„Für mich ist das Weitermachen entscheidend, die Arbeit, der Rhythmus“ Peter Neumann, Schriftsteller_ Berlin, 20.12.2020

Lieber Peter, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Um ehrlich zu sein: nicht anders als vorher. (Der regelmäßige Gang in die Bibliothek fällt weg, aber der Rhythmus ist geblieben.) Ich arbeite in drei Einheiten: vormittags Arbeit am Buch, nachmittags Orga und Kram, abends Lektüre, Abseitiges, Querverbindendes. Dazwischen gehe ich viel Laufen, der Rücken, der Rücken (doch etwas Neues; don’t know, was ich ohne den Schlosspark Charlottenburg täte). Am Montag und Dienstag kommen die beiden Seminare dazu, die ich an der Universität Oldenburg gebe: „Methoden der Philosophiegeschichtsschreibung“ und „Philosophie der Landschaft“. Eigentlich müsste ich in Oldenburg sein. Und natürlich ist es ein Vorteil, nicht pendeln zu müssen. Aber mir fehlt der Kontakt zu den Kommiliton*innen. Gerade in der Philosophie, die vom gemeinsamen Gespräch, der geteilten Aufmerksamkeit, lebt, lässt sich der Präsenzunterricht kaum kompensieren.

Peter Neumann, Schriftsteller

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Das kann ich nicht beantworten. Ich kann nur für mich sprechen. Für mich ist das Weitermachen entscheidend, die Arbeit, der Rhythmus, wozu natürlich auch das Lesen gehört. Unbedingt. Das Lesen ist eine ständige Erinnerung an die Pflicht, die ich gegenüber meinem Beruf, meiner Tätigkeit als Schriftsteller habe.

Ansonsten (more than ever): Liebe, Freundschaft, Solidarität.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Ich weiß nicht, ob wir vor einem Neubeginn stehen. Schön wär’s, vielleicht! Aber der Sommer hat auch gezeigt, dass alte Verhaltensmuster stark sind und schneller zurück sein können, als den meisten von uns lieb ist. Ich habe den Ausbruch der Corona-Pandemie in Venedig erlebt. Für mich war das ein einschneidendes Erlebnis. Die leere Stadt, erst der Mut, der Stolz, dann die Traurigkeit der Menschen. In Deutschland wollte damals (Mitte Februar) noch niemand aus seiner comfort zone heraus. (Ein Virus, in Deutschland, bei uns, niemals!) Literatur ist Arbeit an der Form. Und diese Form hat gerade ungeheuer viel und ausgesprochen aggressives Material zu bewältigen.

Was liest Du derzeit?

Wenn ich das selbst so genau wüsste. Ich lese und durchkämme vor allem Recherchematerial, das ich für mein Buch brauche, ein Längsschnitt durch die Erfahrungsgeschichten des 20. Jahrhunderts. Gerade stecke ich im Winter 1949/50: Hannah Arendt kehrt im Auftrag der Jewish Cultural Reconstruction zum ersten Mal nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurück und findet ein verducktes statt Schuld begreifendes Volk vor – eine Spurensuche beginnt.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Benjamin zitiert in seinem Kafka-Essay ein Wort, das von Max Brod überliefert ist. Auf die Frage, ob die Welt ein Sündenfall oder nur eine schlechte Laune Gottes sei, ein schlechter Tag, ja, was es angesichts des heutigen Europas und des Verfalls der Menschheit überhaupt zu hoffen gebe, soll Kafka geantwortet haben: „Oh, Hoffnung genug, unendlich viel Hoffnung – nur nicht für uns.“

Vielen Dank für das Interview lieber Peter, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an KünstlerInnen:

Peter Neumann_Schriftsteller

Foto_Dirk Skiba

10.12.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.

https://literaturoutdoors.com

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