Liebe Jana, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich wache meist gen 5:00 auf, egal ob ich das will oder nicht, tapse in die Küche, beende das Geschirrstapelchaos meiner Kinder vom Abend. Nachdem die Spülmaschine arbeitet, schlurfe ich mit dem Türkischen in der Hand ins Wohnzimmer, um eingemummelt auf meinem Lieblingssessel den herannahenden Tag zu treffen. Jeder einzelne davon hat andere Aufgaben, ich bin selbständig, aber diese dunkle Stille am Morgen ist immer gleich sicher.
Heute, Donnerstag, gibt es nur einen Außentermin nachmittags, AG Kreatives Schreiben in einer Gesamtschule Potsdam. Dort werde ich literarische Atmosphären besprechen. Wie und warum erschaffe ich sie? Was bewirken sie?
Es dämmert, ich ziehe mir den Laptop auf die Knie und arbeite weiter am Konzept für das Halbjahresprojekt mit zwei Kooperationspartnern, um mit Mitteln des Kreativen Schreibens, Treffen mit Wissenschaftlern, Kontakt mit Künstlern und Autoren den Kindern und Jugendliche, die nicht so umsorgt werden mit Bildung, Literatur und Kunst eine Arbeitsplattform zu schaffen.
Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu entwickeln, zu stärken, damit sie frei ihre Geschichten schreiben können oder erzählen, Bilder malen, Fotos machen. Die Deadline klebt neongrün am Laptop. Muss ich in Etappen denken. Mach ich erstmal Pause.
Die Spülmaschine piepst. Kinder wachen auf, Schule, Brote, Puschelei. Los.
Auf meinem Schreibtisch drängeln sich die Aufgaben. Sie machen mich wuschig, weil ich nicht weiß, was ich jetzt zuerst machen soll.
Die Radiosendung „Auslesen“ am 28.11. – 16:00h bei Max v.d.O.
Meine vertonten Texte zum Vorlesen auswählen, meine Gedichte sichten, Musik, die mich vom Hocker reißt und zu mir gehört auswählen. Schwer, Ich hab ja nicht ewig Zeit, geht ja nur ne Stunde, dieses wunderbare Format um Autor:innen mit ihren Werken vorzustellen, quatschen, vorlesen, lachen, Musik zu hören. Mit Max wird das sicher gut gehen, auf UKW 91,0 MHz oder im Livestream www.alex-berlin.de/radio
Die Nachbereitung des Kreativen Schreibworkshops im Rahmen des Kunstphotoprojektes: Bestiarium. Stories von bedrohten Bestien.
Vier Dienstagstermine in folge, vier Klassen schreiben Fabeln, Kurzgeschichten, Gedichte, Comics unter meiner Leitung zu der Ausstellung im Gotischen Haus Berlin Spandau. Am Ende entsteht ein Buch. Vier Bücher liegen vor mir.
last but not least
Mein wort_trifft_ton_&_bild Programm fürs nächste Jahr zusammenstellen.
Mein Format, das Aufeinandertreffen von verschiedenen künstlerischen Ausdrucksweisen zu einem Thema gemeinsam ein Ganzes zu entwickeln, die Perspektiven der anderen wahrzunehmen, Empfindungen auszutauschen, jeder mit seiner Form und dann dem geneigten Publikum das Ergebnis zu präsentieren. Mit Wenzel Benn, einem jungen Jazzkomponisten und Improvisatoren, erschaffen wir experimentelle Klangteppiche aus Geräuschen, Tönen, Lauten, auf denen ich dann meine Texte und Gedichte lese und wir improvisieren. Die dritte Tour muss ich also organisieren, wenn sie stattfinden soll. Soll! Ich liebe es vor Menschen zu lesen, sie zu erreichen. Der Austausch danach ist unbezahlbar.
Mach ich also die Nachbereitung zuerst, da kann ich auch für das Halbjahresprogramm noch Gedanken notieren.
