
Interview zum Tod von Helena Adler _ Marlen Schachinger, Schriftstellerin
+ 5.1.2024 „Helena Adler“, Schriftstellerin, Salzburg (Stephanie Helena Prähauser *1983)

(Stephanie Helena Prähauser *1983)
Liebe Marlen Schachinger, wann, wie begegnete Dir der erste Text von Helena Adler und welche Wirkung hatte dieser auf Dich?
»Home Sweet Home
Nehmen Sie ein Gemälde von Pieter Bruegel. Nun animieren Sie es.
Wir essen schwarze Regensuppe zum Nachtmahl.«
(Aus: Die Infantin trägt den Scheitel links.}
Was zeichnete Ihr Schreiben für Dich aus?
Ein aufmerksames Ohr. Überraschende Wendungen wie diese, bei der Sätze sich voneinander abstoßen: »›Scham ist nicht dasselbe wie Reue‹, versichert sie, während sie die Kartoffeln schält, und bereut nichts. Dann kerbt sie Unmengen an Butterschmalz aus dem Plastikbecher […].« Aus: Die Infantin trägt den Scheitel links.
Sie fesseln in ihrer Härte, aber manchmal fragt man sich leise, ob sie auch erzählerische Gerechtigkeit kennen werden.
Helena Adler: »Mit den Menschen in meiner Heimat hadere ich häufig. Ihre Borniertheit widert mich an, mich ekelt’s, wenn jemand über Bettler lästert, da gelüstet es mich, tätlich zu werden, und wenn ich schon keine Gnackwatschen austeilen darf, dann mache ich das halt zumindest auf dem Papier. Auf die hinlangen, die glauben, dass niemand zu ihnen hinreicht.« (Aus: „Jetzt ist es mir todernst“. Helena Adler im Interview mit Anton Thuswaldner. In: Volltext, 02.02.2023.)
Literatur öffne Räume, sie sei nie abgeschlossen, immer in Bewegung. (Ausnahmegespräche: Helena Adler mit „Die Infantin trägt den Scheitel links“. Helena Adler im Gespräch mit Katja Gasser. Österreichischer Hauptverband des Buchhandels. 16.04.2020.)
Wie hast Du Helena Adler als Kollegin erlebt?
Mutig, sich nicht davor scheuend, darüber zu schreiben, was sie wahrnimmt: »[…] ich lass es gern krachen. Da muss man lediglich die Augen und Ohren offen und den Schreibblock gezückt halten, sich vielleicht noch in den Zug von Graz nach Salzburg setzen, schon wird man Zeuge der perfidesten menschlichen Abgründe. So musste ich vor ein paar Tagen mitanhören, wie sich eine ältere Dame, fein herausgeputzt, über einen Bettler entrüstete, weil dieser vor dem Eingang von Swarovski lag. Sie meuterte darüber, dass nicht einmal die Stadt Graz imstande wäre, solche Unannehmlichkeiten zu beseitigen, da es sich um einen öffentlichen Platz handle. Dann fragte sie ungeniert: „Wie komme ich dazu, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme, nur weil ich zum Swarovski gehe und dieses Geschöpf mitansehen muss? Wie komme ich dazu?“ Das wird ein neuer Text, sag ich Ihnen, solche Dinge gehören gehört. Und es ist mir ein Fest, unter die schweren Barockkittel unserer Provinzstadt zu spechteln und die Dynamitschnüre zu zünden, die da aus allen engen Winkeln hervorlugen und aus Nobelnischen und Rosettenfenstern heraushängen.« (Aus: „Jetzt ist es mir todernst“. Helena Adler im Interview mit Anton Thuswaldner. In: Volltext, 02.02.2023.)
Welches literarische Erbe hinterlässt sie und wie ist dies in der österreichischen Literatur einzuordnen?
Was bleibt, wird die Zeit weisen. Es liegt in der Verantwortung der Lebenden. Und des Verlages. Hoffen wir also … Hoffen wir, dass insbesondere der Mut, zu schreiben, was eine schreiben will, weitere ansteckt und sich in Verlagen Raum findet, wie auch immer geartet sein mag, was dabei entsteht.
Helena Adler: »Ich träume von einem Elfenbeinturm ganz für mich allein, wo kein Schwein anklopft, sondern wo ich enthoben von der Realität über den Wolken sitzen und an meinen Geschichten weiterspinnen kann.«
(Aus: „Die Türen sind Eingänge in mein tiefstes Unterbewusstsein“ Helena Adler im Wohngespräch mit Wojciech Czaja. In: Der Standard, 13.07.2020.)
Wie wird Dir Werk und Leben Helena Adlers in Erinnerung bleiben?
»Ich mache nichts weiter, als meinen Alltag zu dokumentieren. Ich gebe meine Wahrnehmung wieder, die ja wiederum auch nicht die Wahrheit ist, aber ein großes Stück weit halt meine Wahrheit.« (Aus: „Jetzt ist es mir todernst“. Helena Adler im Interview mit Anton Thuswaldner. In: Volltext, 02.02.2023.)
Herzlichen Dank für das Interview, liebe Marlen!

Zur Person _ Marlen Schachinger, Schriftstellerin
Geb. 1970 in OÖ, lebt, liebt und arbeitet als freiberufliche Literatin, Regisseurin, Übersetzerin, Dozentin für Literarisches Schreiben & Poetik, Regisseurin und Verlegerin. Zahlreiche Publikationen, zuletzt »Erkenntnis kommt in blauer Stunde«, »Perfekt« (2023), »Wort an Wort: Berührung« (2022), »Fragmente: Die Zeit danach« (2021), »Kosovarische Korrekturen« … Filmische Arbeiten und Hörbücher: »Selbstlaut« (2023), »Schatten & Licht« (2021), »Arbeit statt Almosen« (2020) Zahlreiche Literaturpreise und -stipendien – zuletzt: 2021 Stadtschreiberin Magdeburg, BMEIA Internationale Literaturdialoge 2019 Welser Stadtschreiberin, Seume-Literaturpreis … (www.marlen.schachinger.com)
Foto_ Edition Arthof
Helena Adler, Schriftstellerin +5.1.2024

(Stephanie Helena Prähauser *1983)
Geboren 1983 in Oberndorf bei Salzburg in einem Opel Kadett.
Lebte als Autorin und Künstlerin in der Nähe von Salzburg.
Studium der Malerei am Mozarteum sowie Psychologie und Philosophie an der Universität Salzburg.
Auszeichnungen:
2022 Shortlist Österreichischer Buchpreis
2020 Longlist Deutscher Buchpreis
2020 Shortlist Österreichischer Buchpreis
2020 Projektstipendium Literatur BKA
2018 Jahresstipendium Literatur, Salzburg
https://jungundjung.at/verfasser/adler-helena/ 6.1.2024
Bücher:
Interview:
Fotos_Eva Trifft/Jung und Jung
Grafik: Romana Fürlinger
Walter Pobaschnig 18.1.2024
Bin sehr beeindruckt von Helena Adler, vielen Dank liebe
Marlen !
Liebe Grüsse,
Peter Paul
LikeLike