Liebe Mercedes Miriam Vargas Iribar, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Ich stehe auf, trainiere. Ich treffe mich mit meiner Zwillingsschwester und wir gehen zusammen zu den Theaterproben. In der Pause essen wir etwas Warmes und wenn Zeit übrigbleibt: lesen wir eine Seite eines Buches.
Am Abend haben wir Aufführung. Ich bin sehr glücklich während der Aufführung. Ich bin auch sehr dankbar für die Ovationen des Publikums, die uns zeigen, dass die Menschen vielleicht einen Teil unserer Freuden mit nach Hause nehmen können. Verbeugung. Noch einmal Verbeugung. Garderobe. Abschminken.
Ich fahre zurück nach Hause. Auf dem Weg dorthin rufe ich meine Zwillingsschwester an, obwohl ich sie vor zehn Minuten im Theater gesehen habe. Es macht nichts! Wir können es nicht anders. Wir reden über unsere Theateraufführung. Wir tauschen Meinungen aus. Wir lachen. Wir beenden das Gespräch und verabschieden uns.
Ich komme zu Hause an. Ich esse etwas. Dusche. Schreibe an meine Zwillingschwester mit dem Handy eine Gute-Nacht Nachricht. Vor dem Einschlafen lese ich im Bett und wenn die Müdigkeit mich besiegt: schalte ich das Licht aus.

Balletttänzerinnen, Künstlerinnen
Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Der Frieden. Es wäre wichtig zu verstehen, dass wir uns von jeglichem Egoismus trennen sollten, müssen. Egoismus trennt und verdirbt die Freude.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei dem Theater/Schauspiel, der Kunst an sich zu?
Kunst war immer und wird immer – so glaube ich – die Stütze einer Gesellschaft sein. Aber sie kann nur funktionieren, wenn wir als Künstler ehrlich bleiben. Wofür zahlt das Publikum? Sicherlich dafür, die Möglichkeit zu haben, eine neue Realität zu erhalten. Vielleicht zahlt das Publikum auch, um das Angebot zu haben, über etwas nachdenken zu können, zu reflektieren, oder vielleicht, um die Gefühle zu restaurieren. Alles ist möglich!
Als KünstlerInnen fühlen wir uns also dafür verantwortlich, diese möglichen Erwartungen in gewisser Weise zu füllen.

Was liest Du derzeit?
Ich lese immer zwei Bücher gleichzeitig. Tagsüber auf Deutsch und abends in meiner Muttersprache: Spanisch.
Zurzeit lese ich tagsüber:
„Regen: Eine Liebeserklärung an das Wetter wie es ist“, von Christian Sauer.
Am Abend:
„La Ciudad y los Perros“ (Die Stadt und die Hunde“) von Mario Vargas Llosa.
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (Ludwig Wittgenstein)
Vielen Dank für das Interview liebe Mercedes Miriam Vargas Iribar, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine/Eure großartigen Tanz-, Kunstprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!

Balletttänzerinnen, Künstlerinnen
5 Fragen an Künstler*innen:
Mercedes Miriam Vargas Iribar, Balletttänzerin, Künstlerin
Zur Person/Personen_Mercedes Miriam Vargas Iribar und Miriam Mercedes Vargas Iribar, (Balletttänzerinnen, Künstlerinnen)
geb. 1971 in Guantánamo/ Kuba. 1984 besuchten sie die Kunstakademie (ENA) in Havanna. Ausbildung als Tänzerinnen und Tanzpädagoginnen. Schwerpunkte: Moderner Tanz, afrokubanische Folklore und Klassisches Ballett. Seit 1996 und 1999 sind sie ständige Mitglieder des Serapions Ensembles im Odeon Theater Wien.
Miriam Mercedes ist zusätzlich Meisterin der chinesischen Kampfkunst Tai Ji Quan und hat in China den 7. Grad des Kung Fu verliehen bekommen.
Mercedes Miriam hat parallel zum Theater, an der Universität Wien studiert. 2012 hat sie das Diplomstudiums in Romanistik/ Literaturwissenschaft und 2017 das Doktoratsstudiums in Romanistik/ Sprachwissenschaft, erfolgreich angeschlossen. Seit 2019 ist sie als Dozentin für Bewegungslehre an der Filmacademy Wien tätig. Des Weiteren arbeitet sie im Bereich Transkription und Übersetzungen für Kinofilme.
Beide wurden 2023 von der Regisseurin Jacqueline Kornmüller und dem Schauspielern und Produzenten Peter Wolf für das Ganymed-Bridge Stationstheater eingeladen mit dem Stück „Wie die Welt schmeckt“.
Fotos_Alexandra Stanic
21.5.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.