Station bei Bachmann _ „Wie viel hat Ingeborg Bachmann hier geschrieben?“ Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin _ Wien 25.6.2023

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
am Wohnort Ingeborg Bachmanns in Wien_
 
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Erste Wohnung Ingeborg Bachmanns in Wien_ 
sie kam 1946 in Wien an und lebte zunächst in der Wohnung ihres Onkels in Wien/Alsergrund
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
am Wohnort Ingeborg Bachmanns in Wien_
 
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)
Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
am Wohnort Ingeborg Bachmanns in Wien_
 
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Liebe Sophia Lunra Schnack, wir sind hier im Wiener Wohnhaus von Ingeborg Bachmanns erster vorübergehender Unterkunft.

Ingeborg Bachmann kam hier als Studentin, Schriftstellerin am 9.10.1946 an und wohnte hier vorübergehend bei einem Onkel väterlicherseits bis 18.10.1946, danach zog sie eine Untermietwohnung.

Es ist für Dich, liebe Sophia, ein besonderer Tag, da Du heute Deinen ersten Roman („feuchtes Holz“ Otto Müller Verlag 8/2023) in der Endfassung beim Salzburger Otto Müller Verlag einreichst. Welche Gedanken bewegen Dich und welche Eindrücke nimmst Du vom Wohnhaus auf?

Jetzt, wo du mir die genauen Daten nennst, kommen mir sofort zwei Oktobertage, die für mich und mein Debüt „feuchtes holz“ eine Rolle spielen: der 19. Oktober 1944, an dem der Zwillingsbruder meines Großvaters gefallen ist. Und der 15. Oktober 2017, an dem mein Großvater gestorben ist. Die Wochen vor seinem Tod hat er immer öfter nach seinem Bruder gefragt. Nach seinem Leben, also wo er denn sei. Jedes Jahr um diese Zeit habe ich aufs Neue den Eindruck, das jeweilige Sterben nochmals zu spüren. Dass das fast genau der Zeitspanne entspricht, in der Ingeborg Bachmann hier gewohnt hat, füllt diese Tage gerade mit Lebendigkeit: zu allererst sehe ich den blühenden Flieder im Innenhof, die Tropfen darauf, die der Regen kurz vor unserem Besuch hinterlassen hat. Wie eine Lupe, in der sich deine Linse und meine Pupillen gespiegelt haben. Durch die Regenluft hat der Flieder besonders intensiv gerochen. Und dann ist da dieser kleine weiße Kinderschirm an einem Fenster im ersten Stock lehnend, der uns aufgefordert hat, zu Bachmanns Wohnung hinaufzugehen.

Du wohnst hier in unmittelbarer Nähe. Was schätzt Du hier besonders, welche Besonderheiten gibt es in diesem Wiener Bezirksteil?

Die Lage ist super zentral und trotzdem fühle ich mich teils wie in einem Dorf. Ich habe rundherum meine Stammgeschäfte und gleich mehrere ganz großartige Stammkaffees, wo ich die Leute kenne und sie mich. Das genieße ich sehr, wenn alltägliche Wege ein bisschen persönlicher ablaufen. Es gibt Plätze und Ecken, an denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, und es ist in Sommermonaten eine kühle Umgebung mit vielen Bäumen, teils sogar Brunnen. Da streifen dann auch ab und zu Füchse herum. Dass ich den Türkenschanzpark zu Fuß erreichen kann ist Luxus, zu jeder Jahreszeit. Zur Volksoper muss ich nur ein paar Mal umfallen. Und ich bin in meiner Altbauwohnung umgeben von MusikerInnen, da kann es schon einmal vorkommen, dass von oben, nebenan und unten die Saiten gestrichen werden. Wunderbar!

Wann bist Du hierher gezogen und wie war Dein Ankommen?

In das Haus bin ich im Sommer 2016 gezogen, in die jetzige Wohnung 2019. 2016 bin ich gerade aus der Provence zurückgekommen und war frisch mit meinem Studium fertig. Es war meine erste eigene Wohnung und ich war sofort verliebt: zum Beispiel in die Küche, in der gleichzeitig eine Duschkabine war, und in das kleine Zimmer direkt zum Innenhof mit Linden und Kastanien zum Angreifen nah. Das breite Fensterbrett, zwischen zwei Flügeln, ist sofort zu meinem liebsten Leseort geworden. In der jetzigen Wohnung habe ich auch so eines. Meine Katze hat natürlich auch sofort die Vorzüge dieses Zwischenraums erkannt, ich muss also immer schnell sein.

