GIVE PEACE A CHANCE
Nach dem Mittag im März dieses Jahres
Gewalt und Krieg schreiben sich ein
in diese herzgeränderten Tage einmal mehr
Verdrängen Verschieben Vergessen
Haarrisse Gräben
Erdfälle
überdecken, wieder auffüllen, unter den Teppich kehren
seinem Kind, dem Geliebten über den Kopf streichen,
vielleicht beiläufig
lesen von
Panik in den Augen
ein letztes Mal
Atmen, früher hörtest du sie singen, jetzt
hörst du sie schreien und wieder und wieder schreien, Mykyta
Солнышко, Cherub
hast dich verirrt im Hass, in einem betäubten
Entsetzen.
Alltag stolpert zu Tisch in diesen herzgeränderten Tagen einmal mehr
das Essen schmeckt fahl im
Gegenlicht dieser Bilder
Erinnerungen mischen sich ein
In den Anblick des Sterbens der Anderen
Vergrabener Schmerz
ein Geschoss und wieder
Panik in den Augen
ein letztes Mal
atmen, früher hörtest du sie singen, jetzt
hörst du sie schreien und wieder und wieder schreien, Nikita
Солнышко, Cherub, hast dich verirrt in einem Sonnenblumenfeld, in der Chronik zu Unrecht
vergessener Kriege, in einem Geflecht aus Neid und Gier
und im Abwasch, der mahnt, Funktionstüchtig
keit anmahnt, aber
Erinnerung streut
Salz in die Wunden vergangener Tage
füttert sie auf, bis sie halboffen daliegen,
sich tiefer noch einbrennen
wie das Schrapnell, das im Bein des Grossvaters wandert
bis sie rosig aufglänzen wie der Flaum, den er auf seiner Oberlippe trug, wie das Haar
der jungen Männer, die Söhne, Geliebte, Väter sind.
So schreiben sich Kriege ein in alle herzgeränderten Tage.
Scheinbar leicht wischt sich Alltag, wischt sich Asche vom Tisch.
Melanie Katz, 8.4.2022

Give Peace A Chance_Akrostichon for peace:
Melanie Katz, Schriftstellerin
Kurzvita_Dr. phil. Melanie Katz studierte Sozialpsychologie und Deutsche Literaturwissenschaften und promovierte zu Geschlecht als Kategorie des Wissens an der Universität Basel. Sie lebt in Zürich, forscht zu Wissen um Pflanzen und arbeitet als Autorin und Performerin. Sie leitet das Einsame Begräbnis in der Deutschschweiz.
https://einsamesbegraebnis.ch/
https://salzundkunst.ch/kuenstler/melaniekatz/
Foto_privat.
Walter Pobaschnig _ 8.4.2022.