Station bei Malina _ „Ingeborg Bachmann regt dazu an, Geschlechterrollen und -identitäten neu zu denken“ Christina Cervenka, Schauspielerin _Wien 28.6.2023

Christina Cervenka, Schauspielerin _ Romy Nominierung 2023 _ acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Christina Cervenka, Schauspielerin _ Romy Nominierung 2023 _ acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Zum Projekt: Das Bachmann Projekt „Station bei Bachmann“ ist ein interdisziplinäres Kunstprojekt an den Schnittstellen von Literatur, Theater/Performance und Bildender Kunst.

Dabei kommt den topographischen und biographischen Bezügen eine besondere Bedeutung zu, indem Dokumentation, Rezeption und Gegenwartstransfer, Diskussion ineinandergreifen.

Künstler:innen werden eingeladen an diesem Projekt teilzunehmen und in ihren Zugängen Perspektiven zu Werk und Person beizutragen.

Den Schwerpunkt bildet dabei Werk und Leben Ingeborg Bachmanns. Ebenso weitere Künstler:Innen.

50 Jahre – Malina – 1971 – 2021 – Roman _ Ingeborg Bachmann

Liebe Christina Cervenka, herzliche Gratulation zur Romy Nominierung 2023 für Deinen Film „Immerstill“ (2023, Landkrimi)!

Vielen Dank! Es war eine große Ehre dafür nominiert zu werden und ich bin dankbar, dass ich diesen wundervollen Film machen durfte!

Wir sind hier an literarischen Bezugsorten des Romans „Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann in Wien. Sind Dir die Orte hier vertraut?

Tatsächlich bin ich an den Schauplätzen immer wieder mal vorbeispaziert, doch zuvor ohne Bezug zum Roman von Bachmann. Jetzt, da ich ihn gelesen habe, werde ich die Ungargasse immer damit verbinden.

Welche Bezüge und Zugänge gibt es von Dir zu Ingeborg Bachmann und dem Roman Malina?

Wie Bachmann bin auch ich in Kärnten aufgewachsen und habe sie als Literatin bereits in meiner Schulzeit kennen gelernt. Ihren Roman „Malina“ habe ich aber erst vor Kurzem gelesen.

Sie war eine faszinierende Person – diese Tragik und Zerbrechlichkeit in ihrem Inneren ist für mich als Schauspielerin sehr interessant. Manchmal ist sie auch einfach nicht fassbar, unerklärbar. Aber genau das ist ja das Spannende an ihr!

Ihre poetische Sprache und die Auseinandersetzung mit so großen Themen wie Liebe, Tod, Krieg, Gewalt und die Rolle der Frau machen sie in meinen Augen zu einer zeitlosen Autorin.

Eine kleine Anekdote: Meine Oma hat als junge Schauspielerin – damals als Traute Servi im Berufsleben – „Ein Geschäft mit Träumen“ von Ingeborg Bachmann für das Radio aufgenommen.

Welche Eindrücke hast Du von den Schauplätzen in der Ungargasse, die wir besucht haben?

Rein äußerlich betrachtet sind es wunderschöne alte Häuser – mit den Löwenköpfen und dieser schweren Tür! Sie strahlen eine starke Eleganz aus.

Natürlich verbinde ich jetzt durch den Roman eine gewisse Schwere damit, als ob die Geschichte hier immer noch lebt und mitschwingt. Die Umgebung hat eine ganz spezielle Energie, die ich nicht leicht in Worte fassen kann.

Wie siehst Du den Aufbau und das Konzept des Romans?

Im ersten der drei Teile steht die Liebe zu Ivan im Mittelpunkt – eine problematische und belastende Beziehung! Es gibt ein starkes Machtungleichgewicht und sie ist emotional abhängig von seiner Zuneigung.

Im zweiten Teil geht es hauptsächlich um die Beziehung zu Malina, mit dem sie zusammenlebt. Er ist ruhig und rational, genau das Gegenteil von Ivan. Ich empfinde ihre Verbindung als stabil und gleichmäßig, aber dafür eher monoton und emotionslos. Es beginnen die Träume von Mord und Gewalt, sie sieht immer wieder ihr eigenes Verschwinden oder ihren Tod kommen.

Gegen Ende, vor allem im letzten Kapitel löst sich die Struktur des Romans immer mehr auf – ihre Fantasie und die Realität vermischen sich. Als Leserin spüre ich eine starke existenzielle Angst, einen Wahn, der mich auch während des Lesens sehr mitgenommen hat.

Was sind für Dich zentrale Themen und Aussagen des Romans?

Im Mittelpunkt steht für mich ihre permanente Suche nach dem „Glücklichsein“, auch nach Selbstbestimmung. Ihre Beziehungen zu Männern definieren Großteils ihre Identität. Es schwingt immer eine Abhängigkeit von anderen mit – ein sich selbst in Anderen finden, das doch nie möglich sein wird.