Welche Zugänge hast Du zu Werk und Leben von Ingeborg Bachmann?

Werk und Leben, bei Bachmann sind sie tatsächlich erschreckend nah verwoben. Wobei es ihr im Schreiben gelingt die Kräfte zwischen Höllenfeuer und Himmelsluft auszugleichen und rein sprachlich zu bändigen. In ihrem Privatleben ist ihr das nicht gelungen, da war ihre gewaltige Gefühlswelt stärker als sie. Nur im Schreiben hat sie sich über Wasser halten können. Sie sagte ja auch von sich selbst, dass sie nur im Schreiben existiere, diese existentielle Schreibnot spürt man in ihren Texten. Das überwältigt mich, dann macht es mir manchmal Angst.

Die zwei Mandarinen waren ein Begrüßungsgeschenk von Fatima (afghanische Gastfamilie in der ehemaligen Wohnung von Ingeborg Bachmann)

Was schätzt Du an Ingeborg Bachmanns Schreibens besonders?

Ob Lyrik oder Prosa, ihr Schreiben ist immer ein Spiegel grundlegender, zeitloser Fragen unseres Daseins. Und es ist immer eine Alternative zum Verstummen. Das heißt, eine Reaktion auf eine Realität, die man nicht wiedergeben, nur verschweigen oder neugestalten kann. Ihr Schreiben wählt die Neugestaltung, was aber nicht bedeutet, die Sprache an sich neu zu machen. Sie sucht nach einer neuen „Gangart“, wie es in den Frankfurter Vorlesungen heißt, hinter der ein „neuer Geist“ wohnen muss. Das heißt ein Sprachspiel, das rein innerhalb der Sprache bleibt, gibt es nicht bei Bachmann. Es geht immer um mehr, um neue Möglichkeiten der Welterfahrung, um Varianten von Wahrnehmung. Um ein Ringen mit dieser Sprache, mit der gerade SchriftstellerInnen in Konflikt stehen und sich nach einem Vertrauensverhältnis mit ihr nur sehnen. Mich fasziniert auch die lyrische Kraft ihrer Prosa: Klang, Rhythmus, tastendes Suchen nach Sprache bleiben in allen Gattungen, die Bachmann verfasst hat, zentral. Vielleicht hat das auch mit dem eben Gesagten zu tun und vielleicht auch mit der Tatsache, dass Bachmann ursprünglich Musikerin werden wollte.

Möchtest Du ein Gedicht, ein Prosawerk, Eine Rede hervorheben?

Wie man an der obigen Antwort merkt, bin ich absolut vernarrt in die Frankfurter Poetikvorlesungen Bachmanns. Als, Bachmann würde sagen, „immer noch junge“ Frau, ist mir in letzter Zeit speziell die Erzählung Das dreißigste Jahr nah gewesen. Vor allem die Gedanken über das Erinnern, das ab diesem Alter Eingang ins Leben findet. Davor lebt man in einem ewig zukünftigem Gegenwartsgefühl, entfernt sich von der Herkunft, spielt mit dem Leben, braucht nicht mit allen Fasern an ihm zu hängen und nimmt jedes Risiko an: „die Welt schien ihm kündbar, er selbst sich kündbar“. So rund um die 30 entdecken wir in uns „die Fähigkeit, sich zu erinnern“. Wir beginnen Bisheriges zu formen, zu reflektieren, uns mit manchen Dingen zu versöhnen und vielleicht das Leben als weniger dramatisch zu nehmen: „Er wirft das Netz der Erinnerung aus, wirft es über sich und zieht sich selbst, Erbeuter und Beute in einem, über die Zeitschwelle, die Ortschwelle, um zu sehen, wer er war und wer er geworden ist.“ Der Protagonist erwacht aus einem Dämmerzustand des Selbstverständlichen, fasst Vertrauen in die Poren auf seiner Haut, in den Salzgeschmack des Meeres… also in Dinge, der er „nicht beweisen“ muss.

Dein erster Roman erscheint im August des Jahres. Was ist der inhaltliche Schwerpunkt und wie kamst Du zum Thema?

Über den Geruch nach feuchtem Holz auf einer Brücke am See wird die Protagonistin an ihr nicht mehr stehendes Familienhaus erinnert. Sie ist zu Besuch am Ort ihrer Kindheit, durchwandert ehemalige Strecken und taucht so in vergangene Stimmen, Silhouetten und Berührungen ein. Gleichzeitig begreift sie, wie nicht verarbeitete Kriegstraumata ihrer Vorfahren in ihrem Körper, ihren Emotionen und Denkmustern fortwirken. Die Rückblicke vermischen sich dabei mit einer latenten Furcht vor Wiederholung.
Vor allem die sinnlichen Ebenen rund um ein abgerissenes Familienhaus begleiten mich schon sehr lange. Dass es so stark um Spätfolgen von Krieg in der jetzt jungen Generation gehen würde, hätte ich allerdings nicht gedacht. Das ist erst beim Schreiben selbst entstanden. Und durch Aussagen meiner Großmutter in ihren letzten Lebensjahren verstärkt worden.

Ingeborg Bachmann kam von der Lyrik zur Prosa. Ist es auch bei Dir ein radikaler Formwechsel?

Eigentlich nein. Ich habe eher den Eindruck, dass die Form meines Romans eine Verlängerung meiner Lyrik ist beziehungsweise die Trennlinien absolut verschwimmen. Meine Prosa funktioniert auch sehr rhythmisch, visuell, sehr sinnlich und löst sich regelmäßig in Strophen auf. Das ist auch in meinem ersten Roman „feuchtes holz“ so. Es gibt Passagen, die narrativer funktionieren, andere, die sehr lyrisch aufgebaut sind. Mir geht es um einen stetigen Tempowechsel. Die Lyrik dehnt Zeit, hält einen Raum an, der sich nicht nach vorne bewegen muss. Die narrativeren Passagen sorgen für Fluss, ein Vorankommen, ohne sie würde der Romanraum zu weit, haltlos werden.

Was ist Dir im Schreiben wichtig?

Sich ständig neu zu verlieben. In einzelne Worte, ihren Klang, ihre Materialität. Ich hebe diese dann auch gern visuell hervor, lasse weißen Raum um sie, das Gewicht soll, in aller Leichte, auf ihnen liegen. Deswegen bleibt wohl auch meine Prosa lyrisch, als hätte ich Angst, dass die Tragweite einzelner Worte, ihrer Beziehungen, in einer vorwärtsstrebenden Narration nicht vollends ausgekostet werden könnte. Schreiben bedeutet für mich, nicht zu fabrizieren. Das heißt, sich von Worten tragen, weiterführen zu lassen. Es ist ein Weiterspinnen voller Unsicherheiten. Ich gehe natürlich von einem Bild, einem Thema, einer Stimmung aus, die geben Richtung. Aber nicht mehr als Richtung. Zu viel im Voraus zu planen würde mein Interesse am Text verhindern, dann würde in mir das Gefühl entstehen, nur mehr vorgezeichnete Schablonen auszumalen.

Wie wichtig sind für Dich Orte im Schreiben?

Radikal bis zwanghaft wichtig. Letztendlich fange ich in jedem Text, ob jetzt in meiner Prosa oder Lyrik, Orte in ihren Stimmungen, Begegnungen, Gerüchen oder Bedeutungen zwischen Individuum und Kollektiv ein. Mein Deütroman ist eine tiefe Auseinandersetzung mit allen Dimensionen, die ein Ort aus der eigenen Kindheit für einen persönlich aber auch als Spiegel von Weltgeschehen annehmen kann. Hier war auch ein ganz konkreter Ort zentral für das Schreiben, nirgends sonst hätte es stattfinden können.

Welchen Eindruck hast Du hier vom ersten Wohn- und damit auch Schreibraum Ingeborg Bachmanns bzw. der Wohn- Schreibumgebung hier?

Die Wohnung liegt sehr ruhig, ganz am Ende des Ganges im ersten Stock. Das Wohnzimmer hat zwei große Fenster. Licht und Stille, schon einmal zwei sehr gute Voraussetzungen. Ich frage mich, wie viel Ingeborg Bachmann hier tatsächlich geschrieben hat. Und was. Briefe sicher. Vielleicht ja auch über den Magnolienbaum, der etwas weiter unten in der Severingasse einen ganzen Innenhof füllt? Gegeben hat es ihn damals wohl schon. So wie viele andere versteckte Ecken, von denen man trotzdem zu Fuß schnell im Zentrum sein kann.

