
Interview zum Tod von Helena Adler _ Barbara Deißenberger, Schriftstellerin
+ 5.1.2024 „Helena Adler“, Schriftstellerin, Salzburg (Stephanie Helena Prähauser *1983)

(Stephanie Helena Prähauser *1983)
Liebe Barbara Deißenberger, wann, wie begegnete Dir der erste Text von Helena Adler und welche Wirkung hatte dieser auf Dich?
Ich hörte sie auf der Buch Wien aus ihrem Roman „Fretten“ lesen und kaufte mir dann zunächst ihren ersten Roman „Die Infantin trägt den Scheitel links“, weil der ohnehin schon länger auf meiner Wunschliste stand. Der Text wirkte auf mich, als würde mich eine heimliche Halbschwester an der Hand in ihre Kindheit, Jugend und ihr Erwachsenwerden in dunkel-heller Wüstheit ziehen. Ich hörte allerorten im Text die abgeklärte, gewitzte Autorin sprechen, fühlte aber das Kind und die Heranwachsende sich durchs Leben schlagen.
Was zeichnete Ihr Schreiben für Dich aus?
In der „Infantin“ schafft sie es, gleichzeitig kindlichen Animismus und Phantasie bunt-saftig zu literarischem Leben zu erwecken und doch eine Erzählfigur aus der Distanz einer Erwachsenen alles luzide durchschauen und teils bitterböse schildern zu lassen. Hier ein Beispiel: „Wenn ich im Frühling zu lange barfuß herumlief, hast du gesagt, zieh deine Socken an, sonst beißt dich das Märzenkalb. (…) Ich habe es mir wild vorgestellt, zornig herumspringend, mit nach hinten verdrehten Augen (…) Fasziniert hat es mich immer, das Morbide. (…) Ich wollte von der Tarantel gestochen und von König Blaubart entführt werden.“ (Aus: „Die Infantin trägt den Scheitel links“, S. 26)
Wie hast Du Helena Adler als Kollegin erlebt?
Ich habe sie nur einmal persönlich erlebt, bei einer Lesung auf der Buch Wien. Da ist sie mir als vielfarbige Persönlichkeit in Erinnerung geblieben. Ich nehme sie mir insofern zum Vorbild, als ich mir selbst treu bleiben und weiterhin literarisch das mir Bestmögliche schaffen will. „Vita brevis, ars longa“: Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Weil sie uns überdauert.
Welches literarische Erbe hinterlässt sie und wie ist dies in der österreichischen Literatur einzuordnen?
Für mich steht Helena Adler mit ihrem Debütroman in der Tradition von Marlen Haushofers „Himmel, der nirgendwo endet“ und Maja Haderlaps „Engel des Vergessens“. Alle drei Bücher erzählen vom Aufwachsen mit allen Sinnen in einfachen, ländlichen Verhältnissen, wie es außergewöhnlich fantasiebegabte Mädchen gegen den Strich ihrer Erziehung, schwieriger familiärer Verhältnisse und gesellschaftlicher Erwartungen durchleben. Alle drei gestalten Vergangenes atmosphärisch dicht.
Wie wird Dir Werk und Leben Helena Adlers in Erinnerung bleiben?
Eine Autorin, die ihren Protagonistinnen starke, unbeugsame Stimmen verleiht und Bilder von bestürzender Sprachsinnlichkeit und nachvollziehbarer Widersprüchlichkeit schöpft: „Die Berge bluten, die Felder brennen, weil sie ahnen, dass ihre Bewirtschafterin jetzt selbst almen geht. (…) Die Mutter soll nicht sehen, dass mich die Trennung schmerzt wie ein langsamer Schnitt durch die Kehle.“ (Aus: „Die Infantin trägt den Scheitel links“, S. 99-100) – „Gänsehaut überzieht unsere vom Kampf gerupften Körper. Doch der Moment ist zu bedeutend, um ihn nicht bis zum letzten Zug auszukosten, der grausiger schmeckt als zerkaute Rinde.“ (Aus: „Die Infantin trägt den Scheitel links“, S. 111)
Ich freue mich darauf, nun bald auch ihren Roman „Fretten“ zu lesen!

Zur Person _ Barbara Deißenberger wurde 1970 in Niederösterreich geboren. Nach Erwerbstätigkeiten in Österreich, England, Frankreich und den U.S.A. studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft und Französisch in Wien und promovierte in Germanistik. Von Deutsch- und Französisch- bis hin zu Literaturkursen dreht sich alles bei ihr um Sprache. Neben Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien erschienen 2017 der Roman „Malika“ und 2022 der Roman „Eine Geschichte in Weiß“.
Barbara Deißenberger, Malika

Wien – Montreal und wieder retour: die atmosphärisch dicht erzählte Geschichte einer ungewöhnlichen Ménage à trois…
Am Beginn steht Malikas Wiederbegegnung mit Margarethe, ihrer Freundin aus Kindheitstagen. Friedrich, ein voyeuristisch veranlagter Schriftsteller, beobachtet das Wiedersehen und verliebt sich in die androgyne Margarethe. Das wiederum ist der undurchsichtigen Stewardess Tsira ein Dorn im Auge und sie tut alles, um diese Beziehung zu zerstören.
Sinnliche Anziehung und neurotische Spleens, Kindheitsfantasien und Traumata, wechselnde Identitätsentwürfe und die ewige Suche nach Liebe werden in Malika auf poetische und manchmal tragische Weise miteinander verwoben.
„Malika ist ein literarisches Forschungsprojekt über die Unberechenbarkeit des Eros: zwischen Freundinnen, zwischen Geschwistern, zwischen Männern und Frauen. Barbara Deißenberger macht den Voyeur zum Gegenstand der Beobachtung und entdeckt die Sinnlichkeit beileibe nicht nur in der körperlichen Liebe – mit ansteckender Lust am Detail und viel Gespür für die Fragilität dessen, was man Identität nennt.“ Daniela Strigl
„Ein Roman, der mit viel Empathie und großem sprachlichem Engagement erzählt wird.“ Andreas Tiefenbacher, Literaturhaus Wien
Rezension des Romans auf literaturhaus.at
Barbara Deißenberger: Malika, Wien: Hollitzer Verlag, 2017, 360 S., 13,8 x 21,7 cm, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-99012-426-0 (hbk) € 21,90
ISBN 978-3-99012-427-7 (epub) € 18,99
https://www.hollitzer.at/buch/malika

(Stephanie Helena Prähauser *1983)
Geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett.
Lebte als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg.
Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg.
Auszeichnungen:
2022 Shortlist Österreichischer Buchpreis
2020 Longlist Deutscher Buchpreis
2020 Shortlist Österreichischer Buchpreis
2020 Projektstipendium Literatur BKA
2018 Jahresstipendium Literatur, Salzburg
https://jungundjung.at/verfasser/adler-helena/ 6.1.2024
Bücher:
https://literaturoutdoors.com/2022/09/12/fretten-helena-adler-jung-und-jung-verlag/
Interview:
Fotos Helena Adler_Eva Trifft/Jung und Jung
Foto_ Portrait Barbara Deißenberger: Manfred Schmid.
Grafik: Romana Fürlinger
Walter Pobaschnig 23.1.2024