Stille. Es sind schwarze Fahnen, zwei leuchtende, perspektivisch zu schwinden scheinende, Baumstrukturen und sechs gestapelte Autoreifen auf der Bühne zu sehen. Einladendes gibt es hier nicht. Schon gar nichts Wohnliches. Als die Frau im weißen Kleid diese kalte schwere Leere betritt, wird sofort klar, in diesem Raum gibt es nur noch ein Verstecken. Eines hinter viel zu vielen Worten. Sonst gibt es hier nichts zu tun, zu erwarten, zu erhoffen. Vier Männer und eine weitere Frau folgen. Auch ihre zerschlissene Kleidung in Weiß drückt eine Uniformität aus, in der jegliche persönliche Möglichkeit und Form fehlt.
Trotzdem wird jetzt im Sagen um jeden Millimeter von Ausdruck und Präsenz gerungen, um das Interesse auf sich zu ziehen. Ein Kampf jeder gegen jeden ohne jegliche Empathie. Nur der Akt zählt. Ein Gewinnen im Lautsein von Wiederholung und Phrasen, die sich an das drückende Schwarz des Raumes heften und einfach da sind wie Autoreifen, die ohne Weg und Ziel auf Ansprache gehoben und getragen werden. Spiel mir das Lied vom Tod. Nach Namen und Persönlichkeit fragt hier niemand mehr. Diese müssen erst im absurden Wortspiel erfragt werden und verschwinden sofort.
Doch wie lange wird es noch diesen letzten Tanz maskierter Seelen im spärlichen Licht geben? Wie lange kann der Schmerz noch still sein? Wann zerreißt das verdrängte Innere alles hier?…Wie geht es weiter?…
Das Aktionstheater Ensemble feiert mit der Uraufführung von „Wie geht es weiter“ ein fulminantes dreißigjähriges Theaterjubiläum im Werk X, 1120 Wien. Es ist eine atemberaubende Choreografie von Sprache und Körper, Bühnenbild, Musik und Effekt, in welcher die zerrissene Seele modernen Menschseins kritisch wie genial geöffnet und reflektiert wird.
Ein Theaterabend in ganz außergewöhnlicher Inszenierung und Ensemblepräsenz. Eine mitreißende Darstellung, die eine szenische Melodie und Rhythmus setzt, die alle Nuancen modernen Spiels beherrscht und das Instrument Körper und Sprache bis an die Grenzen des Möglichen auslotet. Einzigartig wie da mit Bewegung und Text gearbeitet und das pianissimo wie das crescendo von Emotion auf die Bühne gezaubert wird. Schauspielerin und Schauspieler als vielstimmiges Instrument gleichsam zwischen Oper und Rockkonzert – einzigartig!
Einzigartig ist ebenso wie Regie, Dramaturgie und Ensemble auch in ihrer aktuellen gemeinsamen Stückerarbeitung kritisch wie aufmerksam die Überforderung des modernen Menschen thematisieren und inszenieren. Sprache wird als leere Selbstvergewisserung von Dasein und als redundante Sedierung in Komik und Ironie entlarvt. Sagen und Meinen, auffangen von Themen und Schlagworten, das Eilige ersetzt Gespräch und damit das Mitgefühl. Das Leben, das in allem zu groß und zu weit ist und keine Zeit und Möglichkeiten mehr lässt, ist eine leere tragische Bewegung geworden. So die schonungslose Analyse.
Doch das ist nicht alles. Das Aktionstheater Ensemble lädt immer auch zu einem Blick in die (verlorene) Seelenmitte des Menschen, sein Bewusstsein von Verletzlichkeit und damit auch seine Möglichkeiten. Das muss doch (noch) da sein. Es ist ein sehr feinfühliges Theaterplädoyer für Humanität und persönliche wie gesellschaftliche Utopie. Für das wertvolle Gut von Freiheit und Individualität. Der Schmerz muss der Anfang sein. Das Bloßstellen der Seele für Andere und von Anderen erfordert Unterbrechung. Des Erinnerns, des Weinens, des Erkennens und damit das Wiederfinden des Menschen.
Das Aktionstheater Ensemble, das sind ganz große virtuose Poeten. Und diese braucht unsere Zeit.
Ein Ensemblejubiläum als beeindruckende Visitenkarte der Kraft und des Facettenreichtums modernen Theaters in Regie, Inszenierung und atemberaubender Schauspielkunst.
Wie geht es weiter
Eine Produktion von aktionstheater ensemble in Koproduktion mit Landeshauptstadt Bregenz/Bregenzer Frühling 2019, in Kooperation mit WERK X, Uraufführung
– Regie, Script, Choreografie: Martin Gruber
– Dramaturgie: Martin Ojster
– Ensemble: Michaela Bilgeri, Maria Fliri, Andreas Jähnert, Thomas Kolle, Fabian Schiffkorn, Pete Simpson, Benjamin Vanyek
– Musik, Komposition: Kristian Musser
– Gesang: Pete Simpson
– Video: Bildwerk X Valence
– Sounddesign: Thomas Bechter
– Regieassistenz: Laura Loacker
– Körpertraining: Lukas Orphéo Schneider
– Assistenz: Hacer Göcen
– Technik: Florentina Kubizek
Weitere Spieltermine: Sa 15.06.2019, 19.30 Uhr, So 16.06.2019, 19.30 Uhr
Ort: WERK X, 1120 Wien
Walter Pobaschnig 14.6.2019
AlleFotos_Walter Pobaschnig