„Kultur ist mehr als ein kurzweiliges „Augenblicksvergnügen“.“ Christa Prameshuber, Schriftstellerin _ Zürich 20.8.2023

Liebe Christa Prameshuber, Wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?

Der morgendliche Kaffeeduft ist mein erster Glücksmoment. Der nächste ist ein Blick aus dem Fenster, wenn ich See und Berge sehe. Täglich plaudere ich im Freundeskreis – bei persönlichen Treffen, telefonisch oder per Zoom. Unser Austausch von Alltagsgeschichten bis zu Kultur- und Lesetipps sind bereichernd. Tägliches Spazierengehen, auch im Regen, beschwingt meinen Denkrhythmus und bringt neue (Schreib)Ideen. Ich versuche diese, egal wie verrückt sie sein mögen, gleich umzusetzen (z.B. mich als «Turmeremitin» im Linzer Mariendom anzumelden). Da ich zwischen drei Domizilen pendle (Zürich, Montreux und Paris), ist der Tagesablauf zudem vom jeweiligen Ort geprägt.

Christa Prameshuber, Schriftstellerin

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?

Spontan sage ich als erstes: Geistige und körperliche Gesundheit – sie bilden die Basis für alles und beeinflussen unsere Fähigkeit zu klarem Denken, Zuhören, Meinungsbildung und ein respektvolles Miteinander. Mehr denn je benötigen wir Zeit für Selbstreflexion, (sinnvolle) Gespräche und Weiterbildung. Unsere Welt scheint derzeit ein Kuddelmuddel in jeder Hinsicht zu sein – da hilft nur Optimismus, gesunder Menschverstand und Gespräche darüber mit anderen.

Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?

Kultur ist mehr als ein kurzweiliges „Augenblicksvergnügen“. Eine Lesung, ein Konzert, eine Oper oder eine Vernissage sind Anlässe, die uns klar machen, was im Leben wirklich bedeutsam, schön und wertvoll ist – sie helfen uns zu verstehen, wer wir sind und wer wir sein wollen. Idealerweise fördert Kultur den Dialog und schafft einen Raum für Resilienz und Widerstand. Literatur hat mein Leben maßgeblich geprägt und mir geholfen, zu der Person zu werden, die ich heute bin. Auch wenn die Kulturszene nach der Corona-Zeit mit Herausforderungen konfrontiert ist, glaube ich fest daran, dass wir gemeinsam enger zusammenrücken und kooperieren müssen, um Sichtbarkeit zu erlangen. Ein starkes Netzwerk bildet dabei das Fundament für unser Vorankommen. Ich weiss, es klingt sehr banal, aber Kultur darf keine isolierte Insel sein, sondern ein essentiellen Bestandteil unserer Gesellschaft.

Was liest Du derzeit?

«Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe» Doris Knecht (bin begeistert)

«Sommerhaus, später» Judith Hermann (lese ich gerade ein zweites Mal) (grossartig)

Ich höre momentan täglich 1-2 Folgen von Michael Köhlmeiers «Mythen – Sagen aus dem klassischen Altertum», einer 80-teiligen ARD alpha Reihe – sehr amüsant und die 15 Minuten sind lehrreich und hochaktuell. (sehr empfehlenswert)

Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?

«Die großen Augenblicke sind die, in denen wir getan haben, was wir uns nie zugetraut hätten» (Marie von Ebner-Eschenbach)

«Es gibt kein richtiges Leben im falschen» (Theodor W. Adorno)

«Die Erinnerung liebt es im Dunkeln auf die Jagd zu gehen» (David Shields)

Vielen Dank für das Interview liebe Christa, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute! 

5 Fragen an Künstler*innen:

Christa Prameshuber, Schriftstellerin

Zur Person _ Christa Prameshuber, geboren 1961 in Linz, Studium der Geografie, danach berufliche Laufbahn bei internationalen Organisationen in Genf und Paris. Meine Lebensmittelpunkte liegen in der Schweiz und Frankreich. Seit 2015 widme ich mich dem Schreiben. Beim Trauner Verlag sind bisher drei Frauen-Biografien erschienen: „Die Meisterin“ (2018) , „Das mit der Liebe ist alles ein Schwindel“ (2020), und dieses Jahr „Die Liebesdeserteurin“ (2023). Zudem wurden Kurzgeschichtenbeiträge in der Sammlung „Textland Oberösterreich“ und „Briefe an Angelika Kauffmann“ veröffentlicht. Ich liebe Musik, Malerei, Museen und Menschen.

Meine Website:

www.christaprameshuber.ch

Aktuelles Buch von Christa Prameshuber: Die Liebesdesserteurin. Das Leben der willensstarken Fürsorgerin Amalia Berger

Christa Prameshuber, Die Liebesdesserteurin. Das Leben der willensstarken Fürsorgerin Amalia Berger. Trauner Verlag 2023.

Als lediges Kind mit vier Jahren Waise zu werden ist ein hartes Schicksal. Amalia Berger muss kurz nach dem 1. Weltkrieg den Selbstmord ihrer Mutter überwinden, für eine Berufsausbildung kämpfen und weitere traumatische Schicksalsschläge bewältigen. Das prägt spürbar. Die willensstarke Frau kämpft Zeit ihres Lebens für Selbstbestimmung und bringt große Opfer, um für andere da sein zu können.

Mali arbeitet als Gouvernante in Budapest und Rom, bis der 2. Weltkrieg sie zwingt, nach Linz zurückzukehren. Aufopfernd kümmert sie sich hier als Fürsorgerin um arme Kinder, misshandelte Frauen und Prostituierte. Nicht immer macht sie sich mit ihren unkonventionellen Methoden Freunde, sogar Ordnungsstrafen muss sie zahlen, wenn sie ihrem Herzen folgt und nicht den Dienstanordnungen.

Zahlreiche Bewunderer loben ihre Schönheit, Berge von Liebesbriefen bezeugen ihre Beliebtheit und doch bleibt sie immer allein. Irgendwie entzieht sie sich jeder tiefergehenden Beziehung – als eine Liebesdeserteurin, gegen ihren eigenen Willen?

Anhand Hunderter Briefe, Fotos und Gespräche rekonstruiert ihre Nichte das Leben einer couragierten Linzerin im 20. Jahrhundert.

https://www.trauner.at/shop/die-liebesdeserteurin

ISBN 978-3-99062-977-2

€ 17,90

Foto_privat

Walter Pobaschnig _ 6.8.2023

https://literaturoutdoors.com

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