
Aber eigentlich den Satz von Warlam Schalamow: „Eine Wahrheit, die in die Kunst kommt, ist immer neu und immer individuell.
Vielen Dank für das Interview lieber Thomas, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Thomas Podhostnik, Schriftsteller
Foto_privat
12.5.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.