Liebe und Beziehungen sind somit auch ein wichtiges Thema im Roman, aber meiner Meinung nach immer in Verbindung mit Machtverhältnissen und Unterdrückung. Ihr Umgang mit anderen erzeugt für mich ein Gefühl der

Schwere und Enge.

Gewalt und Mord spielen auch eine zentrale Rolle, oft kommen Anspielungen auf Kriegserlebnisse vor. Es verschwimmen gegen Ende die Grenzen zwischen Realität und Fantasie.

Wie ist die Beziehung zwischen Mann und Frau im Roman dargestellt und wie ist dies heute zu sehen?

Die Beziehungen zu Ivan und Malina sind sehr unterschiedlich. Doch in beiden Verbindungen ist sie abhängig von den Taten oder Handlungen der Männer. Bei Ivan ist es eine mehr emotionale Abhängigkeit, von Malina braucht sie Stabilität und ist auch in gewisser Weise finanziell an ihn gebunden.

Dennoch habe ich oft das Gefühl, dass sie versucht selbstbestimmt ihren Weg zu gehen und sich nicht beirren zu lassen. Was ihr immer wieder stark zusetzt, ist, dass sie ständig von den Männern in ihrem Leben überschattet wird und Schwierigkeiten hat, ihre eigene Identität und ihr Selbstwertgefühl in sich – ohne Beziehungen zu Anderen – zu finden.

Sicher hat sich die Beziehung zwischen Mann und Frau verändert, ich spüre heute weniger Abhängigkeit. Jedoch gibt es immer noch ein großes Ungleichgewicht – vor allem wenn man über die Grenzen von Europa hinausblickt.

Wie beurteilst Du die Protagonisten Ivan, Malina, Ich-Person in Ihrem literarischen Kontext bzw. dem Kontext der Autorin und Ihrer Biographie?

Die Ich-Person teilt viele Gemeinsamkeiten mit Bachmann. Auch sie ist eine Schriftstellerin, eine intellektuelle Frau in Wien. Sie hat eine intensive emotionale Sensibilität und ist von den Traumata des Krieges und der Nachkriegszeit geprägt.

Ivan wird als sehr dominant gezeigt und die Erzählerin ist in vieler Hinsicht abhängig von ihm. Er könnte für die schwierigen Beziehungen stehen, die Bachmann selbst in ihrem eigenen Leben hatte.

Malina hingegen, der als stabil aber distanziert beschrieben wird, könnte vielleicht ihren eigenen Wunsch nach Stabilität verkörpern. Er ist die Konstante, die sich durch ihr Leben zieht, unterstützt sie, aber geht wenig auf ihre emotionale Art ein.

Welches Frauen- und Männerbild spricht Ingeborg Bachmann in Malina an und wie aktuell ist dies heute?

Auffallend finde ich, dass die Erzählerin meist eine untergeordnete Position zu den Männern in ihrem Leben einnimmt. Sie wird oft als passiv und abhängig dargestellt. Ihr Selbstwert und ihre eigene Identität scheinen eng mit ihrer Beziehung zu den Männern in ihrem Leben verknüpft zu sein.

Beide Männer üben – auf unterschiedliche Weise – Macht und Kontrolle über sie aus. Ivan eher auf der emotionalen Ebene, Malina durch seine Stabilität, die sie sehr braucht, und durch seine dominante Rolle in der Beziehung.

Bachmann zeigt die schädlichen Auswirkungen der Rollenbilder einer patriarchalischen Gesellschaft auf das Selbstbild und die Unabhängigkeit von Frauen. Sie regt dazu an, Geschlechterrollen und -identitäten neu zu denken – viele dieser alten Strukturen sind nach wie vor aktuell.

Welchen Einfluss hatte und hat der Roman auf die Entwicklung von Literatur, Kunst und Emanzipation und Gesellschaft?

Bachmanns kritische Darstellung von Machtverhältnissen in Beziehungen und Geschlechterrollen, hat sicherlich zur Diskussion über Emanzipation und Gleichberechtigung beigetragen. Auch hat sie durch ihren innovativen Erzählstil viele Autor*innen inspiriert.

Wie siehst Du das Ende des Romans?

Die Ich-Person verschwindet am Ende in einem Riss in der Wand ihres Hauses. Bachmann lässt uns als Leser*innen Raum für unsere eigenen Gedanken dazu. Das Verschwinden könnte für eine Art Selbstauflösung in den unterdrückenden Machtstrukturen in ihren Beziehungen stehen. Oder aber auch für eine Befreiung von ihnen! Für mich symbolisiert es auch die Erkenntnis, dass für sie keine Beziehung mehr möglich ist.

Gab es in Deinen Schauspielprojekten Berührungspunkte zu Ingeborg Bachmann?

