Liebe Waltraud, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Kaum anders als sonst auch, da ich – außer, wenn ich zum Dolmetschen verreisen musste – als Übersetzerin und in den letzten Jahren als Schreibende immer in langen Phasen von zuhause aus gearbeitet habe und es seit jeher gewohnt bin, mir meine Tage selbst einzuteilen.
Gewöhnlich stehe ich gegen 6 Uhr auf und mache ein paar Yogaübungen. Dann folgt meine Lieblingsmahlzeit, ein ausgedehntes Frühstück. Für mich die beste Methode, Träume und daraus neu entstehende Gedanken zu verarbeiten, meist verbunden mit einem inspirierten Gespräch mit meinem Mann.
Danach erledige ich, was im Haushalt gerade anfällt. Oft gehe ich hinterher noch ins Freie, das heißt, ich streife ein, zwei Stunden im Wald umher. Wir wohnen im selbst gewählten Abseits auf dem Land, quasi auf der Alm. Ringsum Streuobstwiesen, Weiden und ausgedehnte Wälder. Ein Paradies, in dem ich mich uneingeschränkt bewegen kann, in der jetzigen Zeit ein echtes Privileg.
Mittags wird gekocht, und nach einer Ruhepause folgt am Nachmittag meine kreative Zeit – zum Schreiben und Recherchieren, derzeit ab und zu unterbrochen, wenn ein Nachbarskind vorbeikommt und um Hilfe beim Lernen im Homeoffice bittet.
Musik nimmt auch einen fixen Platz in meinem Tag ein, manchmal nur das Anhören aus purer Freude, oder als Entspannung, wenn ich beim Schreiben gerade nicht vorankomme, ansonsten setze ich mich an die Harfe und spiele eine Weile.
Abends sehe ich mir diverse Nachrichten an, manchmal verfalle ich auch dem Fernseher, sonst genieße ich es, zu lesen. Und falls mich tagsüber etwas belastet hat, wenn ich zum Beispiel meinte, mich über etwas aufregen oder ärgern zu müssen, kurzum, wenn ich auf die eine oder andere Weise die seelische Balance verloren habe, gehe ich nachts noch einmal hinaus, um einen Blick in den Himmel zu werfen, der hier auf dem Berg fast immer sternklar ist. Spätestens bei diesem Anblick relativieren sich viele Dinge von selbst…
Meine Tage verlaufen im Moment eher beschaulich, was mir viel Raum für Muse lässt. Daraus entstehen Schritt für Schritt diverse literarische Projekte.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Besonnenheit , Rücksichtnahme und Verantwortungsbewusstsein. Also weiter denken als nur bis zur eigenen Nasenspitze. Sich eingestehen, wie verwöhnt, ja wehleidig in unserer Gesellschaft oft reagiert wird, weil einem das Leben derzeit mehr abverlangt.
Gerade jetzt erinnere ich mich oft an meine Großeltern, die noch im Kaiserreich geboren wurden. Sie mussten zwei Weltkriege durchstehen, Opa sieben Jahre Sibirien, und wir Kinder kannten sie nur als gütige, großzügige Menschen, die sich bis an ihr Lebensende (beide wurden 89) sogar immer noch Humor bewahrten.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Bedeutung kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
In diesem Zusammenhang bin ich für radikale Ehrlichkeit: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher, weil das unweigerlich in den totalen Kollaps führen würde, und im Grunde wissen wir das alle schon längst.
Eine einfache Fragestellung dazu lautet: Was ist genug? Vielleicht finden wir auf diesem Weg zu einer entspannten neuen Bescheidenheit, bei der wir nichts vermissen, sondern Entlastung verspüren, die Freiheit des „Weniger ist mehr“ entdecken, wodurch wir das Haben wieder gegen das Sein eintauschen könnten.
In der Kunst/Literatur gilt es, neue Entwürfe zu wagen und hoffnungsvolle Auswege zu erdenken. Es braucht viel mehr Mut zum Konstruktiven und Ästhetischen, immer nur Missstände aufzuzeigen oder Dystopien zu entwickeln erachte ich als zu wenig.
Mein eigenes Wirken betrachte ich dann als gelungen, wenn ich im Gegenüber jenen Wesensbereich anspreche, in welchem er seine persönlichen Belastungen zumindest zeitweise transzendieren kann und sich an das erinnert, wo er heil und ganz geblieben ist, wo er Antworten erhält, die jenseits des Begrifflichen liegen und ihm freudige Zuversicht vermitteln.
Was liest du derzeit?
Meist lese ich mehrere Bücher gleichzeitig, derzeit sind es drei:
Marta von Valentina di Cesare .
Text auf dem Buchcover: Marta denkt über das Leben nach, über das Glück und die Liebe, das Versteckspiel der Sonne und darüber, was normal ist.
Es handelt sich um die erste literarische Übersetzung einer Kollegin, Claudia Lederbauer, aus dem Italienischen. Natürlich hat mich das neugierig gemacht und ich freue mich für Claudia, denn die Übersetzung ist wirklich sehr gelungen.
Märchen von den britischen Inseln
Shaman – The mysterious life and impeccable death of Carlos Castaneda von Mike Sager
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
Aus dem Buch Eckpfosten von Henri Michaux:
In einer Zeit der Abgehetztheit bewahre du dein >>Andante<<. Sage dir immer wieder: „Mehr, noch viel mehr Andante“, und versuche, gerade so weit zu kommen wie nötig. Sonst handelst du nur überstürzt, und alles wird oberflächlich. Dem entrinnen die Empörten des Augenblicks kaum, die stets in Eile sind, um ja nicht zu spät zu kommen zu einer Empörung. Auch sind ihre Stimmen zu Schrill.
Vielen Dank für das Interview liebe Waltraud, viel Freude und Erfolg für Deine großartigen Literaturprojekte – Dein neues Buch „Die Brücke aus Eis“ – wie persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Waltraud Ferrari, Schriftstellerin
https://www.waltraud-ferrari.at/
Foto_Helge Sommer
19.11.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.