„Kunst geht alle an“ Stefan Hölscher, Schriftsteller_ Heidelberg 2.8.2021

Lieber Stefan, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Da muss ich zunächst unterscheiden zwischen Stefan Hölscher, dem Autor und Künstler und Stefan Hölscher, dem Managementcoach, Therapeut, Trainer und Moderator. Letzterer verdient das Geld. Er zahlt die Zeche, was aber nicht heißt, dass er allein auch die Musik bestimmt.

Gemeinsam ist beiden, dass sie auch in Pandemie und Lockdowns früh aufstehen (gegen 06.00 Uhr), irgendwann am Tag gut eine Stunde Sport (meistens Fitness) machen und auf regelmäßige Mahlzeiten wertlegen. Der Coach SH ist meistens stark mit Businessterminen durchgetaktet, ob nun in Präsenz, wie vor der Pandemie oder online, wie es jetzt deutlich mehr geworden ist. Der Autor und Künstler SH versucht am Tag mindestens zwei, aber auch nicht mehr als vier Stunden maximal zu schreiben und ein paar Stunden zu lesen. Während der Pandemie, als ich so viel zu Hause war wie die letzten 25 Jahre nicht (der Coach SH ist normalerweise ein Vielreisender), hat der Autor und Künstler mehr Zeit eingenommen als der Coach. Das war eine neue Erfahrung für mich. Neu war auch: ganz viel Haushaltsarbeit (ich bin bei uns, zumal ich nicht kochen kann und mag, für die niederen Arbeiten zuständig). Sehr positiv fand ich, dass wir als Familie mal wieder alle vier, meine Frau, unsere zwei Söhne (21 und 19) und ich für längere Zeit tagtäglich zusammen waren. Nicht zu vergessen Eddy, unser Dackel-Zwergpinscher-Mischling, der in der Pandemie extrem viel Zuwendung bekommen hat.  Schön war auch, dass ich meinen Long-Time-Sexpartner (das Wort passt besser als „Lover“), der in der Nähe wohnt, öfter als sonst treffen konnte (wenn auch sicher nicht täglich).  

Stefan Hölscher, Schriftsteller, Managementcoach, Therapeut, Trainer und Moderator.

    

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Die großen Themen zu sehen: Rettung der Natur, Rettung des Planeten, Rettung von individueller Freiheit und Menschenwürde, die weniger hierzulande, aber in vielen Staaten immer schamloser bedroht und ausgehöhlt werden… Für solche Dinge konsequent aktiv zu werden und gleichzeitig Spontanität, Lust und Lebensfreude zu bewahren und vielleicht sogar zu steigern! Das scheint mir die Aufgabe von allen zu sein, denen daran gelegen ist, dass das Leben für uns und die, die uns nachfolgen, lebenswert bleibt. 

Vor einem Aufbruch werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Kunst ist systemrelevant, auch wenn unsere Politiker*innen während der Pandemie mit allergrößter Deutlichkeit klargemacht haben, dass sie das nicht verstehen, dass sie in einer Weise reduktionistisch denken, die im Zweifel sogar ein hochkomplexes Thema wie Gesundheit in absurder Weise auf eine einzige Zahl reduzieren möchte. Eine direkte Manifestation dieser geistigen Verarmung, die Kunst nur als Sonntagsschönwetterthema sieht, zeigt sich im Kernfeld der Politik selbst, nämlich in dem eklatanten Mangel langfristiger Visionen und dazu passender konsequenter Strategien und Umsetzungen. Politik ist ganz überwiegend ein in der Kurzfristigkeit verfangenes Durchwursteln geworden. Im günstigen Fall hilft uns das über den Tag. Im ungünstigeren, der aber alles andere als unwahrscheinlich ist, nehmen dabei langfristig Demokratie, Freiheit, Gestaltungsspielraum und die Natur als nicht ersetzbare Grundlage unseres Lebens massiven Schaden.

Freiheit, Menschenwürde, Kunst, Verantwortung, Innovationsgeist und Toleranz gehören aufs Engste zusammen. Sie sind der wirtschaftlichen Prosperität nicht nachgeordnet, sondern bilden zusammen mit ihr den Ermöglichungsgrund von Humanität und auch von ökologischem Handeln. Kunst und Literatur sollten sich m.E. wieder viel stärker ins Gesellschaftliche und Politische einmischen. Nicht als elitäre Veranstaltung, sondern mittendrin. Kunst geht alle an. Das heißt auch: sie muss alle angehen (fast hätte ich gesagt: anspringen). Und da sie seit Beginn der Pandemie so stark weggedrängt wurde, glt: jetzt erst recht!

Was liest Du derzeit?

„Meine Leben“, die gerade auf Deutsch erschienene Autobiographie von Edmund White. Ich werde eine Rezension für queer.de und das Signaturen Magazin dazu schreiben.

Außerdem – ich lese immer auch Lyrik – „Hundert Freuden“, Gedichte von Wislawa Szymborska. Und ich überlege aktuell, ob ich mal Michel Foucault lesen sollte. Es gibt da abgesehen davon, dass ich außer Psychologie auch Philosophie studiert und darin auch promoviert habe, viele thematische Affinitäten. Trotzdem habe ich um ihn bisher immer einen Bogen gemacht. Vielleicht hole ich ihn jetzt aber mal aus dem Regal. 

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Leben ohne Kunst ist wie Kaffee ohne Wasser.

Vielen Dank für das Interview lieber Stefan, viel Freude weiterhin für Deine großartigen Literatur-, Berufsprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Stefan Hölscher, Schriftsteller

Foto_privat. Dieses Bild wird auf der Coverrückseite des in einigen Wochen erscheinenden neuen Lyrikbands von Stefan Hölscher zu sehen sein: „Ich sehe wirklich keinen Matrosen. Queerfeine Gedichte und weise Sprüche“ Geest-Verlag

1.7.2021_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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