Bachmannpreis _ Rückblickinterview: „ich hatte wenig zu verlieren und konnte eigentlich nur gewinnen.“ Vladimir Vertlib, Schriftsteller, Bachmannpreisteilnehmer 1999 _ Salzburg 19.4.2023

Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:

Vladimir Vertlib, Schriftsteller _ Salzburg _
Bachmannpreisteilnehmer 1999

Lieber Vladimir Vertlib, Du hast 1999 am Bachmannpreis in Klagenfurt teilgenommen. Wie kam es zu Deiner Teilnahme und wie gestaltete sich Deine Vorbereitung? Welche Erwartungen hattest Du?

Robert Schindel, den ich über meinen guten Freund und Kollegen Doron Rabinovici kennengelernt hatte, war damals Vorsitzender der Jury. Er fragte mich, ob ich teilnehmen möchte. Ich bejahte, schickte ihm einige Texte zur Auswahl, er hat sich einen davon ausgesucht, den sind wir durchgegangen …

Vladimir Vertlib, Schriftsteller _ Salzburg _
Bachmannpreisteilnehmer 1999

Im Verlauf der Bachmannpreisgeschichte gibt es immer wieder Veränderungen im Setting und des Ablaufes. Wie war es damals bei Dir und wie hast Du das Ankommen, die organisatorische und kollegiale Begleitung erlebt?

Die Organisation war sehr gut. Das Startgeld von öS 15.000,- , etwa 1.200 Euro, berücksichtigt man die damalige Kaufkraft und die Inflation der letzten Jahrzehnte, war es, wenn man es in aktuellem Euro umrechnen wollte, wohl sogar doppelt so viel, also mindestens 2.000 Euro. Es war das höchste Honorar, das ich bis dahin jemals für eine Lesung erhalten hatte.

Die Unterkunft war perfekt.

Mit den Kolleg:innen kam ich gut aus. Die spätere Siegerin Terézia Mora kannte ich noch vom letzten Jahr, als wir beide am Literaturkurs in Klagenfurt teilgenommen hatten. Grundsätzlich waren alle freundlich zu mir, und dass ich von den Mitarbeiterinnen meines Verlags, des Deuticke Verlages, die ebenfalls in Klagenfurt waren, gut betreut wurde, versteht sich von selbst.

Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Kontakte zu den Mitlesenden und der Jury und wie war der Kontakt (Kontaktmöglichkeiten) vor Ort?

Zur Jury hatte ich mit Ausnahme meines Jurors Robert Schindel bis zum Abschlussmittagessen keinen Kontakt. Zu den Mitlesenden hatte ich von Anfang an Kontakt (siehe oben). Es gab Restaurants und Lokale, wo wir uns trafen, ein gutes Rahmenprogramm und vor allem die Gesprächsmöglichkeiten im und rund um das ORF-Zentrum in Klagenfurt.

In welchem Hotel und wie war die Unterbringung und an welche Begleitveranstaltungen erinnerst Du Dich?

Ich weiß nicht mehr, wie das Hotel hieß. Es war auf jeden Fall zentral gelegen, und es war perfekt. Ich glaube, es war ein Viersternhotel. Zu den Begleitveranstaltungen gehörten gemeinsame Abendessen (auch am See!) und Gespräche und sicher noch viel mehr. Ich kann mich allerdings kaum mehr daran erinnern. Mein gesamter Klagenfurt-Aufenthalt wird in meiner Erinnerung vom Tod meines Vaters überschattet, der etwa einen Monat später im Alter von nur 67 Jahren plötzlich verstarb.

Wie gestaltete sich die Auswahl für die Lesungstermine und wann hast Du gelesen?

Die Reihenfolge wurde ausgelost. Ich las an einem Donnerstag – das weiß ich noch; ich glaube, das war der erste Tag – als Letzter, was nicht wirklich günstig war, weil alle schon müde waren. Im Saal waren weniger Leute, und das Fernsehen übertrug meinen Auftritt und die nachfolgende Diskussion nicht zur Gänze.

Wie hast Du Dich unmittelbar auf Deine Lesung vorbereitet? Gab es da eine organisatorische Begleitung?

