
Undine geht
Statt dem hier üblichen Interview beschreibe ich, wie sich mir der Zugang zu „Undine geht“ durch den Prozess dieses Fotoshootings und Interviews gezeigt hat. Ich möchte erzählen, warum genau das viel mehr über meinen Bezug zu Bachmanns Text aussagt, als es das Interview könnte.


Ich bedanke mich bei Dir, Walter, für den offenen und wertschätzenden Dialog und für das Verständnis für meine eventuell überrumpelnde Aktion und freue mich, wenn du trotzdem bereit wärst den Text zusammen mit den Fotos zu veröffentlichen.

Ich beginne in Klagenfurt, im Garten meiner Eltern, dort lese ich zum ersten mal die Erzählung von Undine. Obwohl ich mit dieser Thematik vertraut sein könnte, dockt der Text zunächst bei mir nicht wirklich an. Die Vorstellung, dass ich in einem Interview etwas dazu sagen müsste stößt auf gähnende Leere in mir. Natürlich könnte ich etwas über die Kampfansage an das Patriarchat loswerden, oder weiterführend Undine als weibliche Kraft und die Natur selbst, oder die Sexualität bezeichnen. Mit diesen generischen Zuschreibungen von „weiblich ist mystisch, naturverbunden, im Untergrund“..etc., möchte ich aber sehr vorsichtig sein, weil diese leider nur zu oft missbraucht wurden und werden um Frauen im Hintergrund zu halten und mit angeblichen „Naturgesetzen“ argumentiert wird, um die Unterdrückung von Frauen zu rechtfertigen.


Am meisten kann ich mit Undine anfangen, wenn ich sie als ein neutrales Wesen sehe, welches die Abhängigkeiten und Verhaltensmuster der Menschen erkennt, sowohl die der Menschenmänner, sowie auch die der Menschenfrauen.




Am Abend vor dem Fotoshooting lese ich noch einmal den Bachmann Text und finde unter anderem bei Recherchen ein Zitat in dem Bachmann sich selbst als „Hans“ bezeichnet und Undine als „die Kunst“ beschreibt. Es sei ein Missverständnis wenn man diese Erzählung als autobiographisch und Bachmann als Undine deuten würde. Wir alle sind Hans. Langsam kommt mir der Text näher, denn auch ich, als Mensch, bin eher ein Hans als eine Undine. Es ist mir schlagartig unangenehm wenn ich mir vorstelle mich am nächsten Morgen als Undine zu inszenieren. Ich möchte mich aber auch nicht plakativ als Hans darstellen. Mit einer Krawatte und einem Männerhemd wäre es ja wohl nicht getan. Außerdem ist die Gegend um die Mauerbachschleuse, die ich ausgesucht habe, prädestiniert für die unterschiedlichen Welten in denen Undine sich bewegt. Vielleicht findet sich die Verbindung zu ihr/them im Laufe des Shootings.




Während des Shootings fällt mir auf, wie viele Posen bereits besetzt sind. Wie viele mir bekannt sind, und Assoziationen auslösen, die einer langen patriarchalen Geschichte entspringen und dem entsprechen wie Frauen von Männern dargestellt wurden und werden. Das süße Rehlein von oben herab fotografiert – hol mich hier raus; einmal in die Haare gegriffen – Germanys Next Topmodel;

Nachdenklich in die ferne blickend – wenigstens denkend;

Den Hals hinhalten – ich gebe mich hin, hoffentlich Beißhemmung beim Gegenüber;

Irgendwo herumliegend – als wäre das die Hauptbeschäftigung von Frauen.

Ich erinnere mich an ein Zitat von Hannah Gadsby: “The history of Western art is just the history of men painting women like they’re flesh vases for their dick flowers.”

Walter macht den Vorschlag ich könnte meine Hände verschränken und breitbeinig dastehen, weil Bachmanns Undine eine selbstbewusste Seite hat, die ich damit zeigen könnte. Ich stelle mich in dieser Weise hin und komme mir gleich ziemlich lächerlich dabei vor.

