
Romanneuerscheinung: Jana Revedin „Der Frühling ist in den Bäumen“ Aufbau Verlag _
nach der Lesung/Empfang Ungargasse/Wien _
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann
Liebe Jana Revedin, herzlichen Dank für die so bewegende Buchpräsentation und Lesung in Wien am 10.10.2023! Was hat Sie veranlasst, einen Roman mit Ihrer Mutter als Protagonistin zu schreiben?
Sie selbst.
In ihren letzten Lebensjahren hatte sich meine Mutter einen Bauernhof in Kärnten gekauft. „Hier will ich sterben und du bist bei mir“, sagte sie zu dieser für eine intellektuelle Städterin doch sehr originelle Wahl. Aber sie wusste, ich würde mich in dieses kleine verwilderte Anwesen verlieben, denn es lag nahe zu Venedig, wo ich mit meinem Mann und meinen zwei kleinen Töchtern lebte. Ich war Architektin geworden und konnte den Hof für sie sachte und mit der nötigen Ruhe restaurieren. Oder, lassen Sie mich nachdenken … war ich wohl Architektin geworden, um mich ihrer ein Leben lang eroberten und dann wieder aufgegebenen Heimaten anzunehmen?
Zurück zu diesem Hof. Im letzten Sommer ihres Lebens, einem langen sonnigen Sommer, genau wie in diesem Jahr, führte ich sie Tag um Tag hinaus in den Garten. Es war schon Spätsommer, als sie mich bat, ein Album aus der Bibliothek zu holen, und sie diktierte mir eine Begebenheit in ihrem Leben, von der sie nie zuvor berichtet hatte. Es war ein kurzes, ein sachliches Diktat. Als sie geendet hatte, gab sie mir einen Auftrag: „Irgendwann schreibst du diese Geschichte auf.“



Ihre Mutter, die Protagonistin des Romans, begründete 1953 die erste Frauenzeitschrift „Lady“ Deutschlands. Wie erfolgreich war die „Lady“ im Nachkriegsdeutschland?
Die Lady machte ihre Epoche. Kaum jemand konnte damals nach Paris, Mailand oder London reisen, wo die Mode-, Design- und Theatertrends geschrieben wurden, erst recht nicht nach New York, wohin die Kunst-, Philosophen- und Literaturszene ausgewandert war. Mit der Lady reiste jedermann, jedefrau mit. Die von Marlene Dietrich initiierten „Weekends mit Lady“ waren ein Wegweiser für diese Öffnung zu einem jungen, gar nicht verwöhnten, sondern schlicht kulturbegeisterten Publikum. Man konnte eine damals kaum bekannte Maria Callas in einer verlassenen Grotte auf Capri den Mond besingen hören, mit dem jungen Nouvelle-Cousine-Rebellen Paul Bocuse auf Lyoner Bierbänken speisen, mit Diors Nachwuchstalent Yves Saint-Laurent die verborgenen Bazars von Marrakesch erkunden, mit Peggy Guggenheim barfuß den durchwindeten venezianischen Lido entlangflanieren …

nach der Lesung/Empfang Ungargasse/Wien
Gleichzeitig befreit sie sich aus ihrer jungen, doch zutiefst unglücklichen Ehe. Woraus bezog sie ihre Kraft und wie konnte dies gelingen?
Aus ihrer Aufgabe, aus ihrem Tun. Das Tun, das wir uns nehmen lassen, die Entfremdung zwischen dem Menschen und den Spuren, die er hinterlassen kann, trennt ihn von seinem Selbst, sagt Hannah Arendt. Der gesellschaftliche Vertrag der Ehe befand sich seit der Jahrhundertwende in grundlegender Veränderung. Meine Mutter war eine, die die Kraft zu einer konsequent selbstverantwortlichen Haltung, den Glauben an ihre Talente aus der Natur, der Musik und der Literatur bezog, von den Menschen und Tieren, die sie liebte, aus den zauberhaften Fügungen, die jeder Tag uns beschert.
Wie kann eine Familie in der Generationenfolge heilsam mit schmerzhaften, traumatischen Erfahrungen umgehen?
Indem wir Vertrauen leben, indem wir Verlässlichkeit beweisen. Darf ich eine Stelle im Buch zitieren? Renina, meiner Mutter, wird an einem Morgen bewusst, dass sie die sexuellen Nötigungen ihres Mannes nicht mehr ertragen kann. Wie darüber sprechen? Und mit wem? Sie gesteht ihren Eltern, dass sie sich scheiden lassen will. Eine im Jahr 1953 gerade eben erlassene rechtliche Möglichkeit, doch ein gesellschaftlicher Selbstmord. Sie wagt es, ehrlich zu sein und nach einer allgemeinen Schrecksekunde erlebt sie, wie die Eltern ihr rückhaltlos beistehen: „Sie hatten ihren Standpunkt akzeptiert, ohne nach weiteren Details zu fragen. Das nannte man Vertrauen.“
Wie selbstbestimmt, wie unabhängig ist die Frau heute? Was braucht es gesellschaftlich noch?
Rechtlich, politisch und gesellschaftlich haben wir viel erreicht, doch wir sind bequem geworden. Bevor wir eine neue Herausforderung annehmen, wägen wir viel zu viel ab. Männer haben an der Front, auf der Jagd, beim Sport gelernt, das nicht zu tun, sie gehen voran, und die gesamte Gesellschaft steht hinter ihnen. Wir Frauen haben ebenso die Wahl: „Up our out!“, entweder Sie wachsen, oder wir feuern sie, sagen die wirklich guten Arbeitgeber. Wählen Sie bitte, zu wachsen. Machen Sie sich nicht klein!
Was ist Ihnen in Ihrem Schreiben, in dem Frauen in unterschiedlichsten Lebensphasen im Mittelpunkt stehen, wichtig?
Es stehen ebenso Männer im Mittelpunkt! Wer sonst stützt meine Protagonistinnen? Wer macht sie glücklich? Es gibt noch Milliarden Kavaliere auf dieser Welt, gerade die der jungen Generation, die sich nichts sehnlicher wünschen, als auf ihre Freundinnen und Frauen stolz zu sein. Ich beschreibe, was ich heute erlebe und verbinde es mit dem, was ich geschichtlich recherchieren kann.