Soweit ich mich erinnern kann (und das ist nun fast 24 Jahre her!), gab es nur das Übliche: Verkabelung, Hinweis, wie nah ich am Mikro sein muss, etc. Eine organisatorische/technische Begleitung gab es natürlich. Das war ja eine Zeit, als organisatorische Dinge meist noch besser funktionierten als heute.

Welchen Text hast Du in Klagenfurt vorgestellt?

Mein Text hieß „Innere Werte“. Darin geht es um einen österreichischen Mann, der nach Russland fährt, um sich eine Frau zu kaufen. Das Problem, dass Männer sich Frauen aus Osteuropa, Russland, Südostasien oder anderen Regionen der Dritten Welt wie aus einem Katalog aussuchen, um sie dann als Konkubinen oder Ehefrauen oder als Sexsklavinnen nach Europa zu holen, war damals genauso aktuell wie heute. Als literarisches Thema war es damals allerdings noch nicht wirklich zeitgeistig.

Wie gestaltete sich die Jurydiskussion zu Deinem Text. Wie hast Du diese persönlich erlebt und wie beurteilst Du diese? Hast Du Dich auch in der Diskussion zu Wort gemeldet?

Die Reaktion auf meinen Text war verhalten positiv. Einzig Ulrike Längle hat einige kritische Bemerkungen gemacht. Die Begeisterung der Jury war allerdings ebenfalls verhalten bzw. endenwollend. Das war für mich spürbar. Ich war trotzdem zufrieden. Als damals noch wenig bekannter, junger Autor hatte ich wenig zu verlieren und konnte eigentlich nur gewinnen. Zu Wort gemeldet habe ich mich nicht. Das war nicht üblich. Was hätte ich auch sagen sollen?

Wie hast Du die Zeit unmittelbar nach der Lesung verbracht und was war für Dich da wichtig? Gab es Gespräche danach mit Jury, Mitlesenden?

Ja, ich verbrachte die Zeit mit Leuten von meinem Verlag und einigen Mitlesenden. Das war sehr angenehm. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und einander Mut zugesprochen.

Welche Reaktionen gab es nach Deiner Lesung und wie gestalteten sich für Dich die weiteren Lesungstage und die Preisverleihung?

Die Reaktionen waren im Wesentlichen sachlich und fair. Jene Journalist:innen, mit denen ich sprach, sagten mir ganz offen, dass ich mit diesem Text und nach dieser verhalten Reaktion der Jury nichts gewinnen werde. Das wusste bzw. ahnte ich auch selbst. Die weiteren Lesetage gestalteten sich für mich angenehm: Es war wie ein bezahlter Urlaub. Das Wetter war schön, die Veranstaltung spannend. Natürlich war ich ein wenig nervös, genoss aber im Großen und Ganzen die Zeit in Klagenfurt.

Welche Erinnerung hast Du in Abstand und Resümee an den Bachmannpreis? Welche Erfahrungen hast Du da gemacht?

Alles in allem waren die Erfahrungen positiv, und ich hatte Glück. Seitens der Jury gab es in meinem Fall weder böse Bemerkungen noch persönliche Untergriffe. Ich habe durch meinen Fernsehauftritt aufmerksam auf mich gemacht – das hat mir zweifellos geholfen. Das Startgeld war gut, die Stimmung angenehm, das Wetter gut. Dass ich nichts gewonnen habe, war ein wenig enttäuschend, aber – ehrlich gesagt – hatte ich kaum damit gerechnet, etwas zu gewinnen. Ich wusste, dass mein Schreibstil und meine Themen nicht wirklich optimal für einen solchen Wettbewerb geeignet sind.

Wie hat die Teilnahme am Bachmannpreis Deine weitere schriftstellerische Laufbahn beeinflusst?

Das ist schwer zu sagen. Es war auf jeden Fall eine wertvolle, spannende menschliche Erfahrung. Dass sie mein Schreiben wesentlich beeinflusst hat, glaube ich allerdings nicht.

Gibt es noch Kontakt zu Mitlesenden, Jury, Journalisten*innen oder Bezugspersonen in Klagenfurt?