Bei „Körpersprache Guru“ Samy Molcho habe ich als Jugendliche gelesen, dass es Angst und Unsicherheit signalisiert, wenn man die Hände verschränkt.


Ungefähr zur selben Zeit habe ich mir viele Talkshows im Fernsehen angeschaut. Eines der damaligen Lieblingsthemen war „Ich bin fett und finde mich geil“. Dort musste sich eine der Talkshow Teilnehmerinnen von Talkshowhost Jörg Pilawa anhören, dass sie sich ja gar nicht so geil finden kann, weil sie mit vor dem Bauch verschränkten Armen da saß, was ihre Unsicherheit offenlegt. Damals habe ich Konsequenzen daraus gezogen und beschlossen meine Hände nicht mehr zu verschränken, damit keine Samy Molchos oder Jörg Pilawas denken könnten ich versuche mich vor ihnen zu schützen und ihnen das das Gefühl geben könnte sie stünden über mir.


Nun wird Undine für mich doch zur Frau, und steht für alle Frauen, die durch männliche Interpretationen dargestellt wurden und nicht selbst für sich sprechen konnten. In den ausschließlich von Männern bearbeiteten Versionen des Mythos bekommt Undine nur dann eine Seele, wenn sie sich mit einem Mann verbindet, diesen muss sie aber töten, wenn er ihr gegenüber untreu wird. Sie hat keine Entscheidungsfreiheit und muss sich größtenteils passiv fügen. Von den männlichen Undine – Autoren wird dies durch die Natur dieses Wasserwesens gerechtfertigt, womit wir wieder bei meinem Anfangsgedanken wären. Nach Bachmann sind übrigens auch wieder alle Autoren, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und über Undine schreiben, männlich.



Wie ist es für mich möglich aktiv meine Rolle zu bestimmen und nicht durch die männliche Brille dargestellt zu werden, obwohl ich von einem Mann fotografiert werde? Was ist denn überhaupt das Problem? Walter lässt mir doch die komplette Freiheit in diesem Setting und folgt mir durch eine Umgebung, die ich bestimme und choreografiere und ich kann frei entscheiden ob ich seine Vorschläge annehme oder nicht. Die männlich geprägten Darstellungen von Frauen wären aber auch nicht plötzlich inexistent, wenn ich von einer Frau fotografiert werden würde. Diese zu überwinden setzt ein Bewusstsein beider Parts für die Thematik voraus. Egal ob die daran Beteiligten männlich oder weiblich sind.




Fürs Erste halte ich es für das Beste nicht zu posieren, die Linse zu ignorieren und einfach etwas zu machen. Bei Aktionen gibt es kein Posieren.

Das funktioniert ganz gut, und ich habe großen Spaß Plätze zu erkunden, die ich von dieser Gegend noch nicht kannte und den Ort in Verbindung mit der Undine Geschichte in Szene zu setzten. Selbstverständlich gehört für mich auch das „ins Wasser gehen“ am Schluss zu dem Märchen und so besuchen wir eine Stelle am Fluss, wo ich gerne durchs Wasser wate und weiß, dass ich dort tiefere Stellen finden werde.



Als ich am Ende des Shootings wieder aus dem Wasser komme, fällt mir auf, dass sich meine Nippel durch das nasse Kleid abzeichnen und somit vermutlich auch auf den Fotos sichtbar sind. „Hätte ich doch meinen BH angelassen, aber dadurch hätten sich die Kissen so mit Wasser vollgesogen, dass ich monströse Brüste auf den Fotos gehabt hätte, oder die Kissen unförmig runtergehangen wären“, geht es mir durch den Kopf. Soll ich Walter sagen er soll denn Nippel rausretuschieren? Und warum schreibe ich hier überhaupt einen ganzen Absatz über meine Nippel, sie würden vermutlich nicht einmal auffallen, oder ich könnte die Fotos auch einfach vermeiden. Stört es mich überhaupt selbst, oder stört es mich nur, wenn ich mir vorstelle, dass das jetzt alle Jörg Pilawas sehen, die sich denken könnten „kein Wunder dass sie die Arme vor der Brust verschränkt hat. Sie wollte ihre Nippel vor mir verbergen“.