Sie sind Schriftstellerin und Architektin. Wie gehen Sie an das Schreiben heran? Gibt es da Ähnlichkeiten mit der Architektur?
Genau wie ich für ein Projekt immer den Kontext, seine Geschichte, seine politische und soziale Struktur, seine Kultur und Atmosphäre studiert habe, tue ich es heute mit meinen Protagonisten. Ich gehe ihre Wege nach, wochenlang, monatelang. Wie lebten sie ihren Alltag? Wie kleideten sie sich, was aßen sie, wie sprachen sie, wie schwiegen sie, hörten sie Musik? Und welche? Wie hielten sie sich aufrecht in harten Lebensmomenten? Und wodurch? Wundersamerweise haben sich ihre Orte und Lebenswelten kaum verändert, weder das Berlin, Weimar und Dessau der Ise Frank in „Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus“, noch das Venedig der „Margherita“, das Paris und Buenos Aires von Jean-Michel Frank und Eugenia Errázuriz in „Flucht nach Patagonien“ oder das Konstanz der Renina in „Der Frühling ist in den Bäumen“. Wir können heute wie damals auf ihren Spuren wandeln, und das tun meine Leser.
Ihre Protagonisten scheinen vor uns zu stehen …
Michelangelo sagte: „Ich setzte meinen Meißel erst ab, wenn ich an der Haut angelangt bin.“ Beim Schreiben gehe ich noch weiter, bis unter die Haut.
Wie finden Sie Ihre Protagonisten?
Ich suche meine Protagonisten nicht, sie finden mich. Es geschehen Fügungen, ich summe den langsamen Satz oder die Arie, die sie ebenso stets vor sich hin summten, ich entdecke den Jazzclub, den sie liebten, den Fotografen, der sie portraitierte … Dann ist alles einfach, ich muss nur noch entscheiden: Erzähle ich einen einzigen schicksalhaften Tag? Drei Jahre? Dreißig Jahre?
Wie und wo schreiben Sie?
Wenn die Geschichte da ist, schreibe ich überall und zu jeder Zeit. Es ist ein Geschenk.
Sie lehren in Paris, leben in Venedig. Ihr Rückzugsort ist Ihr Bauernhof in Kärnten. Wie inspirierend sind Orte, Lebensräume für Sie?
Meine Orte sind meine Ruhe.
Was schätzen Sie an Kärnten?
Die Menschen. Ohne sie wäre die schönste Natur Schall und Rauch.
Heuer ist das 50. Todesjahr Ingeborg Bachmanns. Was schätzen Sie an Ingeborg Bachmann?
„Dort drüben hätte sie gerne gelebt“, schreibt sie in „Das Honditschkreuz“. Ihr schönster Text. Es gibt immer ein „dort drüben“, das wir ersehnen, das wir anstreben, das uns lockt und schließlich trägt. Brechen wir auf in ein „dort drüben“!
Was wird Ihr nächstes Buch?
Wie wird Renina gesund – und, wird sie wirklich gesund? Wie entwickelt sie ihre „Lady“ nach einem Anfangserfolg, der auch kurzlebig sein könnte? Auf wen kann sie sich verlassen?

Romanneuerscheinung: Jana Revedin „Der Frühling ist in den Bäumen“ Aufbau Verlag _
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Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann
Interview mit Jana Revedin, Schriftstellerin, Architektin
Romanneuerscheinung: Jana Revedin „Der Frühling ist in den Bäumen“ Aufbau Verlag

Jana Revedin „Der Frühling ist in den Bäumen“ Aufbau Verlag
Veröffentlichung 15.08.2023
ISBN 978-3-351-04192-2
Format: Hardcover mit Schutzumschlag
Seiten 250
Sprache: Deutsch 22,00 €
https://www.aufbau-verlage.de/aufbau/der-fruhling-ist-den-baumen/978-3-351-04192-2
Zur Person _ Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin. Nach dem Studium von Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand promovierte und habilitierte sie an der Universität Venedig und ist heute ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der École Spéciale d´Architecture Paris. 2018 erschien ihr Bestseller über Ise Frank, „Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus“, 2020 ihr Roman „Margherita“ über die Renaissance Venedigs in den 1920er Jahren, der ebenfalls zum Bestseller wurde. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Flucht nach Patagonien“ über Jean-Michel Frank und Eugenie Errazuriz (2021). Sie lebt in Venedig und Wernberg in Kärnten.
https://www.aufbau-verlage.de/autor-in/jana-revedin 22.10.2023

Romanneuerscheinung: Jana Revedin „Der Frühling ist in den Bäumen“ Aufbau Verlag _
Website: https://www.revedin.com/
Alle Fotos _ Walter Pobaschnig 9.10.2023 Lesung/Empfang Wien – herzlichen Dank an Dr.Gertraud Gürtler für den wunderbaren Literatursalon im Anschluss der einzigartigen Lesung von Jana Revedin!
Walter Pobaschnig _ 22.10.2023
Ich habe nach der Lektüre des „Frühlings…“ alle 3 anderen Bücher als Weihnachtsgeschenk unter den Christbaum meiner geliebten Partnerin gelegt.
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