In der Wohnung lebt nun eine afghanische Flüchtlingsfamilie. Welche Erinnerung hast Du jetzt an den Besuch, die Begegnung?

Ich denke sofort an die zwei Mandarinen, die wir von Fatima, der jetzigen Bewohnerin der Wohnung, geschenkt bekommen haben. Sie haben die sprachlose Kommunikation mit ihr eingeleitet, ihr Willkommenheißen aus Blicken und Berührungen. Ich bin fast froh, dass wir uns in keiner Sprache unterhalten konnten. Es ist so ein ganz anderer Raum entstanden, man musste sehr genau hinsehen, sehr direkte Zeichen setzen. Ich nehme ihre Herzlichkeit mit, das viele Lachen und die von Fatimas Sohn mit Buntstift bemalten Wände.

Was inspiriert Dich im Schreiben?

Alles Lebendige. Das klingt jetzt sehr allgemein, aber auf die Frage, was brauchst Du im Leben, würde dieselbe Antwort kommen. Das Schlimmste ist innere Abgestumpftheit, der Verlust von Lebendigkeit. Dann bleibt eine Hülle, die ein- und ausatmet, bestehen bleibt, aber nichts ein- und auslassen kann, innerlich also in sich zusammenfällt. Das Lebendige ist immer mehr Aufwand, als das Unlebendige. Und viel riskanter. Und genau das interessiert mich: im Schreiben das Risiko radikal anzunehmen und bis zum Ende zu gehen. Diese Gratwanderung ohne Kompromiss, wie in einer Liebesbeziehung.

Wie, wann schreibst Du?

Neues schreibe ich am liebsten am Vormittag. Gleich nach dem Aufstehen. Da bin ich noch nicht geformt vom neuen Tag, noch nicht beeinflusst von äußeren Ereignissen. In diesem noch unangetasteten Zustand bin ich am durchlässigsten für den Text an sich, bevor neue Eindrücke sich über ihn und mich legen. Das ist eine sehr heikle, fragile Zone, die mit einer falschen Begebenheit für den restlichen Tag verschwinden kann. Beim Überarbeiten ist es flexibler, das kann ich zu jeder Tageszeit und eigentlich auch recht unabhängig von inneren und äußeren Zuständen.

Darf ich Dich abschließend zu einem Ingeborg Akrostichon bitten?

I           nnerlich dieses

N         agen an

G         gewohnheit das dich

         rpresst

B         estehen vorspielt bis zur

O         hnmacht aus der du

        ingst dann darüber

        leitest

Liebe Sophia, vielen Dank und viel Erfolg für Deinen Roman!

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_ Wien _
am Wohnort Ingeborg Bachmanns in Wien_
 
50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Station bei Bachmann_Wien

im Interview und Fotoportrait_

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_Wien

Sophia Lunra Schnack, Schriftstellerin_Wien

Zur Person_Sophia Lunra Schnack, geboren 1990, lebt und schreibt überwiegend in Wien. Veröffentlichte bislang Lyrik und (lyrische) Prosa u. a. in den „Manuskripten“, in der „Poesiegalerie“, in „Das Gedicht“ oder in den „Signaturen“. Die Autorin schreibt auf Deutsch und Französisch. Immer wieder sucht sie eine klanglichatmosphärische Annäherung zwischen den beiden Sprachen.

2022 erhielt sie den rotahorn-Literaturförderpreis. Seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für „Das Gedicht“ (Hg. Anton Leitner).https://www.sophialunraschnack.com/

Sophia Lunra Schnack

Kommende Buchneuerscheinung_ „feuchtes holz“, Sophia Lunra Schnack. Roman. Otto Müller Verlag.

„feuchtes holz“, Sophia Lunra Schnack. Roman. Otto Müller Verlag.

Veröffentlichung: 08/2023
ISBN: 978-3-7013-1308-2
260 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Preis: € 25
E-Book: € 20,99

feuchtes holz

2023 _ 50.Todesjahr_Ingeborg Bachmann_ Schriftstellerin (25.Juni 1926 Klagenfurt – 17.Oktober 1973 Rom)

Interview und alle Fotos_Wohnort _ Ingeborg Bachmann_Wien _ Walter Pobaschnig

Walter Pobaschnig, 5_23

https://literaturoutdoors.com

Hinterlasse einen Kommentar