Ja, ich kenne Terézia Mora, habe aber nur mehr sehr losen Kontakt zu ihr. Wir sehen uns alle paar Jahre auf gemeinsamen Veranstaltungen. Dasselbe gilt auch für andere Leute aus der Verlagsbranche oder Journalist:innen. Zu manchen habe ich noch losen Kontakt, zu anderen gar keinen mehr.

Befreundet war ich später mit der jungen Autorin Aglaja Veteranyi, die leider schon 2002 verstorben ist. Auch Gudrun Seidenauer und Monika Helfer kenne ich persönlich und schätze sie als Kolleginnen. Dasselbe gilt für Christian Mähr, der ja Verlagskollege von mir war.

Würdest Du noch einmal am Bachmannpreis teilnehmen?

Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre und in meinem literarischen Werdegang wieder dort wäre, wo ich damals war – gewiss.

Was wünscht Du Dir für den Bachmannpreis?

Darüber habe ich wenig nachgedacht. Es ist eine spannende Veranstaltung, die schon Tradition hat. Vielleicht sollte sie ganz zu ihren Ursprüngen zurückkehren, das heißt: Die Juror:innen sollten die Texte erst während der Lesung das erste Mal hören und spontan darauf reagieren.

Was möchtest Du den aktuellen Teilnehmer*innen mitgeben?

Nehmt die Sache nicht zu ernst! Es ist in erster Linie eine Show. Wer dort verrissen wird, ist nicht automatisch ein schlechter Autor bzw. eine schlechte Autorin. Es wurden schon viele gute Autor:innen in Klagenfurt verrissen, und es gab Gewinner:innen, die heute kaum mehr jemand kennt. Allein die Teilnahme an diesem Wettbewerb ist eine große Werbung für Euch, insbesondere dann, wenn ihr noch jung und wenig bekannt seid. Dann habt ihr eigentlich nichts zu verlieren und könnt nur gewinnen.

Welche Erinnerung hast an den Lesungsort Klagenfurt und welche Aktivitäten hast Du in der Stadt unternommen?

Ich war oft in Klagenfurt und mag die Stadt sehr. Was ich damals genau unternommen hatte, weiß ich nicht mehr. Aber ich habe meine Zeit dort sehr genossen und war einige Male am Wörthersee – daran erinnere ich mich noch.

Welche aktuellen Projekte gibt es derzeit für Dich?

Ich arbeite an einem neuen Roman, an einem Theaterstück, an zahlreichen Essays und Artikel zum Thema Ukraine-Krieg, aber auch zu anderen Themen. Einige Lesungen und Auftritte in Schulen, Zoom-Termine und andere Verpflichtungen stehen mir bevor …

Vielen Dank für das Interview, lieber Vladimir Vertlib, und alles Gute!

Danke!

Bachmannpreis _ Rückblick _Interview:

Vladimir Vertlib, Schriftsteller _ Salzburg _
Bachmannpreisteilnehmer 1999

Zur Person _ Vladimir Vertlib, geboren 1966 in Leningrad. 1971 emigrierte die Familie nach Israel, dann nach Italien, Holland und die USA, bevor sie sich 1981 in Österreich niederließ. Er studierte Volkswirtschaftslehre und lebt seit 1993 als Schriftsteller in Salzburg und Wien. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Essays sowie zahlreiche Artikel. 2001 erhielt er den Adelbert von Chamisso-Förderpreis sowie den Anton Wildgans Preis. Vertlib schrieb u.a. den Roman “Lucia Binar und die russische Seele“, der 2015 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis stand. 2022 erscheint sein Roman „Zebra im Krieg“. 

https://vladimirvertlib.at/

Aktueller Roman _ „ZEBRA IM KRIEG“ Roman nach einer wahren Begebenheit. Vladimir Vertlib, 288 Seiten, Format: 125 x 205, ISBN: 9783701717521; € 24,00 inkl. MwSt.

https://www.residenzverlag.com/buch/zebra-im-krieg

Foto_privat

Walter Pobaschnig, Interview 13.3.2023

https://literaturoutdoors.com

Walter Pobaschnig 3_23

https://literaturoutdoors.com

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