Liebe Gudrun, wie sieht jetzt dein Tagesablauf aus?
(Eine Antwort will sich nur poesie-verbrämt finden)
Muss nichts mehr liefern, darf schon oft ich möchte sagen
ein Glücksfall in diesen Zeiten und
wohl ein Privileg, das unverdient mir zuteil
diesfalls der Gnade früher Geburt geschuldet
da ist schon manches gebaut,
das Fundament, das hält schon was aus
die Zeit, das eigene Leben
schon eine Wunde aus dunkel geronnenem Blut
das ist nicht schlimm
denn spürbar bereits wird dieses Weniger mehr
und man selbst eher frei
was nur passiert, wenn man nicht wartet
sondern geschehen lässt, was geschieht;
bin befreundet mit mir, lade mich ein zu lautlosem Dialog
muss nicht mehr glänzen
darf ungestraft das Eine und Andre schwänzen
die äußere Welt fehlt mir nicht so
weil ich in der inneren längst schon lieber zuhause bin;
und in meiner eigenen stillgelegten Zeit
will ich ein Lichtfänger sein.
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Eine kurze Auswahl, appellativ:
Seid auf der Hut vor den selbstgewissen Verkündern, den vielen manischen Profilierungsneurotikern!
Und behütet sorgsam eure Überlebensration Kant: Sapere aude! – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
UND hofft mit erhabener Gelassenheit, heiter und sprühend, auf einen gütigen Sommer.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen.
Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Zweifellos, ja! Krise heißt auch Zuspitzung auf eine Entscheidung hin; es erfolgt die Aufsplittung des Daseins in gegensätzliche Möglichkeiten. Vielleicht wird längst Überfälliges nun fällig?
Leben heißt Lernen; da der Mensch ein höchst adaptives Wesen ist, kann auch das gegenwärtige Drama einer- wohl temporären- Niederlage oder zumindest eines partiellen Scheiterns, sei es im naturwissenschaftlich-medizinischen oder ökonomischen Segment, eine Quelle für Inspiration und zum Nährboden lebensverändernder Phantasie werden.
Literatur ist wirkmächtig. Sie kann uns Leben lehren, das Lesen unvergleichlich dichte Stellvertretererfahrungen ermöglichen; Literatur und Dichtung: Sie bieten ideale Möglichkeiten, die conditio humana in höchster Vielgestaltigkeit und größter Tiefe zu begreifen.
Für Viktor Frankl, den Erfahrenen, den Belesenen, den Gebrandmarkten, den dennoch unermüdlich Zuversichtlichen, den Logotherapeuten schlechthin, ist das Buch sowohl Therapeutikum als auch Prophylaktikum. Er rät zum rechten Buch zur rechten Zeit.
Mein Wunsch an die Literatur, die fremde und die eigene: Sie kann, sie möge Identifikation, Erkennen evozieren, innerer Beistand sein und – auch das – sinnstiftend, lebenshelfend Zuflucht bieten.
Allen Endzeitphantasien zum Trotz, lassen wir uns von Kunst, von Literatur – auch – lustvoll imprägnieren mit Zukunfts-Zuversicht.
Das Buch – Eingang zur Welt (Stefan Zweig) – vielleicht brauchen wir es mehr denn je – gerade jetzt!
Was liest du derzeit?
Stefan Zweigs Der Kampf mit dem Dämon – so ein schrankenloser wilder Inwohner kann das Leben zur Hölle machen und dann sich ein Meisterwerk gebären.
Und immer wieder verliere in mich von Neuem im Buch der Unruhe (F. Pessoa).
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest du uns mitgeben?
Bang und sinnlos sind die Zeiten, wenn hinter ihren Eitelkeiten nicht etwas waltet, welches ruht. (R. M. Rilke)
und sofern es nicht unstatthaft ist, sich selbst zu zitieren:
Nichts ist vergebens und keine Hoffnung umsonst. (G. Fritsch, Nachtsalz)
Vielen Dank für das Interview liebe Gudrun, viel Freude und Erfolg für Deinen großartigen aktuellen Roman – „Nachtsalz“, Leykam Verlag – und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an KünstlerInnen:
Gudrun Fritsch, Schriftstellerin,
https://gudrunfritsch.at/blog/
Gudrun Fritsch: „Nachtsalz“ Roman, Leykam Verlag 2018
27.5.2020_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.