

Ich habe Ingeborg Bachmann natürlich gelesen. Als Schriftsteller deutschsprachiger Literatur gibt es da keinen Weg umhin. Unmittelbare Bezüge in meinen Projekten gibt es nicht.
Meine Gemeinsamkeit mit Ingeborg Bachmann? Ich bin jetzt so alt wie sie als sie starb.

Künstlerisch gesehen, haben Orte natürlich auch ganz wesentliche Kontexte. Bei mir ist es nicht so sehr der persönliche topographische Ausgangspunkt sondern vor allem die Bedeutung für die Präsentation von Kunst. Der soziale Bezug ist dabei ganz wichtig für meine Projekte und ich gehe bewusst darauf ein – in Performance, Dialog.
Es ist sehr reizvoll verschiedene Präsentationsformen unter unterschiedlichen Voraussetzungen des örtlichen Rahmens auszuprobieren.

Ich schätze die Bühne als Ort von Kunst sehr. Das ist für mich die offenste Art zu agieren. Auf einer Bühne kann alles passieren. Das fehlt mir sehr. Als Künstler wie als Zuschauer.
Für Juli sind drei Projekte geplant – in Wien, Berlin und am Attersee. Das sind mal Ausblicke.

Als Jugendlicher begann ich erste (schlechte) Gedichte zu schreiben und bekam auch den ersten eigenen PC. Davor benützte ich auch schon den meines älteren Bruders. Die Programmiersprachen waren zuerst Basic dann Pascal.
Als Verlegenheit begann ich ein Informatikstudium. Dann verband ich Poesie und Informatik. Das wwweb machte es dann leichter Projekte öffentlich zu machen. Das war ja vorher nicht so möglich.


Die Musikvideos der 80/90er Jahre waren für mich nicht so von Interesse. Das habe ich nicht konsumiert. Ich habe überhaupt wenig ferngesehen. MTV war auch nicht in Reichweite. Dieses klassische Spielfilmnarrativ im clip war künstlerisch auch nicht spannend.
Die experimentelle Elektronikszene in Wien Anfang/Mitte der 1990er Jahre war für mich inspirierend und impulsgebend. Es gab da viele Videokünstlerinnen, die abstrakte elektronische Musik machten.

Wie kann ich eine zeitgenössische Form finden, um die Zeit zu reflektieren. Das ist mein Ausgangspunkt.
Die Form ist für die poetische Aussage sehr wichtig, die gegenwärtige Form der Kommunikation ist auch für meine Kunst von großem Interesse. Damit experimentiere ich.

Experimentieren, spielen, reflektieren. Das macht meine Poesie, meine Performance aus.
Mich interessiert Form und Inhalt im Wechselspiel zu halten.
Meine Kunst ist auch eine Form von Grundlagenforschung.

Meine Notizen mache ich fast ausschließlich digital. Außer in der Badewanne, da ist es das Notizbuch – aus Sicherheitsgründen. Für den Text und für mich.

Das Digitale gibt mir im künstlerischen Prozess eine Freiheit, die ich am Papier nicht habe. Das Papier hemmt mich da.
Beim Sichern meiner digitalen Texte bin ich sehr aufmerksam und vorsichtig. Ich habe eine backup Festplatte, die ich alle paar Tage an den Computer anhänge. Wenn die backup Festplatte voll ist, gebe ich diese zur Sicherheit in einen anderen Raum. Auch das Drucken ist eine Sicherheit, die ich verwende. Dann habe ich noch ein Versionsspeichersystem, das die verschiedenen Textveränderungen im Schreibprozess aufzeichnet. Dies ist auch praktisch im künstlerischen Prozess, um etwa Versionen auszukoppeln und wieder zu verbinden, also zu variieren. Dafür hat sich auch schon ein Literaturwissenschaftler interessiert. Dieser ist übrigens Literaturwissenschaftler und digitaler Forensiker.

In meinen Texten arbeite ich stark mit Montage. Ich finde es spannend mit Textstücken weiterzuarbeiten. Etwa von einem Medium zum anderen. Vom reinen Text hin zu einem Video oder zu einem Hörspiel. Damit ergibt sich eine veränderte Wirkung, das ist sehr interessant. Und jetzt gehe ich diesen Weg weiter und weiter.
Die Wiener Gruppe, Mayröcker, Gerstl, Jandl – das waren/sind große Inspirationen. Die Verbindung von Experiment, freiem Spiel, Humor, Nonsens – das ist faszinierend.

Im künstlerischen Prozess ergänzt und inspiriert sich Technik und Idee, Konzept sehr gut. Es ist ein spannender Dialog.
Ausgangspunkte meiner Projekte sind oft Sätze, die ich höre oder Klänge. Es kann dabei eine Spielerei sein, aus der sich etwas entwickelt ober bewusst Relevantes – Ärger, Wunsch, Lebensgefühl, Weltsicht.

Ich sehe mich als Künstler, der mit technischen Mitteln arbeitet. Ich bin ein Performer.
Im Verbinden von Kunst und Technik bin ich Dramatiker und Regisseur. Es sind meine Handlungsanweisungen an Mensch und Maschine. Es ist eine künstlerische Arbeit.
Ich versuche in meiner Kunst stückweise herauszufinden wie sich die Jetztzeit anfühlt. Da gibt es keine definitiven Antworten.

Mein Ziel ist es, die Ausdrucksformen von Poesie zu erweitern.

Gerade in einer Zeit der Unsicherheit, vielleicht des Wandels, braucht eine Gesellschaft Zeit zur Reflexion. Kunst bietet da Möglichkeiten, die unerlässlich sind.
Kunst hat gesellschaftlich die Freiheit extrem optimistisch wie extrem pessimistisch zu sein. Das passt alles hinein.
Kunst muss nicht evidenzbasiert arbeiten wie die Wissenschaft. Das ist ein großer wichtiger Wert.

Gesellschaftlich erleben wir derzeit (oder zu allen Zeiten?) einen Kampf um Wahrheit – alternative Wahrheit, fake…Ich finde das fürchterlich.
Gesellschaftlicher Dialog und Verantwortung sind in allen Fragen sehr wichtig. Global denken und global handeln. Dazu gibt es keine Alternativen.

Die Gesellschaft braucht Kunst. Und die Kunst braucht Freiheit und Existenz – also Existieren-Können.
Ich wünsche mir für alle KünstlerInnen wesentliche Unterstützung für Ihre Projekte – wie jetzt etwa vermehrte Stipendien – nicht nur in der Corona-Krise.

Herr Pell, Besitzer der Pizzeria „Grado“ in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wohnhaus von Ingeborg Bachmann, überreicht Bachmannpreisteilnehmer Jörg Piringer einen Gutschein für ein Abendessen wie eine Flasche Sekt.

Vielen Dank für das Interview bei Bachmann lieber Jörg und viel Freude und Erfolg für den Bachmannpreis!
Jörg Piringer, Schriftsteller – digital sound visual interactive poetry etc.
Bachmannpreisteilnehmer 2020

Herzlichen Dank an die Pizzeria Grado, Beatrixgasse 24, 1030 Wien für das so freundliche Geschenk für den Wiener Bachmannpreisteilnehmer!
Station bei Bachmann _ Wohnhaus der Schriftstellerin_ Ingeborg Bachmann_Wien _ 10.6.2020
Interview und alle Fotos _ Walter Pobaschnig