Liebe Valerie, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Jeder Tag ist ein bisschen anders.
Aber meistens: zwischen 7 und 8 aufstehen. Fenster aufreissen. Heisses Zitronenwasser. Kaffee. Kinder wecken. Strecken. Wenn ich zuhause bin in Frankreich, viel Natur um mich, ich versuche, einmal am Tag eine Runde spazieren zu gehen. Wenn die Kinder mittags zuhause sind, kochen. Vormittags Emails beantworten und ein bisschen singen am Klavier. Im Moment erarbeite ich wieder ein paar neue Lieder für meinen Auftritt in NYC. Ich blättere in meinen Notenbüchern und klimpere ein paar Melodien und das was hängen bleibt, schau ich mir genauer an. zB „How much I love you“ neulich von Kurt Weill und Ogden Nash. Ich schreibe auch fast täglich ein paar Zeilen in mein Tagebuch. Wenn ich in Wien bin, treffe ich mich zum Songs schreiben, aufnehmen..Da ist dann ein anderes Tempo.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Poesie. Die Poesie des Augenblicks. Die Poesie der Worte.
Und: Ein Support System, auf das man sich verlassen kann. Wissen, wen man anrufen kann, wenns einem grad mies geht. Ich denke auch es ist wichtig, für sich ein Werkzeug zu finden, mit seinen Ängsten umzugehen. Ruhepausen sind wichtig. Und liebevoller Umgang miteinander.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Musik, dem Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Musik und Kunst richten nicht. Sie sind ein Spiegel der Zeit und dennoch zeitlos.
Musik eint. Und Musik begleitet einen auch in der Einsamkeit. Musik spricht aus dem Herzen in die Herzen der Menschen.
Funambule sans filet_Valerie Sajdik,
Funambule sans filet
N’aie pas peur de tomber
Tu fais deux pas en avant
Un pas en arrière
Les yeux tous droits
Tiens l’équilibre
Vole dans l’air du temps
Et ne perds jamais confiance
Funambule, danse
Somnambule sans regrets
N’aie pas peur du réveil
Car tu vis auprès d’un rêve
Que pour le présent
Les yeux figés
Sans rien voir
Noyés dans l’air du temps
Et tes rêves te balancent
Somnambule, danse
Seiltänzerin ohne Netz
Hab keine Angst vorm Fallen
Du machst zwei Schritte vorwärts
Einen Schritt zurück
Die Augen gerade nach vorne gerichtet,
Halte das Gleichgewicht
Flieg durch die Luft
Und verliere nie dein Vertrauen
Seiltänzerin, tanz
Schlafwandler, der nichts bereut
Hab keine Angst vor dem Aufwachen
Denn du lebst nach einem Traum
Nur für die Gegenwart
Die Augen erstarrt
Ohne etwas zu sehen
Ertrunken in der Melodie der Zeit
Und deine Träume schaukeln Dich
Schlafwandler, tanz
Was liest Du derzeit?
Grad gestern „Hilde Knef und das Lied des Lebens“ fertiggelesen, von Maxine Wildner. Davor habe ich Joseph Roths Aufzeichnungen aus seinen Reisen nach Russland und in die Ukraine gelesen. Kann ich jedem empfehlen. Beide Bücher.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Gedicht von Mascha Kaleko, das mich zu meinem Lied „Funambule“ inspiriert hat:
Seiltänzerin ohne Netz
Mein Leben war ein Auf-dem-Seile-Schweben.
Doch war es um zwei Pfähle fest gespannt.
Nun aber ist das starke Seil gerissen:
Und meine Brücke ragt ins Niemandsland.
Und dennoch tanz ich und will gar nichts wissen,
Teils aus Gewohnheit, teils aus stolzem Zorn.
Die Menge starrt gebannt und hingerissen.
Doch gnade Gott mir, blicke ich nach vorn.
Vielen Dank für das Interview liebe Valerie, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Musikprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Valerie Sajdik _ Sängerin, Liedermacherin, Unterhaltungskünstlerin
Foto: Marko Zlousic
28.4.2022_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.