Nach dem Haushalt, den Kindern und so, nach dem schlechten Gewissen, was heute alles NICHT geworden ist, sitze ich und lese in meinen Universen, um in die Innenwelt, die Denkräume zurückzukehren, zu der Stille vom Morgen. Das hab ich mir verordnet. Lesen. Anhalten. Verdichten. Neue Szenen schreiben.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Mit Herzenswärme und Humor Frohsinn unter die Leute streuen. Seinen Geist nicht schläfrig werden lassen, die A-H-A und Umgangshygiene einhalten. Respektvoll und dankbar im Umgang mit Bundesmitteln, mit Zusammenarbeiten, mit geschenkten Zeiten und Aufmerksamkeiten, mit Freundschaften. Eigentlich wie sonst auch.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Kunst und Literatur bleiben Ausdruck der inneren Auseinandersetzungen, mit dem, was äußere Bedingungen bieten, egal ob sie ins Außen dringen, finden sie doch statt. Der Prozess, ist er einmal in Gang, versiegt nicht.
In der Zurückgezogenheit des Pandemiefrühlings 2020 waren die Wasseradern der Serenissima ungetrübt, sodass wir Schildkröten sahen und Delfine neben den Gondeln sprangen, die auch in brauner Brühe lebten, nur eben unsichtbar für uns. Der Himmel blau und unzerschnitten, die Vögel schrien weniger und unterhielten sich fassettenreicher. Die Luftverschmutzung nahm erstaunlich schnell ab. Natur, die sich selbst in kürzester Zeit regeneriert. Schreibpulsierend, möchte ich meinen.
Der digitale Raum ist zu einer festen Größe geworden, in der sich neue Kunst- und Literaturformate etabliert haben. Parallelwelten entwickeln sich, in der die Frage : Was ist Realität?, neu zu bewerten ist.
Nebenher wachsen autokratische Regierungen, die dem demokratischen Gedanken an die Gurgel gehen.
Der Begriff Narzissmus und wie sich zu verhalten ist, verschafften sich Platz auf der großen Bühne, wie auf den unzähligen Kleinen. Ein Schauspiel der besonderen Art. Weiß Gott nicht neu, aber nah und bedrohlich. So sichtbar, wie des Kaisers neues Kleid.
Da können wir uns nun verhalten mit unserer Kunst, schreiben und uns ausdrücken.
Was liest Du derzeit?
Ich hab Stapel und lese quer.
Momentan lebe ich in diesen Lyrikwelten :
VLUST von Anna Hofmann. Ulrich Koch: Dies ist nur der Auszug … . Jan Wagner: Selbstporträt mit Bienenschwarm und von der wunderbaren Romina Nikolic geschenkt bekommen, Michael Stavaric: Zu brechen bleibt die See.
Und natürlich, TISCH Tuch Notizen von Johanna Hansen.
Im Leserausch von Deborah Levi´s: Landschaft verschluckt. Übersetzt von Marion Hertle, mit Empfehlung meiner Buchhändlerin Stefanie auf meine Frage: Was gibt’s Neues?
Den poetischen Miniaturenroman, soeben erschienen, „Manchmal oben Licht“ von Monika Littau, den ich letztes Wochenende auf der Heimfahrt von Bonn las, zweimal nachorderte, um ihn in Haushalte zu schicken, denen diese literarische Einlassung Hilfe sein wird.
Das Manuskript von Carmen Winters Gedichtband : Tanz auf Distanz, der Anfang Dezember erscheinen will.
Naja und dann noch Rechercheliteratur für die Kreativen Schreibprojekte des nächsten Jahres, die ich machen darf, u.a. Dank der Unterstützung des Friedrich Bödecker Kreises Brandenburg.
Kat Menschik – Mark Beneckes illustrirtes Thierleben
Katharina Herrmann – Dichterinnen und Denkerinnen
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Einen Gedanken zu … was wir heute von Hilma af Klint lernen können:
„In Anfängen zu denken und polarem Denken zu misstrauen. Nichts leuchtete Ihr weniger ein, als die Welt in Gegensätze zu ordnen“ … so ihre Biografin, die Kunsthistorikerin Julia Voss über die Pionierin der abstrakten Malerei.
Vielen Dank für das Interview liebe Jana, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Jana Franke, Schriftstellerin
https://janafrankepotsdam.com/
Foto_privat.
14.11.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.