Lieber Volker Kaminski, wie sieht jetzt Dein Tagesablauf aus?
Sehr unspektakulär, fürchte ich. Vor dem Frühstück eine Gymnastikeinheit auf der Matte und ein wenig Hanteltraining, gefolgt von einem längeren Spaziergang (zwecks Bewegung und Einfällesammeln).
Anschließend die Vormittagssitzung (Lektüre von Rezensionstiteln oder Masterarbeiten mit anschließendem Verfassen eines Gutachtens o. Ä.).
Nach der Mittagspause ab 16Uhr Nachmittagssitzung: Arbeit am Eigenen! Höhepunkt des Tages!
Abends Privates, Lesung, Konzert, Theater, Vernissage oder Tummeln auf dem Berliner Parkett (z.B. in Botschaften und Landesvertretungen) mit einem Entspannungsgläschen Rotwein.

Was ist jetzt für uns alle besonders wichtig?
Sich nicht verdüstern und einschüchtern lassen von der aktuellen Weltlage. Rückgriff auf Ressourcen und Erfahrungswissen. Pläne schmieden, Ziele ins Auge fassen. Als Künstler sich nicht entmutigen lassen, immer den Kopf oben behalten und ansonsten dem folgen, wohin der eigene Antrieb dich steuert. Ganz wichtig auch: sich vernetzen und mit anderen austauschen.
Vor einem Aufbruch und Neubeginn werden wir jetzt alle gesellschaftlich und persönlich stehen. Was wird dabei wesentlich sein und welche Rolle kommt dabei der Literatur, der Kunst an sich zu?
Das ist schwer einzuschätzen. Vermutlich wird es wesentlich darum gehen, unser freiheitliches Leben auf der Basis demokratischer Grundrechte und eines funktionierenden Parlaments mit Meinungsvielfalt und Parteienpluralität aktiv zu verteidigen. Kunst und Literatur werden dann die Leuchttürme der freien Individualität bleiben, Ausdruck selbstbewussten Bürgersinns, selbst extreme Kunstwerke muss es weiter geben dürfen – da erwarten uns noch kontroverse Diskussionen.
Was liest Du derzeit?
Den wundervollen Roman „Fünf Minuten vor Erschaffung der Welt“ meines Verlagskollegen Wolf Christian Schröder (PalmArtPress). Eine verrückt-liebenswerte Lektüre, jedoch mit erstaunlich viel negativer Energie, ohne dass sich dabei Hoffnungslosigkeit ausbreitet.
Die Romane von Patrick Modiano, z. B. „Im Café der verlorenen Jugend“ oder „Eine Jugend“. Ein äußerst ökonomisch arbeitender Autor, dessen Romane Geheimnisse enthalten und in ihrer scheinbaren Harmlosigkeit menschlich ins Herz treffen.
Toll und spannend ist auch: „Die Anomalie“, von Hervé Le Tellier. Eine Spur Science Fiction, formal ungewöhnlich. Ein Flugzeug verdoppelt sich auf rätselhafte Weise, samt aller Passagiere und der Crew. Wie ist so etwas möglich? Darauf wird im Roman eine Antwort gesucht. Herrlich verrückt!
Ansonsten mische ich gerne unter die neuen Titel auch immer wieder Älteres, Bewährtes wie zuletzt: „Der Steppenwolf“ von Hermann Hesse oder Aufsätze von Thomas Mann (gerade gelesen: „Deutsche Hörer“, Manns Abrechnung mit Hitler-Deutschland in einer Vielzahl von BBC-Reden).
Welches Zitat, welchen Textimpuls möchtest Du uns mitgeben?
„Reisen hat keinen Reiz, wenn du nirgendshin heimkehren kannst.“ Stanislaw Lem.
Vielen Dank für das Interview lieber Volker, viel Freude und Erfolg weiterhin für Deine großartigen Literaturprojekte und persönlich in diesen Tagen alles Gute!
5 Fragen an Künstler*innen:
Volker Kaminski, Schriftsteller
Zur Person_
VOLKER KAMINSKI, geb. 1958 in Karlsruhe, Studium Germanistik/Philosophie, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Er veröffentlicht Kurzgeschichten, Glossen (Berliner Zeitung), zahlreiche Romane, z.B. „Herzhand“ 2021, „Der Gestrandete“ 2019, „Auf Probe“ 2018, „Rot wie Schnee“ 2016. Im Herbst 2023 erscheint der Roman „RUA17“ bei PalmArtPress Berlin.
Kaminski rezensiert Romane aus dem arabisch-persischen Kulturraum für die Deutsche Welle. Seit 2014 ist er Lehrbeauftragter an der Alice Salomon Hochschule in Berlin und unterrichtet dort Creative Writing in einer Romanwerkstatt. Außerdem bildet er Autor*innen aus über das Institut für kreatives Schreiben (IKS). Stipendien: Alfred Döblin-Stipendium. Stipendium Kunststiftung Baden-Württemberg, Stipendium Künstlerhaus Edenkoben.
www.volkerkaminski.wordpress.com
Foto_privat
29.3.2023_Interview_Walter Pobaschnig. Das Interview wurde online geführt.