Ein paar Tage nach dem Shooting bekomme ich von Walter das transkribierte Interview, welches wir in einer Pause geführt haben. Es sind meine Aussagen, aber sie sind so formuliert, dass sie sich nicht mehr nach meinen anfühlen. Für mich transportieren sich Aussagen oft mehr durch die Form der Sprache, als durch ihren Inhalt. Durch die Kombination der Ästhetik der Fotos und der blumigen Sprache, fühle ich mich als mystisches, romantisiertes Wesen präsentiert – wie durch einen rosaroten Filter gezeigt – genau das was ich vermeiden wollte. Auch ist alles was ich gesagt habe in einem Gespräch entstanden und nicht einfach aus dem Nichts gekommen. Was davon waren meine Gedanken und was davon Bestätigungen von Walters Gedanken, die jetzt als meine geschrieben stehen, weil Walters Part in dem Interview nicht mehr vorkommt? Wo sind Verneinungen, Momente in denen ich widersprochen habe? Ich kann mir die Intention dahinter vorstellen – Er möchte sich rücksichtsvoll rausnehmen, aber genau dadurch verschwimmen seine und meine Meinung.

Undine bekommt durch Ingeborg Bachmann zum ersten Mal eine eigene Stimme. Ist es ein Rückschritt, wenn nun sechzig Jahre später meine Bezüge zu dem Thema von einem Mann bearbeitet und gefiltert werden? Es kann aber auch nicht die Lösung sein, dass sich Männer keinen feministischen Themen widmen dürfen. So stammle ich auch beim Telefonat, welches ich danach mit ihm führe „du kannst ja nix dafür dass du ein Mann bist..“ Und beschreibe ihm meine Bedenken und den Prozess, den das Ganze in mir ausgelöst hat. Er hört geduldig und verständnisvoll zu und bedankt sich für diese Offenheit.

Auf die Frage wie wir dieses Format gemeinsam verändern könnten, so dass wir beide nicht in die Falle tappen, uns wieder auf der Straße zurück zu Friedrich de la Motte Fouqué (Undine 1811), weg von Bachmann zu bewegen, entgegnet er, dass es spannend wäre, etwas Neues zu entwickeln, aber es viel Zeit und Auseinandersetzung bedürfen würde, ich sei aber gerne ganz frei den Text zu verändern und umzugestalten. Mir ist auch bewusst, dass dieses Vorhaben aufwendig wäre, vor allem für einen Artikel, außerdem gibt es Deadlines und plötzlich finde ich mich wieder im „Hans“. Wir haben zu funktionieren, es sollen ja auch Leute lesen und die sollen das interessant finden, nicht zu sperrig, außerdem haben wir das Interview schon gemacht und es wäre schade es wegzuwerfen, es hat schließlich Zeit gekostet und von der haben wir alle nicht viel, und dann hat sich Walter auch bereits die Mühe gemacht es zu transkribieren und ich habe auch gar keine Kapazitäten alles komplett umzuwerfen und neu zu schreiben usw..

Trotzdem kann ich mich von dieser Ebene, die mittlerweile zum Kern meiner Verbindung von „Undine geht“ geworden ist, nicht lösen und so ist es auch für mich nicht ausreichend das Interview marginal zu verändern, oder mit einem Kommentar zu versehen und abzudrucken.

So stehen wir nun da ohne Interview und mit diesem Text. Mit dieser Situation, in welcher ich Walter seine Journalistenrolle entrissen habe, um selbst für mich zu sprechen, sowie auch Bachmanns Undine für sich selbst sprechen ließ. Mit Dankbarkeit dafür, dass ich „Undine geht“ auf diese Weise kennenlernen durfte.

Undine geht
Liebe Anna, herzlichen Dank für Deine Teilnahme am Projekt „Undine geht“!
60 Jahre_Undine geht _Erzählung _ Ingeborg Bachmann _
Anna Anderluh_Musikerin_Wien
Text_Anna Anderluh
Alle Fotos_Walter Pobaschnig
Station bei Ingeborg Bachmann_Wien.
https://literaturoutdoors.com _ Wien _9_21