Tatsächlich hatte ich in meinem Berufsleben noch keine Berührung mit Ingeborg Bachmann. Selbstverständlich haben wir im Studium über sie gesprochen oder ihre Texte gelesen, aber zu einer Aufführung mit Werken von ihr, ist es in meiner Karriere noch nicht gekommen. Hoffentlich in Zukunft!

Wie war Dein Weg zum Schauspiel?

Seit ich denken kann, wollte ich Schauspielerin werden – Filme und Theater haben mich immer fasziniert. Das ist auch ein bisschen familiär vorbelastet – wie gesagt: auch meine Oma und ihre Schwester waren Schauspielerinnen und mein Uropa Dramaturg am Burgtheater. Das war mir als Kind alles nicht so klar, aber vielleicht habe ich da unterbewusst etwas mitbekommen.

Als Jugendliche habe ich in Kärnten schon viel Theater gespielt und dann während des letzten Schuljahrs an Schauspielunis vorgesprochen.

Mein erstes Vorsprechen in Graz hat dann gleich geklappt – das war natürlich total aufregend!

Was bedeutet Dir Wien und welche Erfahrungen hast Du hier als Schauspielerin gemacht?

Nach der Uni bin ich für 4 Jahre ans Burgtheater – zuerst als Gast und dann für 2 Jahre ins fixe Engagement. Dadurch habe ich viel Zeit in Wien verbracht und die Stadt besser kennen gelernt. Zuvor hatte ich nie soviel Bezug dazu, hab mich mehr als Fremde oder „Gast“ hier gefühlt. Heute habe ich mehr Verbindung zur Stadt und auch meine liebsten Plätze.

Man spürt die Geschichte und die großen Persönlichkeiten die hier gelebt haben noch sehr stark und ich denke die Stadt ist auch sehr stolz auf „ihre“ Künstler*innen.

Was sind Deine derzeitigen Projektpläne?

Mich hat die Faszination für das Drehen nie losgelassen – in den letzten Jahren habe ich mich mehr auf Film und Fernsehen fokussiert.

Gerade habe ich eine Episodenhauptrolle für „Die Toten vom Bodensee“ abgedreht und bereite mich momentan auf eine spannende Rolle im Sommer vor: Ich spiele Gretl Csonka, eine junge Frau, die von ihren Eltern wegen ihrer sexuellen Orientierung unverstanden, zu Freud in Therapie geschickt wird und sich mühevoll ihren eigenen Weg erkämpft. Eine wahre Geschichte! Fritz Kalteis wird Regie führen und Freud wird von Karl Markovics verkörpert. Ich freue mich schon sehr auf dieses – für mich erste – historische Filmprojekt!

Die Arbeit vor der Kamera gibt mir viel Energie und ich bin gespannt, welche Projekte in nächster Zeit noch auf mich warten. Auf jeden Fall bin ich sehr dankbar diesen wundervollen Beruf so ausüben zu dürfen!

Hättest Du mit Ingeborg Bachmann gerne einen Tag in Wien verbracht und wenn ja, wie würde dieser aussehen?

Gerne wäre ich mit ihr durch den 3. Bezirk, durch ihr „Ungargassenland“ spaziert und hätte ihr einfach nur zugehört, oder sie beim Erleben „ihrer“ Wege und „ihrer“ Häuser beobachtet. Vielleicht wäre ich auch mit ihr in ein Wiener Kaffeehaus gegangen und hätte sie in ihrer Rätselhaftigkeit auf mich wirken lassen.

Ende Juni beginnt der Bachmannpreis in Klagenfurt. Verfolgst Du den Wettbewerb? Warst Du schon vor Ort?

Tatsächlich war ich noch nie selbst vor Ort, bin aber sehr gespannt, welche Texte die Autor*innen dieses Jahr vortragen werden. Wenn ich Zeit habe, werde ich sicherlich die eine oder andere Lesung online oder im TV verfolgen.

Darf ich Dich abschließend zu einem Malina – Ingeborg Akrostichon bitten?

Machtstrukturen

Albtraum und Fantasie

Launenhaft vergessen

Instabil im Wandel

Namenlos

Am Ende doch unsichtbar

Im Leben

Nicht zu fassen

Gegen jede Konformität

Existenziell

Bruchstückhafte Erinnerungen

Obsession und Kampf

Reife Verirrungen

Gleichgewicht in Disbalance

Vielen Dank, liebe Christina, für Deine Zeit in Wort und szenischem Bild im „Ungargassenland“, alles Gute für alle Projekte!

Christina Cervenka, Schauspielerin _ Romy Nominierung 2023 _ acting Malina
Romanschauplatz „Malina“ Ingeborg Bachmann (1971) Wien  
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Malina_Roman Ingeborg Bachmann_Wien_1971

im Interview und szenischem Fotoportrait_acting Malina

Christina Cervenka, Schauspielerin _ Wien _

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Interview und alle Fotos_Romanschauplatz _ Malina_Wien _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig, 6_23

https://literaturoutdoors.com

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