„Auch Leises, Zartes kann bewegen“ Annett Krendlesberger, Schriftstellerin _ Wien 10.12.2023

Liebe Annett Krendlesberger, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Ich habe gerade die Recherche für eine längere Arbeit abgeschlossen und igle mich am Vormittag und späteren Abend meistens zu Hause zum Schreiben ein (zumindest mit Ohropax, manchmal sogar zusätzlich mit Gehörschutz). Auch habe ich wieder begonnen zu laufen, wegen einer Sportverletzung musste ich leider längere Zeit pausieren. Ich laufe gern bergauf (bei uns ist es recht hügelig), aber dafür wirklich langsam. Dieser Trott hat etwas Meditatives für mich. Die Runde bis zum Ende durchzuhalten ist das (einzige) Ziel.

Annett Krendlesberger, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Ich muss mittlerweile richtiggehend aufpassen, nicht von Ohnmachts- oder Resignationsgefühlen wegen fast ununterbrochener Schocknachrichten aus aller Welt weggetragen zu werden. Vor allem manche Bilder sind kaum noch aus dem Kopf zu kriegen, wenn sie einmal hineingelangt sind. Immer öfter sehne ich mich fast nach absoluter Medienabstinenz. Ich kann das globale Leid nicht schultern oder auch nur lindern, aber vor dem Fernseher zu heulen oder zu fluchen bringt niemandem etwas. Stattdessen versuche ich, halbwegs bei mir zu bleiben und im Rahmen meiner eigenen Möglichkeiten, also zunächst einmal in meinem direkten Umfeld, bei Bedarf effizient zu helfen oder sonst wenigstens Solidarität zu zeigen, und Mitgefühl.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Jede ernsthafte künstlerische Arbeit steht für sich, das muss sie. Sie ist. Und sie bewegt als Ausdruck, als ganz eigene Sicht auf die Welt. Ob dieser Ausdruck jetzt eher leiser ist oder ganz laut, sollte dabei eigentlich überhaupt keine Rolle spielen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass in unserer Kulturrealität gerade die besonders laute Darstellung oft viel Aufmerksamkeit bekommt. Zu viel in meinen Augen. Auch Leises, Zartes kann bewegen; vielleicht nicht immer so direkt oder offensichtlich, aber umso nachhaltiger.

Was liest Du derzeit?

Von Ilse Helbich Anderswohin, von Dorina Marlen Heller und Sophie Morin Schwestern im Vers, und auch immer wieder Gedichte von Mascha Kaléko, und auch die Texte aus dem Nachlass und ihre Briefe.

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

Einen Ausschnitt aus Ilse Helbichs Buch Anderswohin, Vom Träumen, Suchen und Finden (S. 76):

„(…) Sonst geschah nichts.
Die Stille, die immer dichter wurde, wollte nichts von ihr, und sie wollte nichts in dieser Stille. Sie war da in diesem Raum, der der Pferdestall war.
Nach einer Weile, sie wusste nicht, wie lange sie so dagesessen war, kletterte sie von ihrem Hochsitz. Sie schloss die Stalltür hinter sich so leise, wie sie sie geöffnet hatte. Sie würde jetzt nachhause gehen. Zeit zum Abendessen.
Die große Stille nahm sie mit. (…)“

Vielen Dank für das Interview, liebe Annett, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

5 Fragen an Künstler*innen:

Annett Krendlesberger, Schriftstellerin

Zur Person _ Annett Krendlesberger 1967 in Wien geboren, lebt dort als freie Autorin. Studium der Philosophie, Theaterwissenschaft und Betriebswirtschaft an der Universität Wien. Berufstätigkeit in verschiedenen Dienstleistungsunternehmen, zuletzt Projektarbeit in der Erwachsenenbildung. Seit 2005 Veröffentlichung von Prosa- und Lyriktexten in Literaturzeitschriften (Freibord, Lichtungen, Podium, u.a.) und Anthologien (Versnetze, Jahrbuch österreichischer Lyrik, u.a.).

www.literaturport.de/Annett.Krendlesberger

Bisher erschienen:

anfangs noch, Prosastücke, Edition fabrik.transit, Wien 2019

Zwei Blatt und zwei, Prosa, Bibliothek der Provinz, Weitra 2018

Doch, Erzählungen, Kitab, Klagenfurt 2016

Flaschendrehn, Erzählungen, Kitab, Klagenfurt 2011

Beweislast, Prosa in Episoden, Kitab, Klagenfurt 2011

Aktuelle Buchneuerscheinung _ Annett Krendlesberger
DALIEGENDE. UNBEWEGT_fabrik.transit Verlag

„Kein Du tritt auf.
Im Dunkeln tappen
Kein Du.
Wie lange noch?“

Es geht um Sprache, um die Grenzen der Mitteilbarkeit, ums Verstehen, Verstanden-werden-Wollen. Annett Krendlesberger lotet Beziehungen aus. Das literarische Ich flüchtet in die Bildersprache, die Sprache der Kunst. Das Kunstwerk als Rettungsanker, als wahrhaftigstes Mittel beim Versuch, ein Du, das seiner Sinne beraubt, zu erreichen, an seiner Gefühlswelt teilzunehmen, seine Ängste zu teilen. Es geht um Verbindung, um einen verbindenden Prozess, ums Bewahren und Annehmen, Sich-eines-anderen-Annehmen. Sodass aus Angst Hoffnung werden kann.

Vom Kunstwerk zum Text, vom Text zum Gedankenbild, vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte: Eine Gedankenbilderspur, basierend auf Werken von Johanna Kampmann-Freund, Lilly Steiner, Mileva Roller, Friedl Dicker u.v.a. 

https://www.fabriktransit.net/daliegende-unbewegt.html


Annett Krendlesberger
DALIEGENDE. UNBEWEGT

mit einem Nachwort von
Birgit Schwaner

13,6 x 20,6 cm, Hardcover
ca 160 Seiten, 5 farbige Abbildungen
Erscheint im Dezember 2023

ISBN 978-3-903267-58-9

€ 22,00 inkl. Ust.

Foto Portrait_Anja Unterrieder

2.12.2023 _Walter Pobaschnig

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar